So macht der «Daig» Ferien im Baselbiet
05.10.2018 Baselbiet, Langenbruck, Waldenburg, Bezirk WaldenburgBasler Familie besitzt seit einem Jahrhundert den Hof Holznacht
tho. Vor 100 Jahren hat ein Zweig der Basler Patrizier-Familie Burckhardt das grosse Hofgut Holznacht auf dem Gemeindegebiet von Waldenburg und Langenbruck gekauft sowie abseits des Hofgebäudes ein grosses ...
Basler Familie besitzt seit einem Jahrhundert den Hof Holznacht
tho. Vor 100 Jahren hat ein Zweig der Basler Patrizier-Familie Burckhardt das grosse Hofgut Holznacht auf dem Gemeindegebiet von Waldenburg und Langenbruck gekauft sowie abseits des Hofgebäudes ein grosses Chalet gebaut. Rege genutzt wird das Haus von derselben Familie auch heute noch.
In diesem Jahr wurde das Jubiläum der Sommerresidenz mit einem grossen Fest gefeiert. Die heutigen Besitzer – vier Cousins – gaben ein 150 Seiten starkes Buch über die Holznacht heraus, in dem die Geschichte des Hofs und des Chalets beleuchtet wird. Zudem werden Anekdoten aus 100 Jahren Familienferien festgehalten. Ein Kapitel ist dem russischen Literaturnobelpreisträger Alexander Solschenizyn gewidmet, der 1975 während dreier Monate im Chalet wohnte. Die «Volksstimme» durfte auf der Holznacht einen Augenschein nehmen.
Die Landliebe des Basler «Daigs»
Die Familie Bur | Die Familie Burckhardt macht seit 100 Jahren Ferien auf dem Hofgut Holznacht
1918 hat ein Zweig der Basler Familie Burckhardt – kurz «ckdt» – beim Hof Holznacht hoch über Langenbruck und Waldenburg ein Sommerhaus gebaut. Es wird heute noch genutzt. Jetzt wurde der Holznacht ein Buch gewidmet.
David Thommen
Professor Leonhard Burckhardt, soeben emeritiert an der Uni Basel, ist Historiker mit Fachbereich Alte Geschichte. Wir sitzen mit ihm auf einem Bänklein unter einer mächtigen Linde auf dem Holznacht-Chöpfli. Der Blick schweift auf die nahe Gerstelfluh, die von hier aus mit ihrer kahlen Wand und dem bizarr gezackten Grat traumhaft aussieht.
Hier hoch auf dem Berg zwischen Waldenburg und dem Kloster Schönthal müssen Burckhardts Grosseltern irgendwann nach 1910 auf einer Wanderung stehen geblieben sein und in die weite Ferne geschaut haben: Über den Gerstel hinaus zur Sissacher Fluh, dahinter auf den Schwarzwald, drüben auf das ganze Wasserfallengebiet, dazwischen auf die Gempenfluh und in der Ferne auf dieVogesen. Es gibt viele schöne Orte mit prächtiger Aussicht im Baselbieter Jura, an diesem Punkt hier, an dem wir nun kurz durchschnaufen, ist sie besonders schön.
Leonhard Burckhardt hat die «Volksstimme» hierhin mitgenommen, um uns einen tollen Ausblick zu ermöglichen – vor allem aber, um uns einen Einblick ins Ferienleben der in Basel «ckdt» genannten Familie zu gewähren. So viel Offenheit bei Privatangelegenheiten ist vielleicht nicht gerade typisch für eine Basler «Daig»-Familie, doch Leonhard Burckhardt tanzt auch in mancherlei anderer Hinsicht etwas aus der Reihe: Zwar ist auch er Politiker geworden wie andere «ckdt’s» vor ihm. Er allerdings politisiert nicht für die Liberale Partei (LDP) in Basel, sondern für die Sozialdemokraten. Er sitzt im Grossen Rat.
Chalet entstand 1918
Burckhardts Grosseltern, die vor mehr als einem Jahrhundert Ferien im Kurort Langenbruck verbracht haben, müssen damals bei dieser Aussicht auf dem Holznacht-Chöpfli hin und weg gewesen sein. Elisabeth und Karl August Burckhardt beschlossen, in dieser Gegend ihre Sommerresidenz zu bauen. Als das Hofgut Holznacht mit seinen knapp 30 Hektaren Wiese und Wald zum Verkauf stand, zögerten sie nicht. Das war ihm Jahr 1916.
Zwei Jahre später konnte etwas abseits vom Hauptgebäude des Hofs, der stets verpachtet war und mittlerweile im Baurecht für 30 Jahre abgegeben wurde, ein grosses Chalet eingeweiht werden, das den Burckhardts nun seit 100 Jahren als Ferienhaus dient – und mit dem natürlich 1000 Familienerinnerungen verbunden sind. Die Besitzer haben dem Haus und dem Hofgut Holznacht soeben ein schönes, reich bebildertes und 150 Seiten starkes Buch gewidmet, in dem ausführlich auf Geschichte, Umgebung, Natur und Landwirtschaft eingegangen wird – und in dem selbstverständlich alte Familienbegebenheiten und Anekdoten liebevoll festgehalten werden.
Dies in erster Linie zuhanden der eigenen Nachkommen – deswegen ist das Werk nicht verkäuflich –, doch wird es auch einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Es wartet in der Basler Unibibliothek oder in der Kantonsbibliothek in Liestal sowie in der Waldenburger Bibliothek auf Leser.
45 000 Franken mussten die jungen Burckhardts damals 1916 für die Holznacht aufbringen. Karl August Burckhardt, ein Architekt, stammte zwar aus gutem Basler Haus, doch der wahreWohlstand kam von der Familienseite seiner Frau: Elisabeth war eine geborene Koechlin – die Familie, die unter anderem hinter der Chemiefabrik Geigy (später Ciba-Geigy) stand.
Ort der Sicherheit
Dass ein Burckhardt eine Koechlin heiratete, entsprach zweifellos dem damaligen Standesverständnis des Basler Patriziertums. Ebenfalls, dass wohlhabende Basler Familien Ländereien im Baselbiet kauften, um dort die «Sommerfrische» zu geniessen. Ums Jahr 1900 gab es im ganzen Baselbiet 28 Pachtgüter, also Bauernhöfe, die nicht von ihren Eigentümern bewirtschaftet wurden. Nicht weniger als deren 21 befanden sich im Besitz bekannter Basler Geschlechter: Sarasin, Merian, La Roche, Preiswerk – und eben: Burckhardt. Von den Baslern besonders bevorzugte Gemeinden waren Langenbruck und Lauwil, aber natürlich gab es auch andernorts wie in Eptingen oder Maisprach sogenannte Herrenhöfe.
Historiker Leonhard Burckhardt, der uns freimütig das ganze Anwesen zeigt, erkennt bei seinen Grosseltern mehrere Motive für den Kauf der grossen Länderei im Oberbaselbiet. Einerseits sei dies unter reichen Familien einfach Mode gewesen, sagt er. Vielleicht sei es den Baslern auch darum gegangen, sich ein Stück Basler Landschaft zurückzuholen, nachdem sich das Baselbiet von der Stadt abgetrennt habe. Andererseits gab es sehr praktische Gründe für ein Feriendomizil oberhalb von Langenbruck: Die Familie hatte bald einmal fünf Kinder. So sei es fast unmöglich geworden, genügend grosse Ferienwohnungen an chiceren Orten wie St. Moritz zu finden, da stets auch ein kleinerer Tross an Kindermädchen und anderen Bediensteten mitreiste und untergebracht werden musste.
Mitgespielt haben dürfte ferner, dass damals der Erste Weltkrieg vor den Toren Basels tobte.Wer einen Hof weit weg von der Stadt besass, konnte sich bei Bedarf in Sicherheit bringen und notfalls das Nötigste selber anbauen, falls sich eine Lebensmittelknappheit abzeichnete.
Unbeschwerte Ferien
Heute ist Leonhard Burckhardt Mitbesitzer des Hofguts Holznacht in nun dritter Generation, zusammen mit drei seiner Cousins. Oben beim Holznacht-Chöpfli, dem schönen Aussichtspunkt, erzählt er von den unvergesslichen und unbeschwerten Ferien seiner Kindheitstage. Mitarbeit beim Bauernhof habe wie selbstverständlich dazugehört – Heuen, Misten, Kirschenpflücken oder auch einmal Melken. Anfangs sei man von Langenbruck her noch mit Ross und Wagen angereist. Die Strasse auf die Holznacht ist lang und steil. Einen brauchbaren Weg bis ganz zum Ferienhaus gibt es noch keine 20 Jahre.
In den Anfängen, so ist es im Buch nachzulesen, konnte schon die Reise zum Ferienabenteuer gehören: Es ging mit dem Zug nach Liestal, von dort zu Fuss auf das Schloss Wildenstein bei Bubendorf, wo man bei der befreundeten wohlhabenden Familie Vischer Tee trank. Danach ging es weiter zu Fuss bis nach Hölstein, wo man das «Waldenburgerli» bestieg und dann von Waldenburg aus den steilen Berg bis auf die Holznacht wieder auf Schusters Rappen zurücklegte. Eine Wanderung, die es in sich hat.
Luxuriös waren die Ferien auf der Holznacht nie: Strom und fliessend Wasser gab es lange Zeit nicht; der «Ätti», also der Grossvater, habe stets in einer mit Regenwasser vom Dach gefüllten Wanne gebadet, heisst es im Buch. Erst 1974 gab es einen elektrischen Herd. Und bis das Ferienhaus einen Telefonanschluss erhielt, dauerte es noch länger. Erst 2007 gab es einen Geschirrspüler.Wasser ist auch heute noch knapp.
Die Aussicht als Luxus
Leonhard Burckhardt bittet nun hinein ins mächtige Chalet. Küche und Wohnzimmer sind sehr geräumig. 13 Personen finden in einem der zahlreichen Zimmer ein Bett, in einem Nebengebäude können weitere 7 Gäste übernachten. Chalets seien vor 100 Jahren Mode gewesen, sagt Leonhard Burckhardt. Wohl vor allem deshalb, weil sich die Schweiz zuvor an der Landesausstellung in Paris mit Chalets präsentierte. Sicher spielte auch eine Rolle, dass die Elemente des Holzhauses im Tal vorgefertigt werden konnten, was eine kurze Bauzeit hoch oben auf 850 Metern über Meer ermöglicht habe.
Luxus – ausser natürlich dem Blick auf die Berner Alpen an klaren Tagen – sucht man im Chalet auch heute noch weitgehend vergeblich. Es sieht danach aus, als sei die Zeit etwas stehen geblieben – die Möbel in den grossen, gemütlichen Räumen sind meist alt, aber kaum klassische Antiquitäten. Die Einrichtung ist zusammengewürfelt wie in so manchem anderen Ferienhaus auch.
Leonhards Vater, Martin Burckhardt, war als Mitbesitzer des Basler Architektur- und Generalplanerbüros Burckhardt + Partner zwar ein erfolgreicher Unternehmer und baute weltweit vor allem riesige Fabriken und Verwaltungsgebäude (darunter dasjenige der BIZ in Basel), doch ans Holznacht-Chalet wurde immer nur mit grosser Zurückhaltung Hand angelegt.
Probleme mit Einbrechern habe man trotz der Lage fernab der Zivilisation nie gehabt, sagt Leonhard Burckhardt: «Hier gibt es kaum etwas zu holen.» Die Bilder an der Wand, welche zum Teil die Grossmutter in jüngeren Jahren gemalt hatte, haben eher einen sentimentalen Wert. Die Frau besass Talent, das sie allerdings nicht mehr voll ausleben konnte, nachdem die Kinder da waren. Kunst spielte in dieser Familie immer eine grosse Rolle – Leonhard Burckhardts 90-jährige Mutter Veronika Burckhardt ist in Basel auch heute noch eine bekannte Kunstsammlerin. Der 2007 verstorbene Vater Martin H. Burckhardt – er war unter anderem auch Nationalrat – gründete einst den «Karl August Burckhardt-Koechlin-Fonds», der das Basler Kupferstichkabinett mit Werken alimentierte.
1975 war Solschenizyn da
Leonhard Burckhardt ist jedes Jahr für drei Wochen am Stück auf der Holznacht. Allerdings nur im Sommer, denn richtig wintertauglich ist das schlecht isolierte Haus nicht – da helfen auch der alte Kachelofen und das Cheminée wenig. Am meisten Betrieb gibt es jeweils am 1. August, wenn sich die Burckhardt-Familien und deren Freunde zum grossen Fest treffen. In diesem Jahr, dem Jubiläumsjahr, waren es 120 Personen.
Gäste empfing man auf der Holznacht stets gern. Einer davon ist besonders in Erinnerung geblieben: 1975 wurde der russische Literatur-Nobelpreisträger Alexander Solschenizyn für drei Monate im Holznacht-Chalet untergebracht. Der regimekritische Schriftsteller («Der Archipel Gulag») war zuvor vom russischen Geheimdienst aus seiner Heimat vertrieben worden und war über Deutschland – zu Heinrich Böll – in die Schweiz gekommen. In Zürich, wo er zuerst im Ferienhaus des legendären Stadtpräsidenten «Sigi» Widmer wohnte, war er dem KGB und auch den Journalisten zu stark ausgesetzt. Burckhardts boten Hand dazu, Solschenizyn zu verstecken und ihm die Rückkehr zu «kreativer Ruhe» zu ermöglichen. Nur wenige Menschen in Langenbruck waren eingeweiht; diejenigen, die es waren, mussten sich verpflichten, nichts zu verraten. Im Holznacht-Buch wird ausführlich auf den Aufenthalt des zuweilen – und mit dem Alter zunehmend – sonderlichen Dissidenten zurückgeschaut. Dem Russen hat der Aufenthalt und der Kontakt zu den Holznacht-Pächtern gut gefallen, wie er später in einem Buch schrieb. Am meisten gestört hatte ihn, dass er stets die 400 Meter bis zum Hof unter die Füsse nehmen musste, um zu telefonieren.
Was den Burckhardts vor allem in Erinnerung geblieben ist: Solschenizyn störte sich am herumliegenden Holz in den Wäldern und sammelte über Wochen riesige Mengen davon ein. Der Vorrat, um die Kunst damit zu beheizen, habe lange Zeit gereicht.
Kurz nachdem das Buch über die Holznacht aus der Druckerei gekommen ist, gab es gute Neuigkeiten: Die Holznacht, oder zumindest Teile des Gebiets, wurden vom Kanton Baselland in das Inventar der geschützten Naturobjekte aufgenommen – für Leonhard Burckhardt eine Freude. Und ein Beweis dafür, dass die Städter der Natur im Oberbaselbiet in den vergangenen 100 Jahren besonders gut Sorge getragen und sich nicht als reiche Eindringlinge aufgeführt haben.
Ort der Elche
tho. Die Geschichte des Hofs Holznacht geht weit zurück. Schon vor dem 12. Jahrhundert dürfte dort Wald gerodet worden sein, um Ackerbau und Viehzucht zu betreiben. Vermutlich waren Mönche des nahen Klosters Schönthal am Werk. Jedenfalls wurden im Jahr 1980 Reste einer Kapelle gefunden, deren Entstehung ins 12. Jahrhundert datiert wurde. Rund im Jahr 1150 wurde der Flecken erstmals schriftlich erwähnt und als «Mons Alecnacho» bezeichnet, was möglicherweise so viel hiess wie «Berg oder Gebiet des Elchs». Der Elch (lat. Alces) war im frühen Mittelalter noch heimisch in Mitteleuropa. Der Name wandelte sich im Verlaufe der Zeit: Aus Alcenacho wurde Alttnach, Alznach, Falsznacht (oder Folznacht) und schliesslich Holznacht. Alten Dokumenten zufolge wurde das Hofgut zwischenzeitlich auch Reehhag genannt. Die Holznacht liegt auf rund 850 Meter über Meer. Erschlossen ist sie mit einem schmalen Strässchen ab dem Kloster Schönthal oberhalb von Langenbruck. Ab Waldenburg führt ein steiler Fussweg zum Hof.