HERZBLUT
30.10.2018 GesellschaftEin erfolgloser Sonntag
Sonntage verbringe ich am liebsten mit möglichst wenig Programm. Für viele Menschen mag das Schöne an diesem (meist) arbeitsfreien Tag sein, dass sie ihn nach eigener Wahl mit Aktivitäten füllen können. Für mich ...
Ein erfolgloser Sonntag
Sonntage verbringe ich am liebsten mit möglichst wenig Programm. Für viele Menschen mag das Schöne an diesem (meist) arbeitsfreien Tag sein, dass sie ihn nach eigener Wahl mit Aktivitäten füllen können. Für mich hingegen handelt es sich um einen besonders erfolgreichen Sonntag, wenn eben gerade gar nichts passiert. Vorgestern habe ich wieder mal gegen die eigene Vorgabe verstossen, meine Agenda am Sonntag komplett leer zu lassen. Ein «Tichu»-Turnier war angesagt. Bei diesem Spiel gilt es, Karten nach bestimmten Regeln möglichst schnell loszuwerden. Gespielt wird zu viert in Zweierteams, Jassen ist regeltechnisch und taktisch im Vergleich Kindergeburtstag. Aber egal, was gespielt wird, an so einem Turnier tauchen immer dieselben Typen auf:
1. Der Tiefstapler: Er kennt die Regeln nach eigener Aussage kaum. Ein halbes Mal habe er das Spiel erst mit einem knappen Auge ein paar Sekunden lang gesehen. Um so mehr erstaunt es, wenn er als Erster laut «TICHU» durch den Raum ruft – den Ausruf, der im Jass einem im Voraus angekündigten Match entspricht, nur dass der Sieg mit dem Ruf mehr Punkte gibt, als wenn man dasselbe Resultat ohne Ankündigung erreicht. Wird das Angekündigte aber nicht erreicht, bedeutet das Minuspunkte.
2. Der Schwätzer: Ob es gut oder schlecht läuft, er kann nicht stillhalten. Er feiert oder bemitleidet sich selbst lautstark. Wie beim Jassen ist es auch beim Tichu verboten, über die eigenen Karten zu reden. Dem Schwätzer fällt dies schwer. Ob es Absicht war oder nicht: Um den Schwätzer entsteht die Diskussion, ob der Ausruf «Du bisch e Bueb» als Tipp an den Mitspieler gemeint war, welche Karte er spielen sollte, oder nur eine unschuldige Randbemerkung.
3. Der Risikospieler: Von keinem Ort hallt der Ruf «TICHU», der angekündigte Match, so oft durch den Saal wie vom Tisch der Risikofreudigen. Nirgends ist die Stimmung so gut und die Spannung so hoch – schade nur, wenn das Risiko nicht aufgeht und es ein Team in einer einstündigen Begegnung nicht einmal aus den Minuspunkten schafft.
4. Der Titelverteidiger: Er ist zurückhaltend, von Beginn an wegen des vergangenen Erfolgs etwas angespannt. Dennoch darf die Geschichte nicht fehlen, wie er beim vergangenen Turnier den Hauptpreis gewonnen hat: Einen WC-Ring inklusive Deckel, stolze 3.50 Schweizer Franken wert.
5. Der Nicht-Aufkreuzer: Sonntag bedeutet in aller Regel, dass am Vorabend noch Samstag war. Die Zeitumstellung macht dank smarten Phones und smarten Backofenuhren keine Probleme mehr. Alle sind rechtzeitig da. Ausser natürlich diejenigen, welche die durch die Winterzeit gewonnene Stunde zu sehr gefeiert haben oder für den Pikettdienst bei irgendeinem Lifthersteller aufgeboten worden sind.
Ich bin bei meiner ersten Teilnahme resultattechnisch krachend gescheitert – mit dem Gewinner des WC-Deckels vom vorigen Turnier. Aber immerhin war ich da, habe nicht zu viel geschwatzt und nicht zu risikoreich gespielt. Und kommenden Sonntag mache ich wieder nichts.
Sebastian Wirz, Sportredaktor «Volksstimme»