Kathrin Schweizer kritisiert Regierung
27.09.2018 Baselbiet, PolitikDer Wahlkampf für den Baselbieter Regierungsrat nimmt Fahrt auf. Die SP greift mit Kathrin Schweizer an. Die Muttenzerin spricht im Interview darüber, was sie besser machen will.
David Thommen
«Volksstimme»: Frau Schweizer, die SP ist 2015 vom Stimmvolk ...
Der Wahlkampf für den Baselbieter Regierungsrat nimmt Fahrt auf. Die SP greift mit Kathrin Schweizer an. Die Muttenzerin spricht im Interview darüber, was sie besser machen will.
David Thommen
«Volksstimme»: Frau Schweizer, die SP ist 2015 vom Stimmvolk aus der Baselbieter Regierung geworfen worden. Was ist Ihre Analyse dazu?
Kathrin Schweizer: Die SP hat die Situation damals unterschätzt. Wir waren uns zu sicher und haben uns zu wenig um die Mobilisierung unserer Wählerinnen und Wähler gekümmert. Dafür haben wir die Quittung bekommen.
Hatte die Verbannung nicht vor allem mit der Politik der SP zu tun, die dem Volk nicht mehr passte?
Nein, bei den gleichzeitigen Landratswahlen haben wir gleich viel Unterstützung erhalten wie vier Jahre zuvor. Es stimmt aber, dass wir wieder lernen mussten, unsere Anliegen aktiver zu vertreten.
Jetzt haben wir gut drei Jahre Regierung ohne SP erlebt.
Wie hat sich das nach ausgewirkt?
Die bürgerlichen Mehrheiten in Regierung und Landrat haben mittlerweile den Bezug zur Bevölkerung weitgehend verloren. Das zeigt sich schon daran, dass Regierung und Parlament viele Volksabstimmungen verloren haben …
… ganz so viele waren es nun auch wieder nicht.
Doch. Bei wichtigen Urnengängen wie Elba, «Läufelfingerli», Deponien oder Energiepaket korrigierte das Volk die Regierung. Das muss als klares Zeichen verstanden werden.
Ganz falsch macht die Regierung aber dennoch nicht alles …
Die ganze Abbau-Politik wird nicht goutiert. Die tieferen und mittleren Einkommen wurden in den vergangenen Jahren massiv zusätzlich belastet. Der Abbau von Kantonspersonal und die linearen Lohnkürzungen waren übertrieben, ebenso die harten Einschnitte bei der Pensionskasse. Die Regierung hat versucht, ihren Sparplan auf dem Buckel der Einwohnerinnen und Einwohner und der Angestellten durchzuboxen.
Baselland war in einer Notlage.
Die finanzielle Situation war nicht besonders gut, das ist richtig. Sie ist entstanden, weil über Jahre hinweg die Steuern für hohe Einkommen und Unternehmen gesenkt wurden. Dass man jetzt abgebaut und vor allem tiefere und mittlere Einkommen zusätzlich belastet hat, war falsch.
Mittlerweile scheint der Kanton den Weg aus den roten Zahlen immerhin gefunden zu haben.
Ja, aber man muss den Preis dafür sehen. Man hat beispielsweise die Prämienverbilligung völlig entgegen der Alltagsrealität der Menschen stark gekürzt. Dabei sind die Prämien fast ungebremst weiter gewachsen.
Soeben hat Finanzdirektor Anton Lauber angekündigt, diese Unterstützung wieder etwas zu erhöhen.
Sie sagen es richtig: etwas. Doch das reicht bei Weitem nicht. Noch 2010 wurde mehr Geld für die Prämienverbilligung ausgegeben als heute, obwohl die Prämien tiefer waren.
Die kantonale SP hat eine Initiative lanciert, die verlangt, dass die Prämien nicht mehr als 10 Prozent des Einkommens wegfressen dürfen.
Halten Sie daran fest?
Natürlich. Als einst das neue Krankenversicherungsgesetz eingeführt worden war, lag das Sozialziel für die privaten Haushalte bei 8 Prozent. Im Baselbiet sind wir im Moment bei etwa 15 Prozent des Einkommens, das die Menschen für die Prämien bezahlen – das ist weit über dem Durchschnitt der Schweizer Kantone. Wenn wir mit unserer Initiative nun eine Obergrenze von 10 Prozent verlangen, ist das ein moderater Ansatz. Wie gesagt: Tiefe und mittlere Einkommen müssen nun wieder entlastet werden.
Und was ist mit den höheren Löhnen? Hier gibt es eine überaus steile Progression. Die Regierung plant, diese Kurve nun zu glätten.
Es ist das Wesen eines sozialen Steuersystems, dass höhere Einkommen auch höher besteuert werden. Daran gibt es überhaupt nichts zu ändern.
Man kann mit solcher Politik auch gute Steuerzahler vertreiben. Beispiel: Die SP setzte durch, dass die Pauschalbesteuerung für reiche Ausländer im Baselbiet abgeschafft wurde. Folge: Sämtliche der einst 16 Pauschalbesteuerten verliessen den Kanton. Damit gingen Einnahmen verloren!
Sind Sie sicher? Wir wissen nur, dass diese Leute weg sind. Aber wissen wir, wer nun in deren Villen wohnt? Die neuen Bewohner bezahlen bestimmt auch Steuern. Doch hier geht es um weit mehr: Es geht um Gerechtigkeit. Niemand versteht, dass nicht alle Einwohner nach dem gleichen System besteuert werden. Darum wurde dieser Initiative zugestimmt.
Ist das bei Ihnen – in Umkehrung Bertold Brechts – immer so? Zuerst die Moral, dann das Fressen?
Als Staat kann man es sich nicht leisten, jemandem entgegenzukommen, nur weil er reich ist. Es ist unabdingbar, dass alle Bewohnerinnen und Bewohner gleich behandelt werden.
Gegen die angekündigte Revision, mit der höhere Einkommen entlastet werden sollen, sind Sie also jetzt schon auf der Barrikade?
Wenn es das Ziel sein sollte, dass diese Einnahmenverluste durch die Leute mit tieferen Einkommen wieder ausgeglichen werden, dann werde ich sie ablehnen.
Wir müssen nochmals über Steuern reden: Wie ist Ihre Haltung zur Steuerreform 17 auf Bundesebene?
Ich war anfangs klar gegen diese Reform, weil sie den Steuerwettbewerb verschärft. Unterdessen tendiere ich aber eher zu einem Ja, weil das Gesamtpaket mit dem Support für die AHV auch deutliche Vorteile hat. Definitiv entscheiden werde ich mich aber erst, wenn die kantonale Umsetzung bekannt ist.
Geplant ist ebenfalls eine klare Steuersenkung für Unternehmen.
Problematisch ist, dass der Kanton Baselland mithelfen will, den Steuerwettbewerb weiter anzuheizen. Jeder probiert mittlerweile, den anderen zu unterbieten. Das lehne ich ab. Ich begrüsse, dass im Baselbiet mit höheren Kinderzulagen immerhin ein sozialer Ausgleich geschaffen werden soll. Dieser müsste allerdings deutlich grösser sein.
Andere Kantone sind dank des Steuerwettbewerbs erfolgreich. Schauen Sie ins Fricktal: Dort werden viele Arbeitsplätze geschaffen.
Der Aargau mischt im Steuerwettbewerb kräftig mit, richtig. Es sind aber nicht nur die Steuern, die entscheiden. Die Unternehmen sind auch abhängig von funktionierenden Infrastrukturen und gut ausgebildetem Personal, da ist der Staat gefordert. Wenn man sich gegenseitig immer mehr unterbietet, leidet das Gemeinwesen. Im Aargau gibt es massive Sparpakete. Dabei haben wir das gar nicht nötig: Wir sind international bereits jetzt sehr konkurrenzfähig.
Möchten Sie als Regierungsrätin vor allem mehr Geld eintreiben?
Was haben Sie vor damit?
Nein, ich möchte den neuen Handlungsspielraum nutzen, um einen Teil des Abbaus der vergangenen Jahre zu kompensieren. Unbedingt müssen Familien stärker unterstützt werden. Es gibt im Moment eine Initiative für Ergänzungsleistungen für Familien, sodass Familien mit tiefen Einkommen und vielen Kindern nicht zur Sozialhilfe müssen. Das unterstütze ich.
Es zieht sich durch das ganze Interview: Sie würden gerne mehr Geld nach unten umverteilen.
Im Baselbiet gab es in den letzten Jahren genau das Gegenteil: Steuersenkungen für Reiche und Unternehmen und gleichzeitig Abbau für die tiefen und mittleren Einkommen. Da ist eine Korrektur nötig.
Soll der Staat möglichst als «Rundumversorger» auftreten?
Nein, aber es braucht einen starken Service public. Ich habe jedoch den Eindruck, dass sich der Kanton Baselland in der Vergangenheit aus der Verantwortung gestohlen hat. Wenn der Kanton die Prämienverbilligungen kürzt, fällt das via Sozialhilfe auf die Gemeinden zurück. Dabei geht es um grosse Beträge. Ich erwarte vom Kanton, dass er ein verlässlicher Partner ist und nicht Lasten abschiebt, damit er selber gut dasteht.
Was machen Sie besser, falls Sie gewählt werden?
Als Gemeinderätin von Muttenz ist es mir heute sehr wichtig, dass ich zusammen mit dem Team komplett transparent gegenüber der Bevölkerung auftrete. Neben der Vorausschau sind Ehrlichkeit,Transparenz und korrekter Umgang mit den Steuergeldern für mich ganz elementare Grundsätze des Regierens.
Und das bemängeln Sie an der heutigen Regierung?
Ja, es gibt Intransparenz. Im Zusammenhang mit der Vergabe von Aufträgen an die Wirtschaftskammer gibt es Verdächtigungen, die nicht sauber aufgeklärt wurden. Auch bei einer weiteren Auftragsvergabe wurde die Wirtschaftskammer ganz offensichtlich widerrechtlich bevorteilt, wie kürzlich ein Gericht festgestellt hat. Bei der Schwarzarbeitskontrolle, der ZAK, sind Gelder möglicherweise nicht rechtmässig verwendet worden.
Bei der ZAK sind auch die Gewerkschaften beteiligt – sind sie ebenfalls ein Teil des Filzes?
Ich wünsche mir eine vollständige Aufklärung.
Welche Direktion in der Regierung wünschen Sie sich?
Im Landrat war ich lange in der Bau- und Planungskommission und habe viel Verkehrspolitik gemacht. Jetzt bin ich in der Finanzkommission. Im Muttenzer Gemeinderat führe ich das Departement Soziales und Gesundheit. Ich bin politisch breit aufgestellt und könnte in jeder Direktion sogleich starten.
Sie sind als Muttenzerin, die in Basel arbeitet, urban ausgerichtet.
Was hätten Sie dem Oberbaselbiet zu bieten, das doch ziemlich anders tickt als die Agglomeration?
Die Differenzen innerhalb des Kantons sind nicht so wahnsinnig gross. Überall sind die Gemeinden näher an der Bevölkerung dran. Mir ist es wichtig, dass sich Kanton und Gemeinden auf Augenhöhe gegenübertreten, damit sie sich gemeinsam für das Allgemeinwohl einsetzen können. Aufgaben sollen nicht blindlings an die Gemeinden delegiert werden. Kleine Gemeinden sollen eigenständig weiterfunktionieren können, ohne Fusionsdruck von oben. Wir haben riesige Unterschiede bei der Gemeindegrösse – Allschwil hat mehr als 20 00 Einwohner, die kleinsten Gemeinden haben nicht einmal 200. Natürlich ist es für den Kanton nicht einfach, alle richtig zu bedienen. Aber genau das müsste das Ziel sein.
Das Rennen wird Ende März 2019 zwischen Thomas de Courten und Ihnen entschieden. Was spricht für Sie?
Es sind Gesamterneuerungswahlen und ich trete gegen alle an. Mich zeichnet unter anderem aus, dass ich Erfahrung als Exekutivpolitikerin habe. Bei den letzten Wahlen in Muttenz hat es sich gezeigt, dass ich weit über das linke Spektrum hinaus mobilisieren kann: Ich erhielt am meisten Stimmen.
Bedauern Sie es manchmal, dass Sie nicht Nationalrätin werden? Sie waren ja Erstnachrückende und haben nach der Rücktrittsankündigung von Susanne Leutenegger Oberholzer Ihren Verzicht gemeldet.
Ich hatte mir das sehr gut überlegt und bin überzeugt: Das Exekutivamt entspricht mir deutlich mehr. Darum war dieser Entscheid richtig.
Man konnte schon lesen, dass Sie in der SP «verhindert» worden seien, weil man der jungen Samira Marti den Weg frei machen wollten.
Das ist komplett falsch. Ich habe das ohne Druck entschieden, der Verzicht erfolgte aus eigenen Stücken. Samira Marti wird eine tolle Nationalrätin.