Die zerfallenden Zeugen einer wichtigen Epoche
04.10.2018 Baselbiet, Kultur, RegionHauenstein-Gebiet | 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg – Historiker Pascal Ryf blickt zurück
tho. Der Oberwiler CVP-Landrat Pascal Ryf fordert, dass die 100 Jahre alten Militäranlagen am Hauenstein zumindest teilweise erhalten werden (die ...
Hauenstein-Gebiet | 100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg – Historiker Pascal Ryf blickt zurück
tho. Der Oberwiler CVP-Landrat Pascal Ryf fordert, dass die 100 Jahre alten Militäranlagen am Hauenstein zumindest teilweise erhalten werden (die «Volksstimme» berichtete). Der Zahn der Zeit nagt stark an Schützengräben, Maschinengewehrstellungen oder Truppenunterkünften. 500 Bauten waren es insgesamt, die ab 1914 innerhalb kurzer Zeit im 24-Stunden-Betrieb entstanden sind.
Pascal Ryf ist nicht nur Politiker, sondern auch Historiker. Für die «Volksstimme» beleuchtet er in seinem Beitrag, welche Stimmung vor etwas mehr als 100 Jahren in Europa und im Baselbiet herrschte, welche Überlegungen sich die Armee um General Ulrich Wille machte und unter welchen Umständen die Bauarbeiten stattfanden. Es ist ein grosses Plädoyer für den Erhalt der stummen Zeugen einer wichtigen Epoche der Schweizer Geschichte.
Zeugnis einer zentralen Epoche der Schweizer Geschichte
Ein Plädoyer für den Erhalt der alten Militäranlagen Plädoyer für den Erhalt der alten Militäranlagen aus dem Ersten Weltkrieg
Der Oberwiler CVP-Landrat Pascal Ryf fordert, dass der Zerfall der Fortifikation Hauenstein aufgehalten werden soll. Die «Volksstimme» hat den Historiker gebeten, die Bedeutung der alten Anlagen für die Schweiz und die Region aufzuzeigen.
Pascal Ryf
Nur wenige Bauwerke in der Schweiz erinnern an den Ersten Weltkrieg, der vor genau hundert Jahren zu Ende ging. Während die Militäranlagen auf dem Mont Vully bei Murten gut unterhalten, mit Schautafeln beschriftet und touristisch genutzt werden, droht die wichtigste Grenzbefestigung der Nordwestschweiz gänzlich unter Schutt und Erde begraben zu werden: Rund um den Baselbieter Bölchen befinden sich Reste der Fortifikation Hauenstein – einzigartige Zeugnisse unserer Landesgeschichte, die langsam verwittern und in Vergessenheit geraten.
Das Baselbieter Parlament und der Regierungsrat haben es nun in der Hand. Sie können ausgewählte Teile der Fortifikation Hauenstein retten und für Schulklassen, Wandernde und Touristen zugänglich machen.
Mobilmachung am 1. August 1914
Dass sich dies lohnen würde, erlebt, wer auf die Lauchflue hinaufspaziert. Die Aussicht hier oben ist einzigartig! Vor unseren Augen erstreckt sich das Baselbiet – vom Gempen bis zum Wisenberg. Dahinter ragen die Kuppen der Vogesen und des Schwarzwalds empor. Die Sonne scheint und heizt unseren vom Wandern aufgewärmten Körper zusätzlich auf. Wie muss es hier wohl vor 100 Jahren gewesen sein, als in den kalten Winternächten die Bise vom Hauenstein über die Flue fegte? Unser Blick schweift über die zahlreichen zerfallenen Schützengräben und die Gedanken wandern zurück.
Vor über 100 Jahren führte das Wettrüsten der imperialistischen Grossmächte selbstzerstörerisch in die erste grosse Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts. Mit der Ermordung des Thronfolgers von Österreich-Ungarn, Erzherzog Franz Ferdinand und seiner Gemahlin Sophie, explodierte 1914 auf dem Balkan das Pulverfass Europas. Ende Juli 1914 hatte Österreich-Ungarn Serbien ein Ultimatum gestellt, worauf die anderen Grossmächte Europas den Befehl zur Generalmobilmachung gaben. Am 31. Juli, am Tag der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien, erliess der Bundesrat den Beschluss, sämtliche Stäbe und Einheiten des Auszugs, der Landwehr und des Landsturms auf Pikett zu stellen. Am 1. August 1914, am Nationalfeiertag, verkündete der Bundesrat die Mobilmachung.
Dazu läuteten im ganzen Land die Kirchenglocken und Wächter zogen durch die Dörfer und verkündeten die Mobilmachung. Die «Basellandschaftliche Zeitung» schilderte die Stimmung der einrückenden Truppen als «gefasst und zuverlässig», der «Landschäftler» lobte die «Ordnung und Geschwindigkeit». Während im deutschen Kaiserreich Kriegsbegeisterung herrschte, war bei den einrückenden Schweizer Soldaten «Ernsthaftigkeit und Ungewissheit über das, was sie im Aktivdienst erwarten würde» gross.
Die Schweiz erklärte mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs ihre Neutralität. Die Vereinigte Bundesversammlung wählte am 3. August 1914 Ulrich Wille zum General und tags darauf Theophil Sprecher zum Generalstabschef des Aktivdienstes. Der Bundesrat erteilte dem Oberkommando der militärischen Landesverteidigung den allgemeinen Auftrag, die volle staatliche Souveränität gegenüber jeder Beeinträchtigung von innen und von aussen zu wahren und das schweizerische Territorium gegen jede Gebietsverletzung zu schützen. Weiter sollten alle Massnahmen getroffen werden, «die zur Behauptung der Neutralität und zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen des Landes erforderlich waren». Man ging zwar nicht davon aus, dass die anderen Kriegsparteien das Ziel verfolgten, die Schweiz zu erobern. Es galt aber als wahrscheinlich, dass die Franzosen bei einem Umgehungsangriff schweizerisches Territorium verletzen könnten. Die Gefahr aus dem Osten wurde bedeutend geringer eingeschätzt, hauptsächlich weil der Krieg im Osten weit weg war. Hier spielte jedoch auch die prodeutsche Haltung von General Wille eine Rolle, der die Meinung vertrat, der Schweiz drohe keine Gefahr, solange Deutschland und Österreich siegreich blieben.
Hamsterkäufe bei Lebensmitteln
Das Gespenst des Säbelrasselns löste im Baselbiet als Grenzregion Besorgnis und Ängste aus. Bereits im ersten Kriegsmonat richteten sich Schweizer Truppen in den Grenzdörfern zu Frankreich und zum deutschen Kaiserreich ein. Zahlreiche Wirtschaftssäle und Schulzimmer wurden belegt, die Lehrer suchten für ihre Klassen andere Unterrichtszimmer. Die Hamsterkäufe bei Lebensmitteln führten zu einer anhaltenden Teuerung, wegen des Bankensturms sah sich die Basellandschaftliche Kantonalbank veranlasst, ihre Filialen zu schliessen und den Hauptsitz in Liestal nur noch halbtags zu öffnen. Zur Linderung der Not wurden in den Dörfern Hilfskomitees gegründet, die Hilfsgüter und Lebensmittel für Notleidende beschafften.
Bereits am 6. August 1914 befahl General Wille die Befestigung des Hauensteins. Sie sollte dem Schutz des Brückenkopfs Olten dienen, wo sich das Schweizer Mittelland vom Jura her öffnet. Im Raum Olten – zwischen Oensingen und Aarau – befinden sich auf einem Weg von nur 30 Kilometern Länge zehn Jura-Übergänge. General Wille wollte Olten als militärstrategisch wichtigen Eisenbahnknotenpunkt schützen und einen feindlichen Einbruch ins Mittelland verhindern. Der für den Bau der Fortifikation Hauenstein zuständige Kommandant richtete sich mit seinem Stab zuerst im Hotel Aarhof, später an der Römerstrasse ein. Im 24-Stunden-Betrieb begannen Tausende von Wehrmännern im Gebiet des Hauensteins vorab mit dem Bau von Militärstrassen, unter anderem am Wisenberg und am Bölchen. Die Männer erstellten rund 500 Bauten, darunter Beobachtungsposten, Geschützstände, Maschinengewehrstellungen, Scheinwerferpositionen, Telefonleitungen, Kommandoposten, Munitionslager, Geniedepots, Reservoirs und Wasserleitungen, Unterkünfte und Stallungen. Insbesondere die Anlagen im unwegsamen Gelände bedurften grosser Anstrengungen der eingesetzten Truppen. Der Beobachtungsposten auf der Bölchenfluh wurde auf die heutige Form zurechtgesprengt.
Nachdem in Frankreich 1915 die Fronten erstarrt waren und sich die Soldaten in den Schützengräben zum Stellungskrieg verschanzt hatten, nutzte die Schweizer Armee diese Erkenntnisse und begann die Stützpunkte rund um den Hauenstein durch ein Grabensystem zu verbinden. So wurden 1915 der Schützengraben Aare–Boningen– Bölchen, die Bölchen-Südstrasse und die Wasserversorgung Wisenberg fertiggestellt. Der Ausbau der militärischen Anlagen wurde stets den neuen Erkenntnissen angepasst und erfolgte nicht mehr planmässig. Während des strengen Winters 1916 verlagerte sich die Hauptarbeit auf die Offenhaltung der Militärstrassen.
40 Kilometer Frontlinie
Im August 1917 waren die meisten Bauten vollendet. Das Abwehrdispositiv der Fortifikation Hauenstein hatte eine Frontlänge von über 40 Kilometern und umschloss halbkreisförmig den Brückenkopf Olten – von Boningen an der Aare über den Chilzimmersattel, die Lauchfluh, Läufelfingen, Wisenberg und Isenfluh bis nach Lostorf und Obergösgen an der Aare. Die Feuerlinie mit Verbindungsgräben war über 27 Kilometer lang, 26 Kilometer Bergstrassen wurden errichtet und über 40 000 Mann hätten im Ernstfall in der Fortifikation Platz gefunden. Dies sind beachtliche Zahlen, die aufzeigen, welche Bedeutung die Schweizerische Armee dem Brückenkopf Olten und der Fortifikation Hauenstein zumass.
Auch wenn nach dem Krieg viele Bauten abgerissen und die meisten Schützengräben zugeschüttet wurden, sind bis heute einzelne bedeutende Bauwerke erhalten geblieben. Insbesondere im Gebiet des Baselbieter Bölchens finden sich imposante und erhaltenswerte Reste der Fortifikation Hauenstein.
Oberhalb des Klosters Schönthal führt vom Chilchzimmersattel – einem Pass zwischen Langenbruck und Eptingen – ein kurzer Weg zum Spitzenflüeli. Hier sind auf einer Länge von über 200 Metern noch gut erhaltene und teilweise durch die Gemeinde Langenbruck in Zusammenarbeit mit dem Verein «Rost & Grünspan» restaurierte Schützengräben und Mannschaftsunterkünfte zu besichtigen. Die Bauten im nördlichen Abschnitt des Spitzenflüeli sind jedoch bereits stark von der Natur gezeichnet, massive Baumstämme liegen quer über die Schützengräben, die durch Hangrutsche mit Erdmaterial und Steinen gefüllt sind. Rostige Armierungseisen ragen aus dem Beton hervor und verheissen den baldigen Einsturz der Militärbauten.
Wer sich durch das Dickicht gekämpft hat und weiterwandert, wird von der Geissfluh aus mit einer traumhaft schönen Aussicht belohnt. Quer über die Weide führt der Wanderweg über den Schellenberg zur Lauchflue, die auch von Waldenburg über die Gerstenfluh und dem Grat des Rehags entlang erreicht werden kann. Auf 1042 Metern Höhe befindet sich der Beobachtungsposten «Lauchflue», umgangssprachlich bekannt als «Panzertürmli» mit ausgebautem Unterstand.
Die schwarze Metallkuppel inmitten der Natur ist beeindruckend, die Fernsicht ist einzigartig und reicht bis nach Frankreich, Deutschland und ins Mittelland. Ein Besuch des Panzertürmlis mit der Familie oder einer Schulklasse – in Verbindung mit der Thematisierung des Ersten Weltkriegs – würde sich anbieten. Aufgrund des schmalen Auf- und Abgangs und der exponierten Lage direkt an der Felskante hoch über Bennwil ist ein Besuch mit einer Kinder- und Jugendgruppe aber gefährlich. Die Haltegriffe bestehen nur aus provisorischen Seilen, die Zugangsstufen sind hoch und brüchig.
Ein Kulturdenkmal
Mit der Motion «Rettet die Fortifikation Hauenstein» fordere ich den Regierungsrat auf, in einem Massnahmeplan darzulegen, wie das historisch bedeutsame Bauwerk langfristig erhalten werden kann. Es ist äussert bedauerlich, dass ein derartig besonderes Zeugnis einer zentralen Epoche der Schweizer Geschichte sich selbst überlassen wird. Dringend wäre ein bauliches Konzept zur Instandhaltung auszuarbeiten und umzusetzen. Zum Schutz ausgewählter Abschnitte der Fortifikation Hauenstein sollten alle Beteiligten ins Boot geholt werden, vom Kanton über die Einwohner- und Bürgergemeinden bis hin zu privaten Landeigentümern und Institutionen. Zusammen sollten wir Wege für einen würdigen, verantwortungsvollen Umgang mit diesem Kulturdenkmal finden. Die Schützengräben sollten von Erde, Steinen und Laub befreit, Inschriften und Wappen restauriert und Betonbauten saniert werden. Unter fachkundiger Leitung könnten zum Beispiel Zivildienstleistende einen wichtigen Beitrag für die Instandstellungsarbeiten leisten.
Ebenso wichtig wäre eine gute Dokumentation und Vermittlung. Entlang einiger Wanderwege existieren bereits informative und lesenswerte Schautafeln über Fauna und Flora. Informationstafeln an ausgewählten Stellen der Fortifikation Hauenstein könnten interessierte Wanderinnen und Wanderer über die Ereignisse aufklären, die sich hier zugetragen haben.
Besonders erhaltens- und schützenswert sind die noch sichtbaren Schützengräben im Waldgebiet des Rehags, des Bölchen und des Wisenbergs. Mit der neu verlängerten Busverbindung 109 vom Homburgertal über Häfelfingen weiter den Wisenberg hoch bis zum Bad Ramsach könnten nicht nur die Militärbauten und der Aussichtsturm auf dem Wisenberg touristisch besser erschlossen werden. Profitieren würden auch das Kurhotel Bad Ramsach, die umliegenden Restaurants und dank einer besseren Auslastung die Buslinie 109 und das «Läufelfingerli». Darum: Rettet die Fortifikation Hauenstein!