Wo Bauabfälle vergoldet werden
03.10.2025 SissachDas ist Sissach (39. Teil) | Seit 70 Jahren betreiben Einwohner- und Bürgergemeinde die Deponie Strickrain
Mit der Inertstoffdeponie Strickrain verdient Sissach gutes Geld. Davon profitiert die Bevölkerung mit einem moderaten Steuerfuss sowie von der ...
Das ist Sissach (39. Teil) | Seit 70 Jahren betreiben Einwohner- und Bürgergemeinde die Deponie Strickrain
Mit der Inertstoffdeponie Strickrain verdient Sissach gutes Geld. Davon profitiert die Bevölkerung mit einem moderaten Steuerfuss sowie von der öffentlichen Hand mitgetragenen kulturellen Leistungen und Freizeitangeboten, die über das übliche Mass hinausgehen.
Christian Horisberger
Es gibt im Baselbiet zweierlei Bürgergemeinden: Jene, die jeden Franken zweimal in der Hand umdrehen müssen, bevor sie ihn ausgeben, und jene, die durch eigenes Bauland, Legate oder eine Deponie auf ihrem Boden zu Wohlstand gekommen sind. Zu Letzteren gehört die Bürgergemeinde Sissach. Durch die Deponie Strickrain, die in den 1960er-Jahren in einem Waldstück im Besitz der Bürgergemeinde eröffnet worden ist, fliesst regelmässig Geld in die Bürgerkasse. Und das nicht zu knapp. Diese Einkünfte aus der Inertstoff- oder Bauschuttdeponie ermöglichen es ihr, sich im grösseren Stil für kulturelle Anliegen und Projekte zu engagieren. Dazu später mehr.
Die Gründung der Deponie Strickrain geht auf eine Initiative der Einwohnergemeinde zurück. Im Mai 1964 schrieb die «Volksstimme» in ihrer Berichterstattung von einer Gemeindeversammlung unter anderem dies: «An die Bürgergemeinde Sissach wird das Gesuch gerichtet, sie möchte der Einwohnergemeinde im Strickrain pachtweise einen Deponieplatz zur Verfügung stellen.» Abgelagert wurden Aushub, Bauschutt und Sperrgut
– sogenannte Inertstoffe. Als nach wenigen Jahren Betriebsdauer auch das Ablagern von Kehricht zur Debatte gestellt wurde, meldeten Naturschutzkreise Bedenken wegen einer möglichen Gewässerverschmutzung an. Die Idee wurde verworfen. Und 1975 lehnte das kantonale Wasserwirtschaftsamt das Deponieren von Industrieabfällen ab.
So ist der «Strickrain» bis heute eine Inertstoffdeponie geblieben. Zuletzt wurde er in den Jahren 2005 um 500 000 und 2018 um 1,1 Millionen Kubikmeter erweitert. Das verbliebene Volumen von heute 880 000 Kubikmetern soll in den nächsten 20 Jahren aufgefüllt werden. Die jährliche Auffüllmenge ist aktuell auf 44 000 Kubikmeter oder 75 000 Tonnen beschränkt.
Wie auf dem Mond
Um eine konkrete Vorstellung von diesen enormen Mengen zu bekommen, ist ein Besuch der Deponie unerlässlich: Das Gelände erinnert vage an eine Mondlandschaft – lebensfeindlich, vorwiegend eben und weitläufig. Eine Walze, ein Raupenlader und ein Bagger wirken auf dem riesigen, etwa drei Fussballfelder grossen Areal wie «Matchbox»-Spielzeuge. Der Boden ist mehrheitlich trocken und kahl. Die Stellen, wo zuletzt Material hingekippt oder verschoben worden ist, sind an der dunkleren Färbung erkennbar. Die von der Sonne getrockneten Bereiche sind hellbraun. In einem Halbkreis wird der Deponiebereich eingerahmt von einem bewaldeten Hang. Blickt man in Richtung Süden, ist die Sicht frei auf die nächste Jurakette ennet dem Ergolztal und einen an diesem Tag grandiosen, wolkigen Himmel.
Diese Fläche wird nun Schicht um Schicht aufgefüllt, wobei jede dieser Schichten mehrere Meter dick ist und die Lastwagenpiste stets neu angelegt werden muss. Die Bäume des umgebenden Waldes werden etappenweise gefällt und im selben Rhythmus wird die Böschung der Deponie mit Jungbäumen bepflanzt. Die letzten Bäume werden zwischen 35 und 55 Meter über dem ursprünglichen Niveau Wurzeln fassen.
Obwohl für die Inertstoffdeponie Bauabfälle wie Betonabbruch, Strassenaufbruch, Ziegel, Glas, Beton oder Asbest vorgesehen sind, sticht derlei kaum ins Auge. Grobes Material, erfahren wir von Philipp Lützelschwab vom Forstrevier Sissach, der bei einem Augenschein mit einer Walze das angelieferte Material verdichtet, werde vermehrt dem Recycling zugeführt. Dies ist vom Kanton gewollt und wird von den Betreibern grundsätzlich begrüsst, wie Marcel Meier, bei der Gemeinde Sissach verantwortlich für den Deponiebetrieb, betont. Jedoch fehle durch die wachsende Recyclingquote mehr und mehr gröberes Material, das hilft, den Untergrund zu verfestigen. Durch die Hanglage der Deponie bestehe damit ein erhöhtes Risiko von Rutschungen. Der Befestigung des Hangs müsse daher umso grössere Aufmerksamkeit geschenkt werden.
Das Managen einer Deponie ist aufgrund vieler involvierter Parteien komplex: Für jede Baustelle oder Abfall einer Entsorgungsanlage, von der Material angeliefert werden soll, muss eine vom Kanton ausgestellte Entsorgungsgenehmigung via Internet (EGI) vorliegen. Hat auch die Gemeinde keine Einwände, hat der Unternehmer mit der zugeteilten EGI-Nummer Zutritt zur Deponie. Das Unternehmen kann seine Lastwagen nun nach Sissach schicken. Am videoüberwachten Check-in am Fuss der Deponie gibt der Chauffeur seine EGI-Nummer ein, worauf das Fahrzeug gewogen, das Autokennzeichen registriert wird und die Barriere sich hebt. Bei der Ausfahrt wird der Camion nochmals gewogen und aufgrund der abgeladenen Menge wird Rechnung gestellt.
Je nach Materialart kommen unterschiedliche Tarife zur Anwendung: von 31 Franken für eine Tonne selten angelieferten Humus und sauberen Aushub bis zu 82 Franken für Eternit. Bei der in Sissach deponierten Ware handelt es sich laut Marcel Meier zu 90 Prozent um verschmutzten Aushub und Mischabbruch für 44 Franken pro Tonne.
Die Kontrolle der abgeladenen Ware erfolgt, wenn der Mitarbeiter vor Ort das während seiner Abwesenheit abgeladene Material beim Ausbreiten prüft. Bei Unregelmässigkeiten wird das AUE verständigt. Falls ein gröberer Verstoss gegen die Deponieordnung vorliegt, muss das Material wieder abgeholt und anderweitig entsorgt werden. Dies kommt laut Meier einbis zweimal im Jahr vor. Im Wiederholungsfall werde ein fehlbares Unternehmen von der Deponie ausgeschlossen. Das AUE macht auch eigene unangemeldete Kontrollen des Deponiebetriebs und alle drei bis fünf Jahre statten Bundesbeamte dem «Strickrain» einen Besuch ab.
Die Gemeinde Sissach muss gegenüber dem Kanton über die Art des deponierten Materials, dessen Herkunft, Menge und Anlieferer Rechenschaft ablegen. Ebenso ist sie dazu verpflichtet, das Grundwasser und das Ergolz-Wasser nach den Vorgaben von «Liestal» zu untersuchen, ober- und unterirdische Erdbewegungen zu messen, ökologische Ausgleichsmassnahmen zu treffen und das aufgefüllte Gelände aufzuforsten. Es sind dies Bedingungen, die an die Betriebsbewilligung der Deponie geknüpft sind, ausgestellt vom Kanton Baselland.
Lizenz zum Geldverdienen
Im Gegenzug haben die Betreiber die Lizenz, mit verhältnismässig wenig Aufwand viel Geld zu verdienen: Im Jahr 2024 fielen Deponiegebühren von insgesamt 3,32 Millionen Franken an. Die Gesamtausgaben beliefen sich auf 730 000 Franken (darin enthalten stolze 425 000 Franken für einen Deponiesanierungs-Ausgleichstopf des Bundes). Macht unter dem Strich einen Gewinn von knapp 2,6 Millionen, den sich die Einwohnergemeinde als Betreiberin und die Bürgergemeinde als Grundeigentümerin fifty-fifty teilten.
Die Zufahrt zum Strickrain erfolgt fast direkt ab A2 und A22. Die Kipper verlassen die Hauptverkehrsachse via Kreisel bei der Chienbergtunnel-Einfahrt, passieren die Schrebergärten beim Tenniscenter sowie wenige Wohnhäuser und befinden sich bereits wieder ausserhalb des Siedlungsgebiets.
Dies dürfte dazu beigetragen haben, dass die Erweiterungen der Deponie jeweils kaum bestritten gewesen sind. Und wohl auch, dass die Einkünfte aus der Deponie letztlich der Bevölkerung zugutekommen. Wenn im Zusammenhang mit der Einwohnerrechnung vom «Strickrain» die Rede ist, heisst es immer so schön, dass die Einnahmen eine um zwei Prozentpunkte tiefere Gemeindesteuer ermöglichen würden: Das Deponie-Geld fliesst in den allgemeinen Gemeindehaushalt.
Bei der Bürgergemeinde sieht es anders aus. Die Einnahmen haben ihr über die Jahrzehnte ein stattliches Vermögen beschert. Sie kann es sich leisten, Geld für Dinge auszugeben, die über Einbürgerungen und die Bewirtschaftung des Waldes hinausgehen. Dies sei ein Privileg für seine Bürgergemeinde, sagt Bürgergemeindepräsident Christoph Tschan, weist aber darauf hin, dass es sich dabei ebenfalls um eine Aufgabe der Bürgergemeinden handle: die Heimatverbundenheit zu fördern und kulturelle Bestrebungen zu unterstützen.
In Bezug auf die Heimatverbundenheit trifft das Heimatmuseum an der Zunzgerstrasse mitten ins Schwarze. Neben der Dauerausstellung finden hier wechselnde Ausstellungen statt; aktuell ist das 800-Jahre-Jubiläum von Sissach angesagt. Einen Steinwurf vom Museum entfernt befindet sich das Restaurant Linde mit der Metzgerei. Die Bürgergemeinde hatte das Haus erworben, um sicherzustellen, dass das Dorf seinen letzten eigenständigen Metzger nicht verliert. Auch das Kino Palace, das erworben, saniert und mit einer Solaranlage ausgestattet worden ist, hätte ohne die Bürgergemeinde schliessen müssen. Und es darf daran gezweifelt werden, dass ein privater Investor gefunden worden wäre, der das Restaurant Schwyzerhüsli oder «Stöpli» ebenfalls totalsaniert und wieder als Beiz verpachtet hätte. Dass das Lokal nun ausgezeichnet läuft, freut Tschan ausserordentlich.
Ein grosser Erfolg ist der Waldspielplatz, den die Bürgergemeinde im Tännligarten 2011 angelegt und dieses Jahr komplett erneuert hat. Der Spielplatz ist bei Schulklassen und Familien mit kleinen Kindern gleichermassen beliebt. Der Spielplatz ist zugleich Zielort des Erlebnispfads, den die Bürgergemeinde der Bevölkerung zum 800. Geburtstag der Gemeinde geschenkt hat.
Die bisher kostspieligste ist zugleich die jüngste Investition in Immobilien: der Kauf der imposanten, ortsbildprägenden Liegenschaften der Buess Weinbau und Weinhandel AG. 4,4 Millionen Franken liessen die Bürgerinnen und Bürger dafür springen. Im März dieses Jahres sagten sie mit überwältigender Mehrheit Ja zum Kauf, seit Juli ist die Übernahme amtlich.
Aktuell keltert die Buess AG in ihrem langjährigen Domizil letztmals Wein, und bis Mitte 2026 wird sie all ihre Aktivitäten an ihrem Standort in der Westschweiz konzentrieren. Für die zukünftige Nutzung der diversen Räumlichkeiten der Buess-Liegenschaft – Büros, Keller, Lager, Degustationsraum – gebe es Anfragen verschiedener Interessenten, so Tschan. Seitens des Bürgerrats bestünden jedoch noch keine konkreten Pläne. Bis Mitte 2026 würden der Bürgergemeinde die Möglichkeiten einer Entwicklung der Liegenschaft aufgezeigt.
Möglicher neuer Deponiestandort
Auch das Sissacher Kulturleben prägt die Bürgergemeinde massgeblich mit. Sie gehört zu den Unterstützern regelmässiger Veranstaltungen wie der Fasnacht, «Jazz uf em Strich» oder der «Kultournacht» und leistet Beiträge an Einzelprojekte – von der neuen Uniform für den Musikverein über die Kunstausstellung auf der Fluh und das Konzert auf dem Schulhausplatz bis hin zum Buch übers Metzgen. «Voraussetzung ist, dass das Projekt einen Bezug zum Dorf hat», sagt Tschan. Um die 30 Beitragsgesuche würden jedes Jahr eingehen, wohl die Hälfte davon erfülle die Kriterien. Der Präsident schätzt, dass auf diese Weise jährlich 30 000 Franken in die Kultur fliessen.
Und wenn der «Strickrain» aufgefüllt ist? Muss sich die Bürgergemeinde als Mäzenin zurückziehen? Eher nicht. Laut Tschan dienten die Liegenschaften nicht zuletzt auch dazu, nach dem «Strickrain» aus den Mietzinsen Einnahmen zu generieren. Überdies hat Sissach ja noch ein Eisen im Feuer: Das Gebiet Tannenried im Bereich des Antennenmasts über dem Ebenrain-Tunnel ist im kantonalen Richtplan als möglicher Deponiestandort vorgemerkt.
Die nächsten Jubiläumsanlässe
Laufend: Alte Gemälde und Zeichnungen hängen aktuellen Bildern von Ernst Rudin gegenüber. Die Ausstellung kann zu den Schalteröffnungszeiten im Gemeindehaus besichtigt werden.
Laufend: Sonderausstellung «Sissech 800 Joor» im Heimatmuseum. Jeweils am ersten Sonntag des Monats von 11 bis 16 Uhr. Nächstes Mal am 5. Oktober.
7. Oktober: Klassenzusammenkunft des Jahrgangs 1945. Treffen aller 80-Jährigen, die in Sissach in die Primar-, Real- oder Sekundarschule gingen. Ab 10 Uhr. Treffpunkt Hotel Sonne.