Alles fest in Frauenhänden
25.09.2018 ZunzgenDas «Milchhüsli» hat 50 Jahre lang (beinahe) allen Stürmen getrotzt
Das «Milchhüsli», im Besitz der Milch- und Landwirtschaftlichen Genossenschaft Zunzgen, feiert heuer sein 50-Jahre-Jubiläum. Zu diesem Zweck hat die Genossenschaft die ...
Das «Milchhüsli» hat 50 Jahre lang (beinahe) allen Stürmen getrotzt
Das «Milchhüsli», im Besitz der Milch- und Landwirtschaftlichen Genossenschaft Zunzgen, feiert heuer sein 50-Jahre-Jubiläum. Zu diesem Zweck hat die Genossenschaft die Bevölkerung zu Wurst, Pommes und Wein eingeladen. Die Gäste bezeugten mit ihrem Kommen die Verbundenheit zu ihrem «Milchhüsli».
Heiner Oberer
Die Plastiktischtücher flattern im Wind. Hurtig eilt eine Mitarbeiterin des «Milchhüsli» Zunzgen herbei und befestigt den widerspenstigen Plastik mit Klebstreifen. Der Geruch von grillierten Kalbsbratwürsten und heissem Friture Öl wabert über den Festplatz vor dem «Milchhüsli», wo die Milch- und Landwirtschaftliche Genossenschaft Zunzgen die Bevölkerung am vergangenen Freitag zum Fest geladen hat. Das «Milchhüsli», oder «s Ligaläädeli», wie zahlreiche Eingesessene noch immer sagen, feiert das 50-Jahre-Jubiläum.
Elsbeth Ryser (76), die zusammen mit ihrem Ehemann Walter 36 Jahre das «Milchhüsli» geführt hat, erinnert sich: «Anfänglich holte der Kassier der Milch- und Landwirtschaftlichen Genossenschaft die Tageseinnahmen noch jeden Abend mit dem ‹Töffli› persönlich ab.» Mit der Zeit hätten aber die Bauern Vertrauen gefasst und der umtriebige Kassier habe seinen Kurierdienst eingestellt. Überhaupt sei die Zusammenarbeit mit den Landwirten problemlos gewesen.
Bekanntlich haftet den Bauern das «Joomeri»-Image an, sagt Ryser. «Nicht so den Zunzger Landwirten.» Sie hätten nie um Neuanschaffungen oder um die Übernahme von Reparaturkosten ringen müssen. Das habe wohl auch damit zu tun, dass die Genossenschaft finanziell prächtig aufgestellt sei, sagt die ehemalige Leiterin und zwinkert dem Genossenschafts-«Breesi» Hansruedi Wüthrich (59) freundlich zu. Er nimmt das Kompliment stoisch entgegen und hüllt sich in vornehmes Schweigen.
Für immer das «Milchhüsli»
Die Geschichte des «Milchhüsli» geht zurück auf das Jahr 1967. Es stellt sich nämlich die Frage, wie es mit der Milchannahme in Zunzgen weitergehen soll. Die Verantwortlichen der Genossenschaft beschliessen, an der Landstrasse 18 einen Neubau mit Laden zu erstellen. Auf der Suche nach einem geeigneten Verwalter für das neu erstellte «Milchhüsli» melden sich auf ein Inserat im «Unter-Emmentaler» Walter und Elsbeth Ryser. Man muss sich das einmal vorstellen, sagt Elsbeth Ryser. Gesucht wird «ein Verwalter-Ehepaar mit kaufmännischer Ausbildung, wenn möglich mit etwelchen Branchenkenntnissen», erzählt die ehemalige «Milchhüsli»-Leiterin. «Die kaufmännische Ausbildung war den Genossenschaftern wichtiger als Kenntnisse im Verkauf und im Umgang mit Lebensmitteln», sagt sie und lacht. Sei’s drum. Die Rysers haben die Anforderungen erfüllt und werden als Verwalter-Ehepaar angestellt.
Am 3. Mai 1968 wird das «Lebensmittelgeschäft mit Selbstbedienung», wie es im Inserat in der «Volksstimme» heisst, eröffnet. Angeboten werden: «Milch- und Milchprodukte, Vollsortiment an Lebensmitteln, Obst und Gemüse, Fleisch- und Wurstwaren, Sämereien, landwirtschaftliche Geräte,Textilien und Haushaltgeräte», wie es im Inserat weiter heisst. Neben den Arbeiten im Laden nimmt der gelernte Käser Ryser zusätzlich die Milch aus dem Dorf entgegen. Ab dem Jahr 1991 erfolgt der Milchumlad direkt in den Tanklastwagen. Drei Jahre später wird das Ladengeschäft umgebaut – auf die heutige Grösse von 200 Quadratmetern. Viermal hat der Name des «Milchhüsli» geändert. Bis 1987 prangt der Name «Liga» über dem Eingang. Anschliessen folgt «mon amigo». Sieben Jahre später «Primo». Seit dem Jahre 2005 kaufen die Zunzger im «Volg» ein. «Egal», sagt Elsbeth Ryser, «für mich bleibt es immer das ‹Milchhüsli›.» Vor zwei Jahren, nach dem verheerenden Unwetter und den daraus resultierenden Unwetterschäden, hat das Ladengeschäft ein zusätzliches Lifting erfahren.
Soziale Funktion
«Der Erfolg eines Geschäfts, in unserem Fall eines Genossenschaftsladens, steht und fällt mit dem Geschäftsführer», zeigt sich Hansruedi Wüthrich überzeugt. «Mit den Rysers», so Wüthrich weiter, «aber auch mit Fabienne Bitterli und Jeanine Mack, der heutigen Geschäftsleitung, haben wir das grosse Los gezogen.» Dem pflichtet Ueli Gysin (73) vom Hof Wuest, der 26 Jahre die Kasse der Genossenschaft gehütet hat, nickend bei. «Die Landwirtschaft, wie auch Zunzgen, hat sich in den vergangenen 50 Jahren stark verändert», sagt er. Lieferten anfänglich noch 24 Bauern die Milch ab, sind es 25 Jahre später noch deren 17. Heute ist die Zahl auf fünf zusammengeschrumpft. «Die Rysers mussten sich immer wieder etwas Neues einfallen lassen, um die Kundschaft zufriedenzustellen. Mit der Milchannahme war zum Schluss kein Geld mehr zu verdienen.»
So stellte sich die Frage: «Wie hält man ein Geschäft am Laufen, zunehmend bedrängt von Grossverteilern und Einkaufen im Ausland?» Für die ehemalige Verwalterin ist klar, dass das «Milchhüsli» bis heute eine soziale Funktion erfüllt: Man ist ins Gespräch gekommen. Auch wenn es etwas abgedroschen tönt: ‹Man hat sich Zeit genommen für die Kunden›.» Dem pflichtet die heutige Ladenleiterin und Stellvertreterin der Geschäftsleiterin, Jeanine Mack, bei. «Auch heute ist der persönliche Kontakt noch wichtig.» Dass sie diese Philosophie auch lebt, zeigt sich während des Gesprächs. Die Kunden werden freundlich begrüsst. Man kennt sich. Man ist per du.
Fabienne Bitterli, die Geschäftsleiterin, ergänzt: «Ist jemand nicht mehr gut zu Fuss, wird ihm beim Einkauf geholfen. Wir bringen den Einkauf auch schon mal nach Hause», sagt sie. Die Angestellten sind nahe bei Kunden. «Überdies», so die Bitterli, «haben wir zahlreiche regionale Produkte im Sortiment und die neu integrierte Postfiliale trägt weiter dazu bei, dass die Bewohner beim ‹Milchhüsli› vorbeikommen.»
In einer kurzen Ansprache würdigt der Genossenschafts-Präsident Hansruedi Wüthrich die Verdienste der ehemaligen und jetzigen Geschäftsleitung und der fünf Fest- und drei Teilzeitangestellten und der zwei Lernenden. Man prostet sich mit Fendant zu, beisst in die heisse Wurst und blickt zuversichtlich in die Zukunft. Beim Fendant du Valais, der zum Apéro gereicht worden ist, zeigt sich allerdings, dass sich die Umsetzung des regionalen Gedankens nicht immer leicht verwirklichen lässt. Sei es drum. Die Anwesenden sind einhellig der Meinung, dass dem Zunzger «Milchhüsli» noch ein langes Leben beschert sein wird.