Nochmals mit Volldampf
21.09.2018 Baselbiet, WaldenburgDanach kommen die Lokomotive, ein Personen- und ein Güterwagen in eine Remise beim «Talhaus».
Damit geht die Dampfgeschichte im Waldenburgertal nach 138 Jahren zu Ende. Ein Weiterbetrieb ist nicht mehr möglich, da die geplante «neue» Bahn eine andere Spurweite erhält: 100 statt wie ...
Danach kommen die Lokomotive, ein Personen- und ein Güterwagen in eine Remise beim «Talhaus».
Damit geht die Dampfgeschichte im Waldenburgertal nach 138 Jahren zu Ende. Ein Weiterbetrieb ist nicht mehr möglich, da die geplante «neue» Bahn eine andere Spurweite erhält: 100 statt wie heute 75 Zentimeter.
Am 30. Oktober 1880 war die Eröffnung der Waldenburgerbahn gefeiert worden. Die Fahrten damals müssen abenteuerlich gewesen sein. Der Baselbieter Mundartdichter Wilhelm Senn (1845–1895) ist in den Anfangsjahren in Liestal zugestiegen und hat die Fahrt in einem 1884 erschienenen Büchlein eindrücklich beschrieben. So sei es nicht aussergewöhnlich gewesen, dass ein Wagen aus den Schienen gesprungen sei und kräftige Passagiere aufgefordert werden mussten, den Zug wieder zurück aufs Gleis zu hieven. Zum Abschied von der Dampfbahn drucken wir in unserer heutigen Ausgabe die amüsante Geschichte nach – in der Baselbieter Mundart, wie sie Senn damals gesprochen und geschrieben hat. Dazu zeigen wir historische Bilder aus der Dampf-Ära.
Wilhelm Senns Geschichten sind in der Zwischenzeit weitgehend in Vergessenheit geraten. Eines seiner Werke aber hat die Zeit überdauert: Er war der Dichter der Baselbieter Hymne «Vo Schönebuech bis Ammel».
Die Waldenburgerbahn
Am Sonntag fährt die Dampflok letztmals – zum Abschied eine Erzählung von Wilhelm Senn
Wilhelm Senn war ein Baselbieter Dichter. Er beschrieb im Jahr 1884 einen Ausflug mit dem «Wallebergerbähnli». Viel Vergnügen.
«Es git mi Sex uf der Welt ekei gmüetliger Fuehrwerch, as ’s Wallebergerbähnli. Wo-n-i’s zum erste Mol gseh ha, isch’s mer gsi, die Personen- und Güeterwägeli sige luter Gvätterlizüg für Chinder. Und doch si z’Liestel erwachseni Persone dri g’stiege, Lüt vo alle Sorte, wo’s numme cha ge: Isebähnler mit Blouse, Pfarhere mit Cylinder, Neudörflere mit Zaine, Jude mit Musterpäckli, Metzger mit dicke Büch, Offizier mit grüslige Schnäuz und enge Hose, fröndi Inscheniör und Staatsröt mit grossartige Pläne vo ähnlige Bahne bi ihne deheim – und Schuelmeister mit Quartalzäpfe so chlei – i mag’s gar nit säge.
Das isch e Gwüehl gsi und e Stosses – e jedes het welle der schönst Platz ha, und me cha numme vo Glück rede, as der Her Direkter Brobeck grad am Bahnhof gsi isch und in siner ruehige, früntlige Wis selber au ghulfe het Ornig mache; sunst wotti-mi nit verschwere, as nit eis und ’s ander verdruckt worde wer selbe Tag. Wo die Sterksten und Frechsten efange dinne gsi si, het men erst gmerkt, as d’Personewägeli nimme länge und me het müese Güterwägeli neh für die andere Lüt. Will die aber bireits scho Charte glöst gha hei und nit blos Frachtschin, so het-me-se nit chönnen ufenander legge wie Mehlseck – sie hei welle sitze. Dorum het der Bahnhofvorstand lo Brättli holen und se-n überzwerch über die Wägeli lo legge und gruefe: «So, ihr Lütli, hocket uf!»
Me het schint’s selbetsmol z’Liestel im Wetter nit recht traut; drum hei-si bi jedem Güeterwägeli, wo Lüt druf gsesse si, uf de Site Stecken igsteckt und e Blache Zwilch drüber gspanne, as-es usgseh het, wie die neumodische Märtständ uf im Säuplatz, wo d’Regierig vo Basel letsthi für die Mords Fürchäufler het lo mache.
I bi just e kein vo de Sterkste und no vil weniger ein vo de Frechste; dorum het’s-mi breicht, as-i au under e Fürchäuflerdächli cho bi. Linggs vo mir isch en älteri, dicki Frau gsesse; die het mit im Ote z’tue gha und bständig bärzt, wie wenn si der ganz Schleifiberg uf ihrem Rugge hätt. Uf der rechte Site han-i e Nochber gha, wo het uf’s Chilchzimmer welle vo wege der Uszehrig. Hinden an-mer het e Basler Büebli vo drizäh Johren Stinkatores graucht, und gradübere vo-mer isch nebe siner Muetter e chlei Maiteli gsesse, das hätt-mer ganz guet gfalle, wenn’s numme nit allewil sini dreckige Schueh an mine neue Sunndigshosen abputzt hätt.
So si-mer denn abgfahren und uf der «alt Märt» cho, wo fast in der Mitti zwüsche Liestel und Lause lit. Dört het’s der erst Halt ge. Und wil grad vo witem e Fraueli isch cho z’springe, wo au no gern mit-is gritte wer uf Höllsten ufe, so het-me dasmol uf im «alte Märt» e bitzeli lenger gwartet, as uf im Fahrteplan vorgschriben isch. Vo wege dessen isch es e keim Möntsch in Sinn cho, über Verspötig z’schimpfe, wie das gwantlig uf de grösseren Isebahne vorchunnt. Im Gegetheil – me het dem Fraueli no gern ufe ghulfe under euser Fürchäuflerdächli, und so bhend as der Lokemotivfüehrer gseh het, ases guet sitzt, so het-er si chleine Choli wider lo springe, der «Gräubere» zue.
Neume bim «alte Märt» isch die gfehrligi Stell, wo’s im Afang allewil gspukt het, vo wege will dä Choli dört fast jedesmol verschücht isch. Wennme sunst in der Zitig öppis list vo «Zugentgleisung», so lauft’s eim chalt und heiss der Ruggen ab, und-me frogt gli: «Wievil Toti und Verwundeti het’s ge?» Uf eusem Bähnli hei d’Lüt amme numme glacht, wenn dr Choli emol nebenus isch. Der Cundidör het in d’Wägeli ine gruefe: «Es sölle schnell e paar vo de sterkere Mannen ufe cho!» Die hei-si druf mit im Ruggen e chlei an’s Lokemotivli agstemmt, und im ene Wetterleich isch’s wider uf de Schine gstande.
Bim Fluebacherkarli im Buebedörfer Bad isch die ersti wichtigeri Station ob Liestel. Aber der Stationsvorstand trait ekei Uniform und kei roti Chappe – er isch eben am Heuen und chunnt grad hemdsermlig vo der Matte her, für z’luege, was-im ’s Bähnli Neus bring. E Liestler Metzger und en Elsässer Vehhändler si gschwind mit enander ab-im Zug in d’Wirtstuben ine pfitzt, und will se-si dinne lenger versumt hei, as si hätte solle, so het der Lokemotivfüehrer dasmol nimme gwartet und isch ohni si abgfahre.
’s Lüstigst vo der ganze Wallebergerbahn isch der Bahnhof «Lampeberg». D’Restauration und der Wartsaal und der Güeterschopf s’isch alles bi-n-enander in einer Stube. Aber wenn-der no-n-eme Wirt oder Chärtliverchäufer oder Güeterschaffner froget, so isch alletwege kein z’finde. Der Bahnhof selber isch numme vo Holz gmacht, ganz uf und ähnlig, wi-n-e Liestler Märtstand, blos no-n-emol so gross. Hätten in früehere Zite die Here vo der Nordostbahn au derigi Bahnhöf baut, i wett hundert an eis, si hätte nit bruchen e Pariserdokter lo z’cho, für ihri alte Bräste z’heile. Me het-mer sider erklärt, worum as das Bahnhöfli au gar eso gring usgfalle sig – d’Ramischberger sige d’Schuld, will si ekei Tutenierli dra heige welle leiste. Stei hätte-si doch gnueg gha, und an Holz isch emmel au-n-ekei Mangel vo der Zunzgerhard eweg bis an d’Höllsteinerstross abe.
I mues miner Lebtig lache, wenni denk, was-is z’Höllste passiert isch. S het dört e Bur just si Veh über d’Stross tribe, währed as ’s Bähnli ghalte het. Do chunnt so-n e Chue zue eusem Wägeli zue und streckt ihre Chopf au under ’s Fürchäuflerdächli und schreit «Mu!» I weiss nit, het-si ’s Wägeli für e Heuschochen oder eus für Chabischöpf agluegt. Die Wiber hei gschraue vor Angst, vil erger as d’Chue, und dä drizehjehrig Baslerbueb het vor Schreck si Zigare lo us im Mul fallen und der Nochberen uf’s Fürtuech, as-es e Loch geh het. Zum Glück si-mer gli druf wider abdämpft. Aber der Chue mues öppis bsunders guet gfalle ha uf eusem Wägeli. Si isch-eis emmel noh-grennt im Kalopp bis uffen an’s Dorf. Z’letst wird-si denkt ha «Der Gscheiter git no» und isch ganz bitrüebt heim gangen in ihre Stal.
Z’Oberdorf fahrt ’s Bähnli so nooch an de Hüsere dure, as-me ganz guet cha in d’Stuben ine luege und gseh, was für Waar as d’Posimenter uff hei, und wenn die Lüt im Vergess grad d’Fenster offe leue, so schmecktme vo witem scho ’s Kaffi und die bräglete Härdöpfel.
’S mues grad Zwölfi gsi si, wo-mer z’Walleberg oben acho si. Im Thomme sini gschickten Uhremacher und flotten Uhremacherstöchtere si just us der Fabrigge cho. Si hei alli gar busper use gluegt und mit enander plauderet und glacht.
Wo-mer dur ’s Stedtli uf gönge, seit mi Nochbere (’sisch die Glichi gsi, wo im Bähnli inne so grüselig gschnuuft het): «Her, der laufet-mer z’schnell; ich mag-ech nit noche. Zürnet-mer nüt, wenn-i z’rugg blib!» Der chönnet-ech denke, wie’s mer gwohlet het, wo-n-i das Bärzen und Schnuufe nimme ha müesen alose. Nit, as-i kei Bidure gha ha mit der Frau; aber ’s het-mi dunkt, wenn’s mir scho schlecht worde wer dervo, so hät’s ihre wegedem jo doch nit besseret. I han-ere drum adie gseit und bi witer gange.
Die Lüt, wo-n-i z’Walleberg obe gsuecht ha, han-i au richtig gfunde.
Es si no Baselbieterlütli vom alte Schrot, gastfründlig, dienstfertig und nebebi e chlei gwunderig. Sie hei-mer alli mügligi Ehr ado; d’Frau het en Eierdätsch gmacht und der Ma het e Häfeli voll Wi ufe gholt. Und will-simi allewil wohl hei möge lide und au gar grüslig vil hei welle wüsse, wie’s göng in der Stadt, so hätte-s’mi um hundert Zwetschge nimme furt glo an selbem Tag. Wie-n-i noche wider heim cho bi, will-i en andermol verzelle.
Die Mundartgeschichte «Die Waldenburgerbahn» ist im Bändchen «Heimat und Volk in Poesie und Prosa» im Jahr 1884 erschienen.
Wilhelm Senn, Liestal
* 12. 2. 1845 bis † 22. 8. 1895, Lehrer, Dichter, Konfession: reformiert
Sohn des Wilhelm, Bäcker, und der Barbara Rosenmund. Heirat 1866 Adelheid Steiner von Walterswil BE. Schulen in Liestal; Seminar Wettingen 1862–65, Primarlehrerdiplom. Lehrer in Ramlinsburg 1865–67, Gelterkinden 1867–70, Basel 1870–75 und an der neugegründeten Mädchensekundarschule Basel 1875–95. Verfasser der Heimatkunde von Ramlinsburg 1863. Wird in der Öffentlichkeit als Dichter bekannt. Autor der «Nationalhymne» Vo Schönebuech bis Ammel. Seine Gedichte und Erzählungen erscheinen im Bändchen Heimat und Volk 1884. Onkel Fritzens Testament von 1889 ist eine Art Bekenntnisgeschichte im Sinne der Aufklärung. Aktives Mitglied des «Baselbieter Chränzli», einer Vereinigung von Landschäftlern in Basel. W.: Heimat und Volk in Poesie und Prosa, Basel 1884. – Onkel Fritzens Testament, Leipzig 1889. Lit.: Stöcklin Justus: Ein Poetennest, 1922, 116–148. – HBLS 6, 345.– Meyer Traugott in: BHB 3, 1945, 130–140. – Suter Fränzi in: BHbl 2, 1945, 437–441.
Text aus: Birkhäuser, Kaspar: Das Personenlexikon des Kantons Basel-Landschaft. Liestal 1997.