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21.03.2025 GelterkindenDie Wandergruppe und das Nervensystem
Was hat die Wandergruppe mit dem Nervensystem zu tun? Ich werde versuchen, den Zusammenhang herzustellen.
Zwischen dem Nervensystem und der Bewegung besteht eine innige, untrennbare Beziehung. Unsere Muskeln werden durch ...
Die Wandergruppe und das Nervensystem
Was hat die Wandergruppe mit dem Nervensystem zu tun? Ich werde versuchen, den Zusammenhang herzustellen.
Zwischen dem Nervensystem und der Bewegung besteht eine innige, untrennbare Beziehung. Unsere Muskeln werden durch Nerven gesteuert, und in einem früheren Beitrag habe ich geschildert, wie Nerven auf natürliche Art selbstständig den Kontakt und die Verbindung zu den Muskeln suchen. Aber ebenso werden im Nervensystem äussere Reize wie Temperatur, Geräusche, optische Eindrücke, Druckbelastungen, Gerüche oder Geschmäcker registriert, weitergeleitet und ausgewertet.
Das Grosshirn ist stets beteiligt, ebenso ist ein oft unbeachteter Teil des Gehirns, das sogenannte Kleinhirn, für die Feinsteuerung der Bewegung zuständig. Dieser Teil des Gehirns liegt unter dem Grosshirn am Übergang zum Rückenmark in der sogenannten hinteren Schädelgrube. In seiner enorm aufgefalteten Form, deren Struktur der Oberflächenvergrösserung dient, liegt nochmals dieselbe Anzahl von Nervenzellen wie im gesamten Grosshirn (!). Diese sind eng vernetzt, sehr robust und langlebig gebaut und es kommt selten zu spontanen Ausfällen durch Schlaganfälle oder Durchblutungsstörungen, weshalb man seine wichtige Funktion auch kaum kennt.
Die feinste Bewegungskoordination, wie sie bei Handwerkern, bei Uhrmachern, bei Chirurgen, bei Schützen oder bei vielen anderen Sportarten nötig ist, wird durch das Kleinhirn gesteuert und modelliert. Steigt es trotzdem (meist teilweise) aus, führt dies zu eindrücklichen unkontrollierten Bewegungsstörungen mit ungebremsten oder überschiessenden Abläufen der Bewegung, die kaum ein normales Leben mehr zulassen.
Nicht alles kommt vom Gehirn
Jede Nervenzelle spielt bei einer Bewegung eine Rolle, sei es, dass sie aktiv ist oder dass sie sich gezielt ruhig verhalten muss. Nervenkontakte werden ständig aktiviert, aufgebaut, verstärkt, erneuert, abgebaut oder sogar aufgegeben, je nach Gebrauch. (Die Erkenntnis: «Use it or lose it» bzw. «Gebrauch es oder verlier es»). Enorm viele Schaltstellen sind zur Kontrolle eines Bewegungsablaufs notwendig. Jedoch wird nicht jede Bewegung vom Gehirn erzeugt. Es existieren auch sogenannte Reflexbogen, die spontane Bewegungen auslösen.
Berührt zum Beispiel ein Finger eine heisse Herdplatte, wird der Rückzug eingeleitet, bevor das Gehirn ihn registriert hat. Ein lauter Knall in der Nähe löst unmittelbar eine Bewegung des Kopfes oder des ganzen Körpers aus, Blitzlichter lassen die Augen schliessen und vieles mehr. Einige Reize lösen kontrollierte Bewegungen aus, eingeübte Schaltstellen entscheiden, ob eine Bewegung stattfinden soll und wie stark diese sein muss. Typisch dafür wäre als Beispiel eine Reflexreaktion, wie sie beim Stolpern ausgelöst wird.
Jede Bewegung wird irgendwie vom Gehirn und dem Nervensystem mitkontrolliert. Rasche Reflexreaktionen werden anschliessend interpretiert und ausgewertet. Überschiessende Bewegungen werden gebremst – so werden Gelenke geschont oder das Zittern modelliert, bei dem ständig feine Ausgleichsbewegungen stattfinden. Selbstständige und unbewusst ablaufende Bewegungen wie Herzschlag, Darm- und Blasenfunktion oder Ermüdung der Muskeln werden vom Gehirn empfangen, gedeutet und falls notwendig beantwortet sowie reguliert. So wird körperliche Belastung mit dem vorhandenen Budget und den körperlichen Reserven abgeglichen. Diese Regulierung sichert schlussendlich auch das Überleben des Organismus.
Aus allem, was ich bisher geschildert habe, lässt sich herauslesen, dass Bewegung den ganzen Menschen erfasst, und so wundert es auch nicht, dass dadurch der Stoffwechsel, der Kreislauf und auch das Gehirn miterfasst und mittrainiert werden. Bekannt ist ihre positive Wirkung auf die Gesundheit allgemein. Hoher Blutdruck, Herzinfarkte, Durchblutungsstörungen oder Schlaganfälle werden weniger häufig. Ebenso bessern sich Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes mellitus oder zu hohe Cholesterinwerte, Depressionen, Stimmungsschwankungen und Angststörungen. Schlafstörungen können verbessert und Stressbelastungen ausgeglichen werden. Bei Studien, die den Einfluss von körperlicher Aktivität auf die Verträglichkeit von Chemotherapien untersuchten, konnte gezeigt werden, dass körperlich Aktive die belastenden Therapien tendenziell besser ertragen.
Am besten in Gesellschaft
Kann körperliche Aktivität auch das Demenzrisiko verringern? Durch sie wird die Durchblutung des Gehirns angeregt und es konnte nachgewiesen werden, dass neue kleinste Blutgefässe (Kapillaren) und mit ihnen auch neue Nervenzellen gebildet werden. Besonders interessant ist, dass auch in einem wichtigen Schaltkern des Gehirns, dem Hippocampus (Seepferdchen, so genannt wegen seiner Form), diese Neubildung von Nervenzellen nachgewiesen wurde. Dieser Kern spielt unter anderem beim Gedächtnis eine wichtige Rolle. Dort wird entschieden, wo, wie lange und ob überhaupt eine Erinnerung gespeichert wird. Ebenso ist er für das Abrufen der Gedächtnisinhalte zuständig, eine komplexe Geschichte, wie wohl jeder aus eigener Erfahrung weiss – vor allem, wenn die Antwort später eintrifft als gewohnt.
Ohne Bewegung oder mit wenig Bewegung verkümmern frühere und vorher aktive Nervenverbindungen im Nu und müssen zu deren Reaktivierung wiederaufgebaut werden. Besonders im Alter gilt es, mittels Kraft-, Beweglichkeits- und Gleichgewichtsübungen diesen Abbau zu reduzieren. Damit wird auch die Sturzgefahr vermindert.
Und hier komme ich auf die im Titel erwähnte Wandergruppe zurück. Wandern in einer Gruppe ist angewandte gesunde körperliche Aktivität, bei der es nicht unbedingt um Leistung geht, die aber verbunden ist mit Eindrücken in der Natur und mit sozialen Kontakten. Auch Velofahrten, Tanzen, Schwimmen, Orientierungslauf oder andere lustvolle körperliche Betätigungen fördern Ausdauer, Kraft, Beweglichkeit, Gleichgewicht und Koordination. Ich betrachte sie wie eine Auffrischimpfung für das ganze Nervensystem, da durch sie ein Grossteil des gesamten Nervensystems angeregt und aktiviert wird.
Gleichzeitige soziale Kontakte wecken das Gehirn zusätzlich. Je älter man ist, desto mehr profitiert man davon. Auch Hundespaziergänge in freier Natur gehören wegen ihrer Regelmässigkeit zu den gesundheitsfördernden Tätigkeiten. Ohne körperliche Aktivität und soziale Kontakte baut das gesamte Nervensystem unweigerlich früher ab. Leider kann sie nicht einfach wie eine Gesundheitspille geschluckt werden, sondern es erfordert einen eigenen Einsatz, der sich aber lohnt. Und in einer Gruppe macht es meistens noch mehr Spass.
Max Handschin
Alles auf einen Blick
vs. Max Handschin hat alle seine Beiträge, die bisher in der «Volksstimme» in der Rubrik «Zeit für neues Wissen» erschienen sind, in einem Buch im PDF-Format zusammengestellt. Personen, die sich für das Buch interessieren, können sich per E-Mail direkt bei Herrn Handschin melden. Das Buch ist kostenlos erhältlich.
max.handschin@gmail.com