Zwei Herzen in der Brust
28.06.2024 LausenEM-Spiel Schweiz– Italien bei den Rossoneri
ch. Heissblütige Tifosi rufen «Forza Italia! Avanti! Forza Ragazzi!». Sie reissen sich vor dem Bildschirm das blaue Trikot vom Leib, verwerfen die Hände, kauen Fingernägel, brechen – je ...
EM-Spiel Schweiz– Italien bei den Rossoneri
ch. Heissblütige Tifosi rufen «Forza Italia! Avanti! Forza Ragazzi!». Sie reissen sich vor dem Bildschirm das blaue Trikot vom Leib, verwerfen die Hände, kauen Fingernägel, brechen – je nachdem – in frenetischen Jubel oder in Tränen aus. So stellen wir es uns vor, wenn Italiener ihrer Squadra Azzurra zujubeln, sie anfeuern und mit ihr leiden.
In Italien mag dies die Realität sein, in der Schweiz hingegen wohl nicht mehr so sehr, wie zu jener Zeit, als italienische Einwanderer in der Schweiz eigene Quartier-, Kultur- und Sportvereine gründeten, wo sie unter sich waren. Diese Vereine sind entweder überaltert und der Auflösung geweiht oder mit Menschen anderer Nationalitäten durchmischt.
Ersteres gilt für den Circolo ricreativo italiano (Cris) in Sissach. Das Vereinslokal an der Kirchgasse sei nach wie vor fast täglich geöffnet, sagt Vereinssekretär Federico Tomeo (82), aber die Mitglieder werden immer rarer. Die meisten, die im Lokal jassen, bei einer Tasse Kaffee oder einem Glas Wein plaudern oder gemeinsam kochen und essen, seien pensioniert. Junge kämen keine nach. Und auch die Fussballbegeisterung sei im Verein nicht mehr so wie früher. Anstatt selber etwas auf die Beine zu stellen wie an vergangenen Welt- oder Europameisterschaften, stelle man den Platz vor dem Lokal dem Pub nebenan für dessen EM-Aktivitäten zur Verfügung.
Gut im Saft steht dagegen der Lausner Fussballclub Rossoneri, der sich nach dem Aufstieg in die 2. Liga behaupten konnte. Jedoch sind die Italiener, die den Klub 1962 gründeten, im Gegensatz zum Sissacher Cris längst nicht mehr unter sich. «Während der ersten 30 oder 40 Vereinsjahre wurden die Generalversammlung auf Italienisch abgehalten», sagt Rossoneri-Vorstandsmitglied Luca Mulas. An der GV werde nun Schweizerdeutsch gesprochen und die Mitglieder seien «multikulti»: «Die Italiener bildeten keine Mehrheit mehr.» Zudem seien viele Italiener assimiliert – auch Mulas selber: «Meine Freundin sagt manchmal, ich sei ein Bünzlischweizer», sagt er. So ganz falsch liege sie damit ja nicht: «Ich habe zwar den italienischen Pass, bin aber hier geboren und aufgewachsen und fühle mich als Schweizer.»
Das wird ihn morgen Abend in einen Konflikt stürzen, wenn er im Rossoneri-Klubhaus den EM-Achtelfinal zwischen der Schweiz und Italien verfolgen wird. Unabhängig davon, wie gut oder schlecht die Teams in der Vorrunde ausgesehen haben, falle es ihm schwer, sich für eines zu entscheiden. Mehreren anderen Vereinsmitgliedern gehe es ebenso.
Im Klublokal des Lausner «Italiener»-Fussballvereins werden jeweils abends die EM-Spiele an einem grossen Fernseher gezeigt. Auch Nichtmitglieder sind willkommen. Vereinsfunktionär Mulas rechnet mit einer gut besetzten Klubbeiz und leichten Fan-Vorteilen für Italien. Auch sportlich favorisiert er aufgrund der starken Defensive und Turniererfahrung die Azzuri.
Der Beizer des Klublokals will es sich weder mit den Schweizern noch mit den Italienern verscherzen. So servierte er bei Schweiz–Deutschland Wurst-Käse-Salat und morgen gibt es Costine vom Grill. Hopp Italia!