HERZBLUT
31.08.2018 GesellschaftZauberwörtli
Grüezi, liebe Leserin, lieber Leser
Man kann sich streiten, ob «Grüezi» ursprünglich ein Verb ist, das sich zum Adverb abschliff. Für mich fällt dieses Wort in die grammatikalische Gruppe der ...
Zauberwörtli
Grüezi, liebe Leserin, lieber Leser
Man kann sich streiten, ob «Grüezi» ursprünglich ein Verb ist, das sich zum Adverb abschliff. Für mich fällt dieses Wort in die grammatikalische Gruppe der «Zauberwörtli», eine Wortart, die in keinem Grammatikbuch steht und deshalb am besten in der Kinderstube gebüffelt wird.
Vom Zauberwörtli reden die Mütter, wenn sie ihrem Kind wieder einmal in Erinnerung rufen, dass es bitteschön an eine Bitte ein «Bitte» anhängen soll. Sonst wird nichts aus dem Sirup im schönsten Glas, dem Kaugummi an der Kasse oder «Flipper» im Fernsehen. Und wird dann der Wunsch – und handle es sich auch nur um ein neues Handy XS57- 2000 mit Zugang zu «Warzab» oder wie das heisst und integriertem Teleclub-Fernsehen – tatsächlich erfüllt, kommt das andere Zauberwörtli zum Zug, das «Dankeschön».
Das dritte wird unterschiedlich gehandhabt. «Grüezi» gehört im Oberbaselbiet zum guten Ton. Hätte ich am vergangenen Samstag, als ich mich kurz vor Mitternacht durch die Basler «Steine» heimwärts kämpfte, jedem Nachtschattengewächs einen Gruss zugerufen, würde mir jetzt die Zeit fehlen, meine Gedanken zu den Zauberwörtli in Zeilen zu giessen.
Was mir meine Mutter vor über einem halben Jahrhundert eintrichterte, war bei mir nachhaltiger als jeder Vorstoss der Grünen. Noch heute danke, bitte und grüeze ich unablässig, entdecke dafür aber regelmässig andere Mängel bei meinen Umgangsformen: Habe ich der Person, die ich eben kennengelernt habe, meinen eigenen Namen genannt? Eben habe ich wieder auf eine Einladung reagiert, ohne mich zuerst einmal zu bedanken.
Eine bittere Nachhilfe-Lektion über Zauberwörtli wurde mir einst in London erteilt, als ich dort eine Bekannte besuchte. Sie tastete sich als Au-pair-Frau in einem vornehmen Haus an die Geheimnisse der englischen Sprache heran. Es war unüberhörbar, dass sie aus dem Land von Ogi Dölf stammt. Ich hingegen beherrschte die Sprache Shakespeares und David Beckhams, wie ich mir als Anglistik-Student damals einbildete, perfekt. Als ich am Tresen mit queen-mässigen Wendungen lässig zwei Bier, für mich ein Guinness, bestellte, korrigierte sie mich sogleich: «Beende jeden Satz mit einem ‹Please›, bitte.»
Für die letzte Lektion im vorbildlichen Gebrauch von Zauberwörtern war der schnellste Schweizer zuständig. Als ich Sprinter Alex Wilson auf den 13. September als Gast ins «Nachtcafé» einlud, bedankten sich der Sportler und sein Trainer so lange, dass ich glatt vergass, ihnen für die Zusage zurück zu danken (was hiermit nachgereicht sei). Das beim Verband bestellte Pressefoto wurde E-Mailwendend zugestellt mit der Bemerkung, dass sich der Verband für das Interesse und die Plattform für Wilson herzlich bedanke.
Da die Mehrheit von Zeitungsartikeln und Kolumnen, wie Statistiken belegen, nicht bis zum Ende gelesen wird, entbiete ich allen meinen besten Dank, die sich bis zum letzten der von mir geforderten
3000 Zeichen, die ich hiermit exakt erreicht habe, durchgebissen haben.
Jürg Gohl, Autor «Volksstimme»