«Wir beantragen wieder einen Steuerfuss von 65 Prozent»
09.02.2024 SeltisbergGemeinderat hält an seiner Strategie zur Sanierung des Haushalts fest
Der Seltisberger Gemeinderat hat das Budget gemäss Auftrag der Gemeindeversammlung überarbeitet. Das Ergebnis ist ernüchternd, an seinem Antrag für eine zehnprozentige Erhöhung des ...
Gemeinderat hält an seiner Strategie zur Sanierung des Haushalts fest
Der Seltisberger Gemeinderat hat das Budget gemäss Auftrag der Gemeindeversammlung überarbeitet. Das Ergebnis ist ernüchternd, an seinem Antrag für eine zehnprozentige Erhöhung des Steuerfusses hält er fest.
Christian Horisberger
Frau Hersche, vor und während der Budget-Gemeindeversammlung im November haben Sie bereits umfassend über die Finanzlage von orientiert. Im Januar-Gemeindeblatt tun Sie es erneut – auf sieben Seiten. Was bezwecken Sie damit?
Miriam Hersche: Für den Gemeinderat ist es oberste Pflicht, die Bevölkerung offen und transparent über die Lage der Gemeinde zu informieren. Mit dieser Berichterstattung wollen wir alle Kanäle nutzen, um dieser Pflicht nachkommen zu können.
Denken Sie, dass es Stimmberechtigte gibt, die noch immer nicht mitbekommen haben, wie dramatisch Sie die Situation sehen?
Es gibt viel Verständnis in der Bevölkerung, dass eine Steuererhöhung längst überfällig ist. Das sind oft Personen, die mit der Arbeit des Gemeinderats zufrieden sind, ihm vertrauen und es deshalb nicht als notwendig erachten, an einer Gemeindeversammlung teilzunehmen. Als dramatisch würde ich die Situation nicht bezeichnen. Vielmehr geht es darum, eine seriöse und realistische Basis und Balance zu erreichen, wie das in den umliegenden Gemeinden längst gelebt wird.
Am 6. März steht die Gemeindeversammlung an. Steht das überarbeitete Budget bereits?
Das Budget 2024 ist im Gemeinderat am 15. Dezember 2023 nochmals bis in jedes Detail überprüft worden sowie von der Verwaltung nochmals sorgfältig aufbereitet und im Januar 2024 vom Gesamt-Gemeinderat einstimmig gutgeheissen und der GPK/RPK zur Prüfung übergeben worden.
Was liess sich noch herausholen? Wo war noch Sparpotenzial neben dem Streichen von Vereinsbeiträgen, die Sie in Ihrem Schreiben explizit nennen?
Wir haben in den letzten knapp vier Jahren bereits gegen 1,1 Millionen Franken im Budget gestrichen und teils auf Folgejahre verschieben müssen, was nicht bei jeder Position nachhaltig war. Die vergangenen zwei bis drei Jahre mussten wir bei den Steuereinnahmen einen Rückgang im hohen sechsstelligen Bereich verzeichnen, der nicht einfach auf der Ausgabenseite in gleichem Umfang gestrichen werden kann, da die Gemeindeausgaben bekanntlich zu mehr als 80 Prozent an Gesetze und verbindliche Verträge gebunden sind. Dass ein Gemeindefinanzhaushalt kein KMU ist, können einige Bewohner nicht nachvollziehen. Daher blieb es bei den geringen Möglichkeiten von Streichungen in den Ausgaben.
Was wurde konkret gestrichen?
Nur minime Beiträge. Neben den freiwilligen Beiträgen an Vereine und kulturelle Anlässe konnten die Beiträge an die Kinder- und Jugendzahnpflege aufgrund des revidierten Reglements, das der Souverän an der EGV vom November vergangenen Jahres gutgeheissen hat, reduziert werden. Kleinstbeträge jeweils unter 100 Franken, wie zum Beispiel Geschenke für Jubilare. Die Überarbeitung hat ein ernüchterndes Resultat ergeben. Aufgrund der zusätzlichen Kosten, wie die Teuerung bei der Berufsbildung von gut 60 000 Franken, sind in der Zwischenzeit noch Rechtskosten und dringende Ausgaben für die Reservoirsanierung dazugekommen. Aufgrund eines weiteren Rückgangs der Steuereinnahmen gehen wir davon aus, dass wir ab 2024 zwar von der Geber- zur Nehmergemeinde werden und einen minimalen Beitrag aus dem Finanz- und Lastenausgleich erhalten werden. Damit halten sich die Anpassungen bei den Ausgaben und Erträgen die Waage. Netto besteht eine Einsparungsdifferenz von weniger als 1000 Franken.
Also war es nicht möglich, einen ausgeglichenen Haushalt auf der Basis eines Steuerfusses von 59 Prozent zu erarbeiten …
Nein. Bei einem Steuerfuss von 59 Prozent resultiert ein Budget- Defizit von rund 130 000 Franken, womit die schwache Eigenkapitalbasis im allgemeinen Haushalt weiter reduziert wird. Wir rechnen bereits für den Jahresabschluss 2023 mit einem negativen Resultat im mittleren sechsstelligen Bereich.
Sie betonen in Ihrem Plädoyer für gesunde Gemeindefinanzen, dass der Steuerfuss von 59 Prozent, den die Gemeindeversammlung bestimmt hat, keine Gültigkeit habe, da Steuern und Gebühren zusammen mit dem Budget beschlossen werden müssten. Es macht den Anschein, dass Sie sich mit den 59 Prozent nicht zufriedengeben werden.
Der Gemeinderat ist von seiner Strategie nicht abgewichen, weil es notwendig ist, hier nun eine klare Linie zu fahren und eine deutliche Richtungsänderung anzugehen. Alles andere wäre unseriös und hat keine Nachhaltigkeit für die Zukunft.
Welchen Steuersatz werden Sie fordern?
Wir werden wieder 65 Prozent beantragen.
Was geschieht, wenn die Stimmberechtigten dennoch an den 59 Prozent festhalten?
Wir wissen alle, dass der Souverän das letzte Wort hat bei der Festsetzung der Steuern und Gebühren. Ein zukünftiger Steuerfuss von 59 Prozent wird dazu führen, dass Seltisberg ab 2025 ein negatives Eigenkapital im allgemeinen Haushalt ausweisen wird und weiter deutlich verstärkte Herausforderungen haben wird, um die Werterhaltung des aufgestauten Infrastrukturunterhalts in den Griff zu bekommen.
Was geschieht, wenn Seltisberg ein negatives Eigenkapital ausweisen muss? Setzt dann der Kanton den Steuerfuss fest?
Es droht das gleiche Szenario wie in Nusshof, wo der Kanton wohl eingreifen wird. Das schadet dem Image unseres Dorfs.
Sie treten nach einer Amtsperiode als Präsidentin zurück. Würden Sie auch gehen, wenn die Bevölkerung mehr Verständnis für die Sanierung der Gemeindefinanzen hätte?
Dass ich nicht mehr zur Wiederwahl antrete, hat nichts mit der aktuellen Situation in unserer Gemeinde zu tun. Als ich mich 2016 spontan für das Gemeinderatsamt zur Verfügung gestellt habe, war für mich bereits klar, dass ich dies gerne für zwei Amtsperioden machen werde. Die Arbeit war interessant und lehrreich und ich habe sie sehr gerne gemacht. Nun will ich meine Zeit wieder vermehrt meinen beiden Geschäften, Beruf und neuen Projekten widmen. Ich freue mich auch wieder auf mehr Freizeit für meine sportlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Interessen. Ich bin sehr dankbar für die zahlreichen Wertschätzungen aus der Bevölkerung und den umliegenden Gemeinden meiner Arbeit gegenüber.
Über die Verhältnisse gelebt
ch. Die Seltisberger Steuerpflichtigen haben in den vergangenen 20 Jahren von einem der tiefsten Steuersätze im ganzen Kanton profitiert. Wie sich nun zeigt, haben sie damit über ihre Verhältnisse gelebt: Das Eigenkapital rutscht ab 2025 ins Minus, gleichzeitig wird der Schuldenberg aufgrund von drängenden Investitionen in die Infrastruktur höher und höher. Dies ist die Kurzfassung der Beschreibung der finanziellen Situation Seltisbergs, die Gemeindepräsidentin Miriam Hersche im aktuellen Gemeindeanzeiger auf sieben A4-Seiten darlegt. Hersches Statement ist im Ton so nüchtern wie in der Schlussfolgerung klar: So kann es auf Dauer nicht weitergehen.
Weitere Details zur aktuellen Lage stellt die Präsidentin für die Gemeindeversammlung vom 6. März in Aussicht, wenn ein zweites Mal über das Budget 2024 abgestimmt werden muss. Die erste Version hatte der Souverän im Dezember zur Überarbeitung auf der Basis eines Steuerfusses von 59 Prozent an den Gemeinderat zurückgewiesen. Dieser hatte beantragt, den Satz von 55 auf 65 Prozent zu erhöhen.