HERZBLUT
29.12.2018 GesellschaftEntzündet
Das Wort Advent heisst gemäss meinem Asterix-Latein hinzukommen, ankommen. Dieser Ausdruck wird oft falsch verstanden. Viele bemühen sich in der Adventszeit, bei der Nachbarschaft anzukommen, indem sie ein Himmelreich voller leuchtender Engel, ...
Entzündet
Das Wort Advent heisst gemäss meinem Asterix-Latein hinzukommen, ankommen. Dieser Ausdruck wird oft falsch verstanden. Viele bemühen sich in der Adventszeit, bei der Nachbarschaft anzukommen, indem sie ein Himmelreich voller leuchtender Engel, Hirsche und Rentiere installieren. Dank der langen Nächte (übrigens werden die Tage wieder länger) darf schon mitten am Nachmittag das Lichtermeer entzündet werden.
In unserem Haushalt ist die bessere Hälfte, also nicht ich, für den weihnächtlichen Schmuck und die assortierte Stimmung zuständig. Der Garten bleibt aus nachvollziehbaren Gründen schmucklos. Wir wohnen im dritten Stock. Gleichwohl hatte ich ein paar Tage vor Weihnachten meine ganz persönliche Entzündung. Nicht im Garten, nicht am Fenster, sondern im Bein. Genauer am äusseren Kopf des Oberschenkelknochens. Das ist jenes Gebein, das sie im «Tatort» immer zuerst finden, vorausgesetzt, die Leiche ist älteren Datums. Besagter Knochenkopf, den wir an der Hüfte sogar ertasten können (ich weiss, was Ihre Hände jetzt tun) heisst auf «Gescheit» Trochanter. Das weiss ich nicht von Asterix, sondern von der Ärztin.
Neben Tabletten, mit denen man eine ganze Bourbaki-Armee zu Anwärtern auf den Friedensnobelpreis umprogrammieren könnte, verordnete sie mir vor allem viel Geduld. Das nahm ich mir zu Herzen. Doch als ich geschlagene 24 Stunden später aus den Federn springen und auf das entzündete Bein stehen wollte, jingelten bei mir sämtliche Bells. Ich sah Sterne mit und ohne Schweif, Händels «Halleluja» hämmerte durch meine Hirnhälften. Das Wort Geduld erhielt eine neue Dimension jenseits meiner bisherigen Vorstellungskraft. Eine schöne Bescherung zur Weihnachtszeit.
Bisher war ich immer überzeugt, in Sachen Schmerz ein verkappter Winnetou zu sein und jede körperliche Pein zu ignorieren. Doch seit jenem Morgen weiss ich, dass ich diesbezüglich nicht den Indianern, sondern eher einem anderen I-Stamm angehören muss, der südlich der Schweiz siedelt und, nicht nur im Fussball, jeglichen Ansatz von Schmerz auskostet. Kaum besteht Aussicht auf Schmerz, ruft der I-Mann seine Mama an – nicht mit dem Sacktelefon, sondern im Gebet. Sein «Mamma mia» tönt noch eindringlicher als bei «Abba».
Meine bessere Hälfte karrt mich auf einem Rollator durch die Wohnung von A nach B und nach (W)C. Geht sie mal weg, so setzt sie mich an einen Tisch, auf dem sie vorher alles ausgebreitet hat, was ich in den nächsten Stunden gebrauchen könnte: Zeitungen, Essen, Trinken, Laptop und natürlich die Tabletten. Denn im Sitzen stehe ich meinen Mann problemlos, das Stehen und das Gehen gehen aber schlicht nicht. Ohne die Hilfe besagter Hälfte fühle ich mich wie ein Käfer, der auf dem Rücken liegt. Nur die Beine zappeln nicht.
Das birgt immerhin den Vorteil, dass ich passend zur Weihnachtszeit gegenwärtig zur Sicherheit nur mit Engelszungen zu ihr spreche. Die Entzündung im Bein hat also zur rechten Zeit auch mein Herz entzündet.
Jürg Gohl, Autor «Volksstimme»