Wie viel Fürsorge tut uns gut?
25.11.2025 SissachGespräch im «Cheesmeyer» über die «Droge» Verwöhnung
vs. Übermorgen Donnerstag diskutiert Ueli Mäder im «Cheesmeyer» in Sissach mit Psychologe Jürg Frick und der Coiffeuse Anna Tschannen darüber, was die ...
Gespräch im «Cheesmeyer» über die «Droge» Verwöhnung
vs. Übermorgen Donnerstag diskutiert Ueli Mäder im «Cheesmeyer» in Sissach mit Psychologe Jürg Frick und der Coiffeuse Anna Tschannen darüber, was die «Droge der Verwöhnung» mit uns macht und wie sie die Natur belastet.
Jürg Frick arbeitet an der Pädagogischen Hochschule in Zürich. Er bildet Lehrpersonen aus und hat das Buch «Ich mag dich – du nervst mich!» (2024) über Beziehungen zwischen Geschwistern verfasst. Sich selbst bezeichnet der emeritierte Professor als «skeptisch-optimistisch».
«Die Droge Verwöhnung» (2018) heisst ein weiteres Buch von Frick. Verwöhnung durch Erwachsene ist für ihn «eine Frage der Haltung». Sie zeuge von «einem Übermass an Besorgnis, Hilfsbereitschaft und Entlastung», drücke aber auch «einen Mangel an Zutrauen, Ermutigung, Zuversicht, Forderung, Respekt und Grenzsetzung» aus.
Heranwachsende würden oft materiell mit Spielsachen und Geschenken «überfrachtet». Verwöhnung geschehe zudem immateriell, wenn wir Kindern «zu wenig zutrauen, ihnen zu viel abnehmen, alle Frustrationen ersparen, Wünsche erfüllen und sie überfördern». Kinder und Jugendliche müssten dann keine «Ämtli» übernehmen, kaum mithelfen und zu wenig zum Familienleben beitragen. So ergäbe sich «ein einseitiges Ausrichten auf deren Wünsche», beispielsweise mit häufigen Fahrdiensten. Oder Eltern würden alle Probleme der Schule anlasten und mit Lehrpersonen über Noten feilschen.
Auch in der Politik stellt Frick eine hohe Bereitschaft fest, beispielsweise «völlig unakzeptable Lohn-Ansprüche von CEOs zu decken» oder Eigeninitiative zu lähmen, Konsumhaltung zu fördern und bei Misserfolg anderen die Schuld zuzuschieben. Eine «ausgeprägte Verwöhnungskultur» zeige sich offenbar «in fast allen sozialen Schichten». Unser Lebensstil und unsere «Ich-Zentriertheit» nähmen kaum Rücksicht auf die Natur. Wobei die Umweltbelastung durch Superreiche besonders krass sei.
Frick plädiert dafür, sich mehr am Gemeinwohl zu orientieren. Leider finde jedoch eher das Gegenteil statt: «Rücksichtslose werden belohnt.» Verwöhnung schade indes allen und mache uns nicht zufriedener. Wobei die Kritik an der Verwöhnung nicht dazu führen dürfe, autoritäres Verhalten neu zu befördern.
Eine andere Sicht auf die Verwöhnung bringt Anna Tschannen ein. Sie ist Künstlerin und Mutter von zwei Kindern. Als Coiffeuse hat sie viel mit Menschen zu tun, die sich «meist weder einen traditionellen Coiffeur noch einen Kaffee in der Stadt leisten können». Das für uns Selbstverständliche habe «eine ganz andere Realität» für Menschen, die «sich schon seit ihrer Kindheit mit wenig abfinden mussten». Von ihnen höre sie oft: «Ich komme heute gut mit wenig aus, in der Kindheit habe ich mich dafür geschämt.» Allerdings fehle vielen das selbstverständliche Umsorgt- und Gestütztsein, das Gefühl «Du bist einfach gut, so wie du bist». Sogenannte Randständige hätten manchmal auch Mühe, Hilfe anzunehmen, «weil es dafür Vertrauen braucht». Die äussere Armut stehe jedoch «oft im Gegensatz zu einer inneren Stärke, die mich berührt», so Tschannen. Davon erzählt die Mutter ab und zu ihren Kindern, die einen gemeinsamen Ausflug besonders schätzen, aber «auch ihre Markenturnschuhe tragen» und gerne an digitalen Medien hängen bleiben.
Wichtig seien «emotionale Wärme und Geborgenheit». Sie stimmten, ohne Druck vermittelt, glücklicher denn Konsum. «Wir lachen viel über Alltagskomik und über uns selbst», berichtet die Coiffeuse. Und diese Form von Nähe und Humor sei «auch eine Art der Verwöhnung, eine innere». Und so gelte es, den Wert zu erhalten, sich für etwas Gewünschtes selbst zu engagieren, statt träge zu werden und den Weg des geringsten Widerstands zu gehen oder sich einfach ablenken zu lassen.
«Cheesmeyer»-Talk,
Donnerstag, 27. November, 19 Uhr,
«Cheesmeyer», Sissach.

