Zwischen Sternenhimmel und Mückenstichen
14.08.2025 SchweizWarum Open-Air-Kino trotz Hitze, Insekten und Technikpossen ein besonderes Erlebnis bleibt
Eigentlich bevorzugt Michael Sennhauser den dunklen Kinosaal – frei von Mücken, Wind und Wetter. Doch als Filmjournalist hat er über die Jahre immer wieder magische Open-Air-Momente ...
Warum Open-Air-Kino trotz Hitze, Insekten und Technikpossen ein besonderes Erlebnis bleibt
Eigentlich bevorzugt Michael Sennhauser den dunklen Kinosaal – frei von Mücken, Wind und Wetter. Doch als Filmjournalist hat er über die Jahre immer wieder magische Open-Air-Momente erlebt. Von nostalgischen Leinwandabenden in Basel bis zu stillen Kopfhörer-Nächten in Neuchâtel: Ein Streifzug durch die Freiluftkino-Wunder der Schweiz.
Eigentlich mag ich das Konstrukt Open-Air-Kino gar nicht. Im dunklen Kinosaal hoffe ich stets darauf, in eine andere Welt abtauchen zu können. Aber wenn man dabei von Mücken gestochen wird, ist es schwierig, im Rebellenkampf um Alderaan zu bestehen. Im Weltall gibt es keine Mücken.
In meinen Jahrzehnten als Filmjournalist habe ich zu meiner Überraschung dann aber doch immer wieder grossartige Open-Air-Vorstellungen erlebt. Die beste war die nostalgische Wiederaufführung von Luc Bessons Durchbruchsfilm «Subway» mit Christopher Lambert und Isabelle Adjani auf dem Münsterplatz in Basel, irgendwann in den Nuller-Jahren, viele Jahre nachdem mich die Premiere des irren Pariser Punk-Metro-Musical von 1985 so richtig weggeputzt hatte.
Peter Hürlimann, der Boss des Zürcher Kino- und Filmgeräte-Verleihs Cinerent, hatte für seine Idee der grossen städtischen Open-Air-Kinos auch schon damals, gegen Ende der 1980er-Jahre, Sponsoren gesucht. Denn anders als zu vermuten wäre, ist das kein risikoloses Geschäft – nur schon aufgrund der kompletten Wetterabhängigkeit (und natürlich wegen der Mücken). In Zürich stellte Hürlimann seine Leinwand schliesslich in den See, in Basel auf den Münsterplatz.
Schwitzen auf der Piazza Grande
Und so passierte es dann, dass sich für mich das rasante, vollständig unterirdische Pariser-Metro-Getrommel von Jean Reno mit der vertrauten Ambiance des Basler Münsterplatzes und dem damals gerade ziemlich grossartigen Basler Sternenhimmel zu einem wahrhaft orgiastisch-glückseligen Retrofilmbegeisterungssturm verbanden, ein Basel-Paris-Kinohimmel! Mit Isabelle Adjani. Dagegen kamen die Mücken nicht an.
Hürlimanns grosse Open-Airs gibt es immer noch, mittlerweile mit der zweiten oder dritten Sponsoren-Generation. Und Hürlimanns Firma ist unterdessen einer der wichtigsten Anbieter für mobile Riesenleinwände weltweit; das allabendliche Hochfahren der wettersicheren Klapp-Screens ist längst Teil der Show geworden.
Die andere weltberühmte Schweizer Open-Air-Leinwand, jene des Filmfestivals von Locarno, ist übrigens gerade Gegenstand einer Altherren-Posse. Der Tessiner Architekt Livio Vacchini hatte die Stahlrohrkonstruktion vor mehr als 50 Jahren in kurzer Zeit entworfen und realisiert, seither wurde sie jeden Sommer auf der Piazza Grande mit viel Aufwand auf- und wieder abgebaut. Nachdem die Festivalleitung nun festgestellt hat, dass die mittlerweile nötigen Restaurationsaufwände um ein Mehrfaches teurer wären als der Ersatz des «schermo» durch eine neue, leichter auf- und abbaubare Leinwand, wurde die alte Konstruktion dieses Jahr ersetzt.
Dies erboste den Tessiner Stararchitekten Mario Botta und diverse Mitstreiter dermassen, sodass sie eine Petition zur Rettung des in ihren Augen einmaligen architektonischen Provisoriums lancierten.
Europas grösstes Open-Air-Kino hat sich dadurch nicht verändert. Nach wie vor schwitzen im August auf der meist glühend heissen Locarneser Piazza Grande Abend für Abend bis zu 8000 Menschen auf den traditionellen Plastikstühlen und sorgen mit Stadionstimmung dafür, dass die schiere Masse des Kollektivs schlechte Filme besser und gute Filme einmalig macht.
Kinoerlebnis ohne Lärm
Persönlich ziehe ich nach wie vor den Kinosaal dem offenen Himmel vor. Aber gerade weil die Open-Air-Kinos mittlerweile fast endemisch durch die Sommermonate geistern, von der Badi bis zum Museumsinnenhof, oder emissionsfreundlich velodynamogetrieben am grünen Hügel im Park, oder im städtischen Quartier guerillamässig an die Fassade des Gegenblocks projiziert, tauchen immer wieder Innovationen auf, welche tatsächlich zu einem eigenen Erlebnis werden.
Zum Beispiel in der Altstadt von Neuchâtel. Dort projiziert das Team des stets im Juli in etlichen Neuenburger Kinos stattfindenden «Neuchâtel International Fantastic Film Festival» (NIFFF) jeweils am Abend zwei Filme für das sich in Liegestühlen auf dem Marktplatz versammelnde Publikum. Um die ruhige Altstadt nach Mitternacht nicht mit Kinolärm zu belästigen, wird der Ton für die Mitternachtsvorstellung dabei über Bluetooth-Kopfhörer ausgegeben. Was dazu führt, dass man sich hunderte von verzückt und in aller Stille daliegende Menschen anschauen kann, bei denen am Kopf die Bluetooth-LED blinken und dabei die lachenden oder hochkonzentrierten Gesichter zusätzlich zum Licht von der Leinwand hochdramatisch und vollkinetisch beleuchten.
Für die Open-Air-Kinogängerinnen und -Kinogänger ein surrealer Traum. Und für Neuchâtels Mücken ein Verwirrspiel ohnegleichen.
Michael Sennhauser
Der Autor dieses Beitrags, Michael Sennhauser (1961), ist in Itingen aufgewachsen und war von 2002 bis 2024 Fachredaktor Film bei Radio DRS 2 bzw. Radio SRF 2 Kultur. Er war Präsident des Schweizer Filmjournalistenverbands.