Wie viel Hochwasser darf es sein?
06.06.2024 RothenfluhRückhaltedämme bremsen die Entlastungsstollen aus
An einem Workshop konnten Rothenflüherinnen und Rothenflüher ihre Meinung einbringen, wie das Siedlungsgebiet in Zukunft geschützt werden soll, drohen Dübach und Ergolz über die Ufer zu treten. Skeptisch ...
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An einem Workshop konnten Rothenflüherinnen und Rothenflüher ihre Meinung einbringen, wie das Siedlungsgebiet in Zukunft geschützt werden soll, drohen Dübach und Ergolz über die Ufer zu treten. Skeptisch beurteilt wurden die Varianten mit je einem Entlastungsstollen für beide Gewässer.
Otto Graf
Die Erinnerung im Dorf an das verheerende Hochwasser des Dübachs in den Abendstunden des 23. Juni 2021 ist in Rothenfluh noch allgegenwärtig. Damals mass eine automatisierte Wetterstation im Gebiet Holingen in zwei Stunden die rekordverdächtige Niederschlagsmenge von 79 Millimetern. Die vergleichsweise engen Röhren und die Dolen längs des Dübachwegs und der Hirschengasse vermochten die gewaltigen Wassermassen nicht zu schlucken. Der Bach trat über die Ufer und überschwemmte zahlreiche Keller und Erdgeschosse.
Durch dieses Schadenereignis, gemäss Einschätzungen von Fachleuten «nahe an einem Jahrhundertszenario», rückte der Dübach in den Fokus und löste die Ergolz ab. Letztere verliess in der Vergangenheit am östlichen Rand des Siedlungsgebiets das Bachbett mehrmals. Dabei ergoss sich das Wasser jeweils über die Mühlegasse und über die Rössligasse. Grössere Schäden gab es nicht, weil fast alle Häuser gar keinen Keller hatten.
Diskussionen darüber, wie künftige Schäden verhindert oder zumindest beschränkt werden können, gibt es seit Urzeiten. Vor etwa 130 Jahren wurde die Ergolz durch das Siedlungsgebiet in einen trostlosen Betonkanal gezwängt. Nicht zuletzt wegen des Schadenereignisses vor drei Jahren kommt nun Bewegung in die Sache. Fachstellen des Kantons haben im Auftrag des Gemeinderats Projektstudien mit mehreren Varianten erarbeitet, wie die Überflutungsgefahr reduziert werden könnte. Für alle Beteiligten ist klar, dass nur eine von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützte Lösung zum Tragen kommen soll.
So lud der Gemeinderat die Einwohnerschaft zu einem Workshop ein, um herauszufinden, wie die Schutzziele angegangen werden sollen. Gemeindepräsident Patrick Vögtlin konnte dabei neben den etwa 20 Interessierten aus dem Dorf Jonas Woermann, Leiter Geschäftsbereich Wasserbau des Kantonalen Tiefbauamts, sowie zwei Vertreter des Ingenieurbüros Emch + Berger AG aus Bern begrüssen. «Ziel ist es, bei euch Inputs und Ideen für das weitere Vorgehen abzuholen», sagte Vögtlin am Workshop zur Bevölkerung. Dazu brauche man auch bei den Behörden bisher nicht bekannte Tatsachen und weitergehende Informationen aus dem Volk.
Schutz des Siedlungsgebiets
Es liegt auf der Hand, dass der Schutz des Siedlungsgebiets höchste Priorität geniesst, gefolgt vom Schutz von Einzelgebäuden. Da Rothenfluh im Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung figuriert, haben allfällige Massnahmen dieser Tatsache Rechnung zu tragen. Aus ökologischer Sicht sind an den Bächen standorttypische Uferbestockungen anzustreben. In der Landwirtschaft soll der Schutz des Bodens mit technischen Massnahmen verbessert werden. Um das Beurteilen und Gewichten der denkbaren Lösungen zu erleichtern, konnten die Anwesenden auf den aufgehängten Übersichtsplänen, je nach Priorität, farbige Punkte setzen.
Im Hinterkopf die Kostenfrage
Bei dieser Auslegeordnung, bei der die Kostenfrage explizit ausgeklammert wurde, stiessen die Lösungen mit Entlastungsstollen für beide Gewässer auf grosse Skepsis. Die mehrere Hundert Meter langen Stollen mit einem Durchmesser von einem bis zwei Metern wären bergmännisch mit einer Tunnelbohrmaschine vorzutreiben und würden auch kritische Zonen, die zu Hangrutschen neigen, queren.
Das Durchbohren der heiklen Stellen war wohl der Hauptgrund der schlechten Noten, wobei in den Hinterköpfen die Kostenfrage dennoch mitgespielt haben dürfte. Höher bewertet wurden Lösungen mit Rückhaltebecken und gleichzeitiger Erhöhung der Abflusskapazitäten durch ortsbildkonforme bauliche Massnahmen, wie das Ausweiten und Eintiefen der Bachsohle sowie das Erneuern der eingedolten Abschnitte. Die an verschiedenen Stellen denkbaren Rückhaltebecken wären nach Ansicht der Anwesenden ökologisch mit möglichst geringen Einschränkungen der landwirtschaftlichen Nutzung auszugestalten.
Es gab aber Stimmen, auch beim anschliessenden Apéro, die sich für absolute Minimalvarianten bis hin zum Ansinnen, gar nichts zu machen, aussprachen. Auch hier mag die finanzielle Frage eine Rolle gespielt haben. Wie Jonas Woermann ausführte, würde der Bund 35 Prozent der Baukosten tragen, während der Rest zulasten des Kantons, der Gemeinde und der anstossenden Grundeigentümerinnen und -eigentümer geht. Die zuständigen Stellen werden nun die Erkenntnisse des Workshops auswerten und in die weitere Planung integrieren.
Tenniken: Offener Bach durchs Wohnquartier
ch. In Tenniken wurde ebenfalls kürzlich ein Konzeptentwurf für ein Hochwasserschutzprojekt vorgestellt. 2021 war es zuletzt zu schweren Überschwemmungen gekommen, als der Leisimattbach und das Buelzbächli nach einem Starkregen grosse Wassermassen in Wohnquartiere beförderten. Jonas Woermann, Projektleiter Gewässerplanung beim Kanton Baselland, und Mario Dolder vom Ingenieurbüro Holinger AG umrissen das Konzept, das entweder die Ausdolung der Gewässer oder eine Vergrösserung der Querschnitte der Dolen, durch die sie geführt werden, vorsieht. Die Kostenschätzung der Planer liegt bei circa 4 Millionen Franken, wobei gemäss geltendem Kostenschlüssel die Grundeigentümer, über deren Land die Gewässer führen, einen Teil der Kosten übernehmen müssen.
Mit 70 Teilnehmenden war die Informationsveranstaltung von vergangener Woche gut besucht. Bewohner des Quartiers Auf Matt äusserten sich skeptisch zur Öffnung des Bachs im Siedlungsgebiet und wünschten sich stattdessen eine Verlegung des Gewässers, sagt alt Gemeinderat Marcel Zimmermann, der als betroffener Quartierbewohner am Info-Abend teilgenommen hat. Der Kostenteiler wurde von betroffenen Grundeigentümern, die bereits vorgängig orientiert worden waren, kritisiert. Sie wünschen, von der Zahlungspflicht entbunden zu werden. Dazu sagte Planer Jonas Woermann, dass es Gemeinden gebe, welche die Anteile der Grundeigentümer übernähmen, um den Prozess zu beschleunigen, da ansonsten mit Einsprachen zu rechnen sei, welche die Umsetzung des Hochwasserschutzes verzögern würden. Der Gemeinderat äusserte sich am Info-Abend nicht dazu.
Die Inputs aus der Veranstaltung werden nun ins Konzept eingearbeitet und wiederum der Bevölkerung präsentiert.