Für Gemeinderat nur Dickhäuter?
20.12.2018 Baselbiet, Titterten, Politik
Christian Horisberger
«Volksstimme»: Herr Moor, die Bekanntgabe Ihres sofortigen Rücktritts war ein Affront gegenüber Ihren Wählern: Sie waren nicht zur Gemeindeversammlung erschienen, der Präsident sagte, dass Sie am Tag zuvor zurückgetreten ...
Christian Horisberger
«Volksstimme»: Herr Moor, die Bekanntgabe Ihres sofortigen Rücktritts war ein Affront gegenüber Ihren Wählern: Sie waren nicht zur Gemeindeversammlung erschienen, der Präsident sagte, dass Sie am Tag zuvor zurückgetreten seien. Die Begründung blieb er den Bürgern schuldig. Was haben Sie und der Gemeinderat sich dabei gedacht?
Thomas Moor: Ich bin am Tag vor der «Gmäini» zurückgetreten. Ich hätte den Tittertern gerne persönlich gesagt, weshalb. Der Gemeindepräsident fand jedoch, angesichts einer Gemeindeversammlung mit heiklen Traktanden wie Kirchengeläut und Wasserversorgung sollten keine Emotionen geschürt werden. Aufgrund dessen, was ich sagen wollte, hätte es sein können, dass sich gewisse Leute angegriffen fühlen. Die Stimmung sollte nicht zusätzlich aufgeheizt werden. Ich kann nicht sagen, ob es schlecht oder gut war so. Der Gemeindepräsident hat entschieden und ich akzeptierte es. Schliesslich musste er die Versammlung leiten.
Als Bürger ist das schwer zu akzeptieren. Der Gemeinderat hat die Bevölkerung manipuliert. Sie sind vom Volk gewählt, das Volk hat ein Recht zu wissen, warum Sie zurückgetreten sind.
Das möchte ich nicht kommentieren. Ich wäre gerne vor die Leute hingestanden, konnte aber mit dem Vorgehen leben, weil ich ja wusste, dass ich meinen Rücktritt im Dorfblatt werde begründen können.
Lassen Sie die Katze nun aus dem Sack: Weshalb sind Sie nach nur einem Jahr aus dem Gemeinderat ausgetreten? Auf den ersten Blick sieht es danach aus, als hätten Sie das Amt unterschätzt.
Tatsächlich kann man nicht abschätzen, wie gross der Aufwand ist. Wenn jemand für den Gemeinderat gesucht wird, sagt man in etwa, wie viele Sitzungen auf ihn oder sie zukommen. Das hat mit der Realität jedoch nicht viel zu tun. Wenn man das Amt ernst nimmt, kann man in gewissen Wochen drei-, viermal unterwegs sein für die Gemeinde. Ich habe mich voll hineingegeben; wenn ich zu etwas Ja sage, will ich es auch recht machen. «Halbbatzigkeit» gibt es für mich nicht. Der Aufwand für den Gemeinderat war gross, aber das war nicht der Grund für meinen Rücktritt.
Aber wenn Sie sich schon aufopfern und so viel geben, möchten Sie, dass Ihrer Arbeit Wertschätzung entgegengebracht wird.
Der Arbeit vor allem des Gremiums. Und: Ja, es ist auch persönlich aufbauend, wenn man sieht, dass gewürdigt wird, was man leistet. Und wenn der Gemeinderat einmal etwas macht, was andere nicht optimal finden, dann sollen sie das auch sagen. Doch dann ist für mich ganz wichtig, wie sie das sagen.
Womit wir beim springenden Punkt angelangt wären …
Ich habe sehr hohe Ansprüche an den Umgang unter den Menschen. Die Wortwahl, der Ton, das ist für mich sehr wichtig. Im Beruf, in der Familie, früher in der Feuerwehr Hochwald als Kommandant – ich versuche immer, einen guten Umgangston zu haben. Auch wenn mal etwas völlig in die Hose geht, soll man konstruktiv miteinander reden und es irgendwann gut sein lassen. Das bin ich gewohnt, das ist meine Art.
Aber nicht die der Titterter?
Einiger weniger Titterter. Wenn plötzlich Menschen sehr laut werden oder einen dem Gremium gegenüber respektlosen Ton anschlagen, bereitet mir das grosse Mühe. Jene Leute sagen dem Gemeinderat mit Bemerkungen wie «Was tut ihr eigentlich?» oder «Schiebt ihr das auch auf die lange Bank?» unterschwellig, sie respektieren ihn nicht, schätzen seine Arbeit nicht.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
An der Info-Veranstaltung zur Wasserversorgung wollte ein Bürger, ohne zuvor den Gemeinderat zu informieren, seinen Datenstick in das Notebook stecken, um sein eigenes Projekt vorzustellen. Ich verstehe nicht, weshalb er das nicht vor dem Info-Anlass mit uns abgesprochen hat. Wir haben monatelang unser Projekt seriös vorbereitet. Das ist doch kein Miteinander. In einem Dorf mit so wenigen Einwohnern wie Titterten muss man doch miteinander im Gespräch zu einem Ziel kommen.
Das ist doch nichts anderes als gelebte Demokratie, in der sich jeder einbringen und mitbestimmen darf.
Demokratie ist mir wichtig. Selbst in meinem Geschäft lasse ich alle Meinungen gelten und animiere meine Mitarbeitenden, sich einzubringen, auch kritisch zu sein. Entscheidend ist, wie.
Haben Sie sich nie gegen den aggressiven Ton gewehrt?
Ich bin nicht der Gemeindepräsident, sondern nur ein Teil des Gremiums. Es ist schwierig, etwas zu sagen.
Man muss sich als Gemeinderat viel gefallen lassen und einstecken können. Sind Sie einfach zu dünnhäutig für den Job?
Das würde ich nicht sagen, aber ich bin einer von der leiseren Art. Auch solche Menschen sollten Platz haben in der Politik. Wenn nur die Grossen und Starken Platz haben, die laut ihre Meinung sagen, dann bleiben die Anliegen der Schwächeren auf der Strecke.
Mit Ihrem Rücktritt geben Sie den Grossen und Starken aber mehr Platz.
Das ist so. Ich war nicht mehr bereit, so weiterzumachen. Ich konnte nachts nicht mehr schlafen.
Und ob Sie zu dünnhäutig für den Gemeinderat sind, Herr Moor!
So, wie er jetzt ist – ja, das ist möglich. Ich bin ein Herzmensch. Ich spürte aber auch, dass die anderen Gemeinderäte mit diesem Umgang ebenfalls Mühe haben. Ihre Schmerzgrenze scheint bloss höher zu liegen als meine.
Können Sie sich nicht persönlich abgrenzen?
Ich bin immer Gemeinderat, ich bin immer Geschäftsführer, ich bin immer Vater. Ich kann nicht aus einer Gemeinderatssitzung oder Versammlung rausgehen, den Hut aufsetzen und sagen, ich gehe heim, das ist erledigt. Ich bin immer in der Rolle. Ich machte mir auch Gedanken über Verbesserungen im Dorf, wenn ich mit der Familie spazieren war. Das ist sicher eine Problematik, dass ich nicht abschalten kann.
Sie haben vor gut einer Woche die Notbremse gezogen. Schlafen Sie inzwischen besser?
Ja. Das Ganze hatte mich extrem belastet. Es geht mir bereits besser. Ich möchte aber klarstellen: Titterten ist kein schreckliches Dorf. Ich komme zurecht mit den Tittertern, es sind alles liebenswerte Menschen. Doch wenn es ums Diskutieren geht, schlagen sie zum Teil eine etwas härtere Tonart an. Es sind ja nicht viele.
Immer dieselben notorischen Nörgler?
Kritische Geister, denen das Wohl Tittertens sehr am Herzen liegt; es sind immer etwa dieselben, ja. Und die braucht es ja auch in der Politik. Wir sind keine Diktatur, sondern eine Demokratie. Bloss hätte ich mir gewünscht, man hätte die Kritik anders an den Gemeinderat herangetragen. Das hätte ich besser verkraftet.
Haben Sie mit den Kritikern einmal das direkte Gespräch gesucht?
Nein.
Haben Sie versucht, Gegensteuer zu geben?
Ja, durch Vorleben.
Titterten ist nicht die einzige Gemeinde, in welcher der Ton manchmal ruppig ist, in der Misstrauen und Meckern präsent sind. Ist das nicht eine Zeiterscheinung, dass der Umgangston schärfer geworden ist?
Ich glaube, ja. Der Ton verschärft sich, die Hemmschwelle sinkt. Ich finde das schade – und seltsam. In Titterten wohnen ja gute Leute. Irgendwo kippt es wahrscheinlich, wenn es um gewisse Themen geht. Genau kann ich es nicht sagen, weil ich mich ja noch nicht sehr lange mit der Dorfpolitik befasse.
Der Zeitgeist macht beispielsweise auch in Ihrer Firma nicht halt. Was für Töne werden denn dort angeschlagen?
Bei uns im Betrieb schreit keiner, es wird nicht geschimpft und nicht geflucht, darauf lege ich grossen Wert. Ich erhalte öfter Rückmeldungen von Kunden, die unsere Mitarbeitenden als sehr angenehm im Umgang wahrnehmen. Es sind Kleinigkeiten, die auch sonst den Alltag verbessern, wie etwa ein Dankeschön an die Verkäuferin. Die kosten nicht viel. Ich finde es schlimm, dass sich der Ton verschärft. In der Politik, im Alltag. Damit kann ich nicht leben.
Könnten Sie es allenfalls mit einer höheren Entschädigung? Es ist ja kein Zufall, dass im Volksmund von der «Schofseckel»-Zulage die Rede ist. Die Titterter Gemeinderäte bekommen je nach Funktion 7500 bis 10 000 Franken jährlich.
Wegen des Geldes muss man nicht Gemeinderat werden. Ich halte die Entschädigung für angemessen, sie war für mich aber kein Grund zu kandidieren. Und sie wäre kein Grund gewesen, zu bleiben, auch wenn sie dreimal so hoch wäre. Ich bin jetzt 56 Jahre alt. Zeit ist wertvoll und ich investiere meine dort, wo es für mich positiv ist. Zeit kann man nicht bezahlen.
Würden Sie Ihre Zeit im Gemeinderat am liebsten auslöschen?
Keinesfalls. Ich habe viel Gutes mitgenommen und bin sicher auch gewachsen an dem Posten. Ich distanziere mich auch nicht vom Gemeinderat oder von den Tittertern.
Haben Sie das Gefühl, Sie seien im Amt gescheitert?
Nein, gar nicht. Ich war von der ersten Minute an ein vollwertiges Mitglied des Gemeinderats und in der Verantwortung. Der Präsident gab uns allen viel Raum. Ich konnte viel tun, mich auch ausserhalb des Dorfs einbringen.
Werden Sie in Zukunft die Gemeindeversammlungen besuchen?
Das habe ich mir vorgenommen.
Und vorleben, wie man auch kritisch mitdenken?
Das ist ein Punkt, den ich mir auch vorgenommen habe.
Was wünschen Sie sich für Ihr Dorf, den Gemeinderat, die Unzufriedenen?
Es ist ein Posten frei im Gemeinderat. Es wäre toll, wenn Menschen, die unzufrieden sind mit der Arbeit des Gemeinderats, selber mitarbeiten. Mein Wunsch ist, dass die Titterter miteinander eine Demokratie auf hohem Niveau leben und nachfolgenden Generationen ein Vorbild sind.
Zur Person
ch. Thomas Moor (56) lebt seit vier Jahren mit seiner Partnerin und vier Kindern in Titterten. Er führt in Hochwald seit 27 Jahren ein Unternehmen für Gartenbau, Landschaftsplanung und Fotografie mit 15 Mitarbeitenden. In Hochwald war er während zwölf Jahren Feuerwehrkommandant. Ein politisches Amt hatte er vor seiner Wahl in den Titterter Gemeinderat im August 2017 nicht inne.