WASHINGTON POST
28.09.2018 BaselbietEin kleines Geständnis
Neulich waren wir auf Heimatbesuch in der Schweiz, zum ersten Mal, seit wir im Januar in die USA gezogen sind. Es waren vielleicht nicht die erholsamsten Ferien, die wir je hatten (so viele Termine!), aber sie waren wunderbar: Familie und ...
Ein kleines Geständnis
Neulich waren wir auf Heimatbesuch in der Schweiz, zum ersten Mal, seit wir im Januar in die USA gezogen sind. Es waren vielleicht nicht die erholsamsten Ferien, die wir je hatten (so viele Termine!), aber sie waren wunderbar: Familie und Freunde, lange geplante Feste und spontane Begegnungen, Wanderungen in den Bergen und Sommerabende am Rhein – und ein Wetter, das nicht wie hier täglich zwischen Hurrikanen, Höllenhitze und Hagel wechselte, sondern verlässlich schön war.
Das gilt auch für das Wichtigste in den Ferien: das Essen und Trinken. Mehr als ein Abend endete weinselig im Restaurant, und jedes Mal freuten wir uns darüber, dass der Kellner beim Espresso-Wunsch nach dem Essen nicht bloss verlegen lächelte, weil die Kaffeemaschine gerade mal wieder ausgestiegen oder gar nicht erst vorhanden war – was in Amerika selbst in teuren Restaurants vorkommt. Es war auch auch mal wieder ganz angenehm, nach dem Essen nicht gleich die Rechnung auf den Tisch geknallt zu bekommen, kaum war der Teller abgeräumt.
Und trotzdem: Ein bisschen waren wir auch wieder froh, zurück in Washington zu sein. Es gibt sie natürlich, die gastronomischen Einöden, wo alles frittiert und in übergrossen Portionen daherkommt. Aber sie sind nicht so zahlreich, wie man meint. Obwohl Washington keine sehr grosse Stadt ist, ist die Auswahl an Lokalen fantastisch. Es gibt die alten, teuren Restaurants in der Nähe des Weissen Hauses und im Universitätsviertel Georgetown, wo Lobbyisten und Politiker unter schweren Kronleuchtern vor Steaks und Rotwein sitzen. Die Tischtücher sind weiss, die Gespräche gedämpft, und ziemlich sicher sieht man dort ein bisschen nationale Prominenz: einen Senator, eine Ministerin, einen bekannten Fernsehmoderator.
Aber es gibt eben nicht nur das. In unserem Viertel eröffnet fast wöchentlich eine neue Beiz. Kein gedämpftes Licht, keine weissen Tischtücher, dafür eine internationale Küche: Hervorragende Äthiopier, Afghanen, Basken, Kubaner und Vietnamesen (die vielen Botschaften zogen schon immer ein sehr internationales Publikum an). Aber auch eine vielfältige amerikanische Küche: Barbecue-Schuppen aus den Südstaaten, Seafood-Lokale mit Austern und Krabben von der nahen Küste und, ja: Burger. In allen Variationen.
Unser Budget lässt es allerdings nicht zu, dass wir täglich ein Restaurant aufsuchen. Deshalb erfüllte der Heimatbesuch auch noch einen anderen Zweck. In der Hoffnung, dass der freundliche amerikanische Zollbeamte, der uns bei der Rückkehr in Washington empfing, nicht mitliest: Wir haben geschmuggelt. Und wie. Kiloweise exzellenten Käse aus dem Sissacher Milchhüsli (Memo fürs nächste Mal: mehr Schwellbrunner Bergkäse kaufen). Schokolade in allen Variationen. Aber auch banale Dinge, die wir hier nicht in der gleichen Qualität erhalten: Bouillon. Darvida. Stimorol-Kaugummi. Wir hoffen nun natürlich, dass die Vorräte ein wenig reichen. Zumindest bis im Dezember, wenn wir wieder zu Besuch kommen – mit einem Extrakoffer.
Der Sissacher Alan Cassidy ist USA-Korrespondent für den «Tages-Anzeiger» und die «Süddeutsche Zeitung». Von 2006 bis 2008 schrieb er für die «Volksstimme».