«Wir können das Dorf nicht kaputtsparen»
20.11.2025 SissachGemeinderat Dieter Stebler sagt, Schulrauminvestitionen müssen neu geplant werden
Vor zwei Jahren hat er noch gegen eine Steuererhöhung gestimmt, nun schlägt der neue Finanzchef Dieter Stebler der Gemeinde einen Aufschlag um 2 Prozentpunkte vor. Und er tritt im Interview ...
Gemeinderat Dieter Stebler sagt, Schulrauminvestitionen müssen neu geplant werden
Vor zwei Jahren hat er noch gegen eine Steuererhöhung gestimmt, nun schlägt der neue Finanzchef Dieter Stebler der Gemeinde einen Aufschlag um 2 Prozentpunkte vor. Und er tritt im Interview für eine Redimensionierung der Investitionen ein.
Peter Sennhauser
Herr Stebler, sind Sie nicht als Freisinniger angetreten, um die Finanzen der Gemeinde in Ordnung zu bringen?
Und jetzt erhöhen Sie die Steuern?
Dieter Stebler: Das war ja nicht mein Wahlslogan. Ich bin zwar auch der Meinung, dass ein linkslastiger Gemeinderat tendenziell mehr Geld ausgibt. Und vielleicht haben Teile der Bevölkerung es deswegen als positiv gesehen, dass der Gemeinderat jetzt eher bürgerlich ist. Aber den Beweis, dass wir verantwortungsvoll mit dem Geld umgehen, müssen wir jetzt antreten, und dabei können wir Sissach nicht kaputtsparen. Sonst ziehen die Leute weg, genauso, wie sie es bei hohen Steuern tun würden. Es gibt durchaus Beispiele von Dörfern, wo das passiert ist. Die Finanzpolitik verlangt Fingerspitzengefühl und Anstrengungen von allen Seiten.
Sie legen gleichzeitig mit dem Vorschlag einer Steuererhöhung ein defizitäres Budget vor. Das wäre nicht so herausgekommen, wenn man vergangenes Jahr schon die Steuern erhöht hätte.
Doch, es wäre praktisch gleich herausgekommen. 2 Prozent mehr im Steuerfuss reichen keineswegs, um den Fehlbetrag zu decken. Aber ich halte es auch für den falschen Weg, einfach zu schauen, wie viel mehr wir brauchen und dann die Steuern entsprechend anzuheben: So in der Art, «wir brauchen 2 Millionen mehr, die Erhöhung des Steuerfusses um 1 Prozent bringt uns 290 000 …»
… also müssten die Steuern doch um 6 bis 7 Prozent erhöht werden …
Theoretisch, aber das ist politisch nicht durchsetzbar, und ich halte es auch für den falschen Weg. Uns steht ja nicht das Wasser am Hals – aber wir müssen jetzt handeln!
Wie sähe es denn aus, das Wasser am Hals?
Wir haben derzeit eine Eigenkapitalquote von über 60 Prozent, sie befindet sich aber im Sinkflug. In der Wirtschaft sagt man, 30 Prozent sind noch gut …
Allerdings hat die Wirtschaft mehr Spielraum.
Ja, ein Unternehmen hat Möglichkeiten, es ist flexibler, kann viel schneller und agiler reagieren, um den Profit zu steigern. Eine Firma kann die Preise erhöhen, das Angebot und die Qualität anpassen. Sie kann im Voraus abschätzen, ob und um wie viel der Umsatz dadurch zurückgehen könnte – und wenn nötig schnell gegensteuern. Einer Gemeinde ist es nicht möglich, die Erträge schnell und nachhaltig zu steigern. Den Preis – ich meine damit die Steuern – zu stark zu erhöhen, birgt die Gefahr von Verlust von guten Steuerzahlern. Das andere Extrem bestünde darin, mit dem Rotstift brutal 2 Millionen wegzusparen: Dann ist Sissach tot. Das wären massive Einschnitte, das muss klar sein. Wir brauchen also den Mittelweg.
Wir haben den kantonalen Steuerrechner bemüht: Bei einem steuerbaren Einkommen von 80 000 Franken bezahlt ein Ehepaar oder eine Einzelperson in Sissach bei 2 Prozent Steuererhöhung 100 Franken mehr pro Jahr. So viel sollte einem doch die finanzielle Gesundheit der Wohngemeinde wert sein.
Sie vergessen, dass es verschiedene Steuerzahler gibt, von null bis hin zu sehr guten Steuerzahlern, und nicht alle sind der Gemeinde gleich stark verbunden. Gut, wegen 2 Prozent zöge wohl niemand weg …
… zumal wir bei 200 000 Franken steuerbarem Einkommen und einer halben Million Vermögen von 600 Franken mehr sprechen …
Ich finde es trotzdem nicht den richtigen Weg, denn irgendwann wird der Wegzug für die guten Steuerzahler zum Thema oder Sissach wird von potenziellen Zuzügern dieser Gruppe gemieden. Es gibt durchaus eine Grenze, und die steckt auch in den Köpfen: Wenn der Eindruck entsteht, dass der Gemeinderat die Finanzen nicht im Griff hat, hat das Konsequenzen. Genau hier ist Fingerspitzengefühl gefragt.
Wie viel an der Steuererhöhung also ist Mathematik und wie viel ist Psychologie?
So konkret habe ich mir das nicht überlegt. Tatsache ist, dass wir die Steuern erhöhen und sparen müssen. Wir müssen auf beiden Schienen fahren.
Irgendwie scheint sparen eher akzeptabel als Steuerhöhungen – dabei spürt man das Erstere möglicherweise sehr viel mehr.
Im Finanzplan haben wir auch ab 2028 nochmals eine Erhöhung eingerechnet. Das ist natürlich noch längst nicht beschlossen. Aber wir müssen solche Kalkulationen machen, dafür machen wir einen Finanzplan.
Was passiert, wenn Sie die Steuererhöhung im Dezember nicht bewilligt erhalten?
Dann schreiben wir 580 000 Franken mehr Verlust. Aber Sissach wird deswegen nicht die Bilanz deponieren müssen. Es ist so oder so klar, dass wir intensive Sparanstrengungen in Angriff nehmen müssen. Es ist ja auch nicht das erste Mal, dass Sissach vor Herausforderungen steht. Dazu muss man wissen, als wir zwei noch jung waren, in den 1990er-Jahren, da waren die Sissacher Finanzen in einem sehr schlechten Zustand. Erst Rudolf Schaffner hat als Gemeindepräsident die Steuern bis auf 63 Prozent erhöht. Dann haben alle zusammen angepackt – zum Sparen braucht es immer alle – und schliesslich hat die Gemeinde fast jedes Jahr ein Plus eingefahren. So ging es weiter bis und mit meinem Vorgänger Lars Mazzuchelli.
Was ist dann passiert?
Nun, wenn man die Struktur ausbaut, steigen die Kosten, das ist logisch. Und ich habe den Eindruck, darauf haben jene Leute etwas zu wenig geachtet, die sich für grosse Projekte eingesetzt haben.
Tatsächlich schimpfen derzeit einige Sissacher in den Sozialen Medien, das Dorf habe sich eine luxuriöse Dreifach-Turnhalle geleistet, für die es gar keinen Bedarf gebe.
Die Turnhalle hat nicht der Gemeinderat in Auftrag gegeben, das war der Souverän, das gilt es zu respektieren. Die Halle steht. Und bei den nächsten Projekten, etwa der Primarschule, frage ich – ohne der Spezialist zu sein – nach dem Bedarf. Als man das Projekt angedacht hat, sahen die Zahlen vielleicht noch ganz anders aus. Da müssen wir wirklich nochmals über die Bücher. Denn damals waren wir auch in einer sehr guten finanziellen Lage und viele hatten schöne Vorstellungen, was man alles machen könnte. Man hat ja sogar einen Ideenwettbewerb veranstaltet, der viel gekostet hat. Dessen Teilnehmer kannten nicht einmal unser Budget, und der Siegervorschlag würde zu einem Betrag realisiert, der – glaube ich – unseren Investitionsplan überträfe.
Gehört zu den fraglichen Punkten auch der Plan, aus der aktuellen Turnhalle eine schmucke Aula zu machen?
Unter anderem: Dabei war es eine Vorgabe des Wettbewerbs, dass die Turnhalle wegkommt. Ich kann den Vorschlag für eine Aula verstehen, sie ist sehr schön. Aber niemand scheint sich gefragt zu haben, ob wir das wirklich brauchen. Ich habe immer in Sissach gelebt, ich kenne die Schulentwicklung einigermassen: An einem einst kleinen Schulhaus ist immer wieder angebaut worden. Beim letzten Ausbau hat niemand gefragt, wie schön er ist: Er musste zweckmässig sein. Vielleicht sind wir jetzt wieder an dem Punkt, wo wir, statt einen Campus zu bauen, sagen müssten: Die neue Turnhalle steht, die alte brauchen wir nicht mehr, also ersetzen wir sie mit Schulraum.
Das klingt, als ob der Gemeinderat die ganze Planung beim Schulhaus Dorf nochmals neu aufziehen will.
Wir sind uns einig darüber, dass wir auf die Planung zurückkommen und alles nochmals im Detail anschauen. Allen ist klar, dass es im Rahmen des bisherigen Investitionsplans nicht geht. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Das Schulhausprojekt ist eines: In welchem Sinn Anpassungen möglich sind, haben wir noch nicht besprochen, aber eine Idee ist sicher die Redimensionierung. Dabei kommt uns ein bisschen entgegen, dass wir mit der Planung eigentlich immer ein bisschen im Rückstand waren. Im nächsten oder übernächsten Jahr werden wir nicht mehr bauen, höchstens planen.
Wird das konkrete Auswirkungen auf den Schulbetrieb haben?
Derzeit wohl nicht, aber ich bin der Falsche für diese Frage. Wir müssen den Bedarf nochmals genau abklären. Wir können ja nicht einfach im Gemeinderatszimmer festlegen, dass wir nicht 20 Schulzimmer brauchen, sondern nur noch 10. Diese Abklärungen müssen in enger Zusammenarbeit mit den Schulen stattfinden. Das ist aber bei allen Sparmassnahmen so: Die Leute, die auf dem Werkhof arbeiten, in der Schule, in der Verwaltung: Die wissen, wo wir sparen können. Und die Erwartung habe ich natürlich schon an die Leute, dass sie Verantwortung übernehmen.
Welche Sparmassnahmen gibt es denn, die 1,6 Millionen Franken ausmachen?
Das ist der Punkt: Wir müssen die Balance halten. Viele Dinge, die hohe Kosten verursachen, lassen sich nicht einfach einsparen. Krasses Beispiel: Würden wir die Kunsteisbahn schliessen, sparten wir nahezu gar nichts, da wir sie nicht so einfach kostendeckend vermieten könnten. Oder wenn wir von der neuen Dreifachturnhalle nur eine benutzen, sparen wir nicht zwei Drittel der Betriebskosten: Wir suchen grade einen Abwart für die neue Halle, denn wem wollten wir diesen Job auch noch aufhalsen? So geht es weiter: Man könnte vielleicht auf dem Werkhof gewisse Gerätschaften einsparen. Dann brauchen die Leute aber länger für ihre Arbeiten, und Lohnkosten sind hoch.
Hat die Gemeinde überhaupt Spielraum – beispielsweise auch bei den explodierenden Pflegekosten?
Eine Möglichkeit hier bestünde darin, den Kanton zahlen zu lassen – aber ich bin gegen solche Verlagerungen, für die wir einfach auf anderem Weg, aber genauso mit unseren Steuern bezahlen. Wie gesagt: Wir müssen an vielen Ecken und Enden und mit Einfühlungsvermögen sparen. Vielleicht müssen die Strassen nicht jede zweite, sondern nur alle drei Wochen gewischt werden; vielleicht darf am Strassenrand auch mal ein bisschen Unkraut stehen bleiben. Wir müssen ein vernünftiges Mass finden, ohne Sissach zusammenzusparen.
Dass die Gesundheitskosten steigen, ist eine Binsenwahrheit. Warum waren dennoch die Pflegekosten in den Budgets der vergangenen Jahre immer viel zu tief?
Ich glaube nicht, dass das mit dem Vorsatz passiert ist. Ich war bei der letzten Budgetierung zum ersten Mal dabei, hatte den Durchblick noch nicht so ganz. Wir sind dabei von Daten ausgegangen, die man wohl kritischer hinterfragen müsste. Die Steigerungen wurden erkennbar, aber man hat sie im Budget trotz der Fehlbeträge nicht ausreichend angepasst. Zuerst waren es 200 000 Franken mehr als budgetiert, dann eine halbe Million, dann eine ganze. Für das Budget 2026 haben wir eine «Hochrechnung 2025» als Grundlage verwendet und eine erwartete weitere Kostensteigerung von 200 000 Franken draufgerechnet. So sind wir mit Sicherheit näher an der Realität.Wie genau, kann ich Ihnen aber erst mit der Rechnung 2026 im Sommer 2027 sagen.
Sie sind kein Finanzmensch, Sie haben sich eingearbeitet. Stehen Sie jetzt wirklich hinter dieser Steuererhöhung?
Sehen Sie: Noch im Jahr 2023 habe ich an der Gemeindeversammlung dagegen gestimmt, und dazu stehe ich heute noch, uns ging es ja gut. Dass die Finanzen immer eine langfristige Sache sind und man Kosten in der Zukunft verursacht, wenn man sich etwas Schönes leistet, das wird einem in diesem Job sehr schnell klar. Ganz plötzlich kommt dann der Moment, in dem man sich nichts Schönes mehr leisten kann, weil die laufenden Kosten es nicht mehr zulassen. Richtig wäre, auch bei «voller Kasse» in guten Jahren verzichten zu können, Ausgaben gesamtheitlich und langfristig zu betrachten und entsprechend richtig zu entscheiden, damit das Kosten-Nutzen-Verhältnis möglichst immer stimmt.
Der gebürtige Sissacher Dieter Stebler (59) ist seit 2024 Gemeinderat und für die Finanzen zuständig. Der Freisinnige hat die Nachfolge von Sozialdemokrat Lars Mazzuchelli übernommen.


