«Wenn mich etwas fasziniert, setze ich es um»
30.12.2025 SchweizKurt Aeschbacher verwirklicht seine Ideen – zurzeit in Argentinien
Andere zu befragen mache ihm mehr Spass, als selber interviewt zu werden, verrät der bekannteste Talkmaster der Schweiz. Trotzdem hat Kurt Aeschbacher sich Zeit genommen, um über gute ...
Kurt Aeschbacher verwirklicht seine Ideen – zurzeit in Argentinien
Andere zu befragen mache ihm mehr Spass, als selber interviewt zu werden, verrät der bekannteste Talkmaster der Schweiz. Trotzdem hat Kurt Aeschbacher sich Zeit genommen, um über gute Gesprächsführung, das Älterwerden, den Tod und seine Lebensgrundsätze zu sprechen.
Marianne Ingold
Herr Aeschbacher, Sie kommen seit 2025 alle paar Monate nach Gelterkinden, um dort im Alters- und Pflegeheim zum Eibach vor vollem Haus mit Gästen zu sprechen. Warum tun Sie das?
Kurt Aeschbacher: Weil ich es grossartig finde, mich in andere Lebensgeschichten hineinzufühlen. Diese Arbeit ist auch für mich eine Bereicherung und erweitert meinen eigenen Horizont. Ausserdem finde ich die Idee dieser Alterseinrichtung toll, zum Marktplatz für die Bewohnenden und das ganze Dorf zu werden. Das Publikum erlebt bekannte Gesichter live und erfährt, was diese bewegt. Danach kann es sich bei einem Apéro darüber austauschen.
Wer wählt die Gäste aus?
Das mache ich gemeinsam mit Marcela Hohl vom «Eibach». Ich habe ein Reservoir an möglichen Namen, die ich einbringen kann. Sie macht die ganze Organisation und stellt sicher, dass jeweils eine möglichst spannende Gruppe zusammenkommt.
Wie bereiten Sie sich auf Ihre Gespräche vor?
Ich versuche, im Vorfeld möglichst viel über meine Gäste zu erfahren, aber nicht von ihnen selbst – ich mache nie Vorgespräche, sondern recherchiere über alle Kanäle, die mir zur Verfügung stehen, trage Fakten und Hinweise auf spannende Lebensereignisse zusammen. Ich mache auch einen genauen Ablauf von möglichen Fragen, den ich aber vor der Begegnung wegwerfe, damit ich mich richtig auf mein Gegenüber einlassen und sich das Gespräch aus dem Moment heraus entwickeln kann.
Die grosse Arbeit passiert also vorher?
Ja. Viele meinen, ich käme jeweils rasch für eine Stunde, um mit ein paar Leuten zu plaudern. Dass ich zwei Tage zusätzlich gearbeitet habe, weiss niemand. Das macht aber nichts.
Was ist ein gutes Gespräch – eine Kunst oder ein Handwerk?
Es ist primär ein Handwerk, das vor allem aus der Fähigkeit besteht, zuhören zu können. Meine Aufgabe ist es, meinen Gesprächspartnern Raum zu geben in einer Atmosphäre der Neugier, Offenheit und Empathie.
Was sind für Sie die besten Gesprächspartnerinnen oder -partner?
Das sind oft «normale» Leute, die mit überraschenden Einsichten zeigen, dass auch ein nicht prominentes Leben spannend oder berührend sein kann. Es sind Menschen, die gelernt haben, mit Niederlagen umzugehen, das auch anderen zeigen können und dabei Mut ausstrahlen. Bei Prominenten erlebt man das nicht immer so. Diese haben sich ihre Biografie häufig so zurechtgelegt, dass nur eine blanke Oberfläche ohne Brüche übrig bleibt.
Möchten Sie dann nicht manchmal kritisch nachhaken?
Offen nachzufragen gehört dazu, um mehr über einen Menschen zu erfahren. Das heisst aber nicht, einen Kommentar abzugeben. Urteilen sollen diejenigen, die zuhören. Ich bereite mit meinen Fragen den Boden, damit man sich dieses Urteil bilden kann. Manchmal kann ich eine Aussage auch einfach stehen lassen.
In Ihrer Sendung «grell-pastell» sprachen Sie früher sehr provokative Themen an. Eine Sendung kam sogar vor Bundesgericht. Wären solche Tabubrüche heute noch möglich?
Ich wollte Unterhaltung als Kunstform etablieren, die nicht nur in seichten Gewässern herumdümpelt. Auch die Diskussion über ein gesellschaftliches Thema kann unterhaltend sein, indem sie dazu zwingt, darüber nachzudenken. Früher hatten wir ein grosses Studio und das Budget, um die Sendung und mich selber zu inszenieren. Mich interessierte dabei aber nicht die Provokation an sich, sondern die Auseinandersetzung mit relevanten Themen.
In der heutigen Zeit wären die Konsequenzen wohl anders.
Zweifellos – und nicht nur positiv. Wir kommunizieren immer stärker über Soziale Medien. Die Inhalte, die einem dort zugespielt werden, verstärken die Meinung, die man bereits hat. Dadurch geht die Offenheit verloren, in einem Diskurs unterschiedliche Haltungen kennenzulernen und zu respektieren. Eine freie Meinungsbildung braucht aber diese Form der Auseinandersetzung.
Wie könnte das verändert werden?
Indem es weder eine diktatorisch von oben verbreitete Meinung geben darf noch eine Diktatur von unten. Darunter verstehe ich den Versuch von lauten Minderheiten – egal ob links oder rechts –, ihren Standpunkt als den einzig richtigen durchzusetzen ohne Bereitschaft, über die Dinge zu diskutieren.
Was würden Sie nie jemanden fragen?
«Nie» ist schwierig. Doch wenn ich merke, dass gewisse Fragen einem Gegenüber zunehmend unangenehm werden, stoppe ich und respektiere, dass jeder Mensch eine Privatsphäre hat und sagen darf: «Das geht mir jetzt zu weit.»
Sie selber sind in der Öffentlichkeit immer noch sehr präsent. Wo ziehen Sie Ihre persönliche Grenze?
Wenn es zum Beispiel darum geht, dass mein Partner nicht in der Öffentlichkeit stehen möchte, und jemand trotzdem nachgräbt. Dann werde ich relativ schnell grantig.
Sie haben auch mit 77 Jahren noch einen vollen Kalender.
Wie hat sich Ihr Leben seit Ihrer letzten Fernsehsendung Ende 2018 verändert?
Über Jahrzehnte hatte ich einen klar getakteten Fahrplan – die vergangenen 20 Jahre mit einer wöchentlichen Talkshow, bei der ich genau wusste, wann es was zu tun gab. Das hat sich verändert und das ist wunderbar. Arbeit gibt dem Alltag aber auch eine Struktur und einen Sinn. Deshalb gebe ich weiterhin das Magazin «50plus» heraus, beginne neue Projekte wie eine Matinee-Gesprächsreihe oder moderiere an medizinischen Kongressen. Ich brauche diese Herausforderungen und die Freude daran, etwas zu bewegen. Wenn ich keine Aufgaben mehr habe, dann suche ich neue.
Dank Ihrer Selbstständigkeit haben Sie dazu auch die Möglichkeit.
Ich war nie angestellt und das war natürlich auch mit Risiken verbunden. Es bestand immer die Gefahr, dass etwas in die Hose geht, was es zum Teil auch tat. Da muss man dann auf die Zähne beissen, sich eingestehen, dass man etwas in den Sand gesetzt hat und dafür emotional und materiell geradestehen. Gleichzeitig will ich nicht nur davon träumen, irgendwann etwas auf die Beine zu stellen. Wenn mich etwas fasziniert, dann setze ich es um.
Was haben Sie denn in den Sand gesetzt?
Da gibt es zahlreiche Beispiele. Einmal eröffnete ich ein Restaurant namens «Zuppamundial», ein wunderschönes Lokal, in dem es Suppen und Eintöpfe aus der ganzen Welt gab. Es kam aber zum falschen Moment, war am falschen Ort, und ich hatte die falschen Leute. Ich scheiterte und verlor alles, weil ich gedacht hatte, eine gute Idee würde reichen. Das ist aber in der Gastronomie nicht so. Es war eine sehr schmerzhafte, aber wichtige Erfahrung.
Wenn man schaut, was Sie schon alles gemacht haben oder noch machen, verliert man fast den Überblick: Wirtschaftsstudium, Vizedirektor der «Grün 80», Moderator diverser Fernsehsendungen, Talkmaster, Schauspieler, ESC-Punkteverkünder, Unicef-Botschafter, Boutique-, Bar- und Restaurantbesitzer, Inhaber eines Fitness-Studios, Mitbesitzer und Herausgeber einer Zeitschrift, Verwaltungsrat, Referent, Podcaster. Fehlt noch etwas?
Das weiss ich selber nicht. Jedenfalls hatte und habe ich immer etwas zu tun. Ich bin aber kein Workaholic, sondern habe auch Freude an der Freizeit, gehe mit dem Hund spazieren und freue mich, wenn wir im Sommer unseren Garten in Südfrankreich geniessen können.
Eine Frage, die Sie einmal Tina Turner stellten und die damals nicht so gut ankam: Wie haben Sie es mit dem Älterwerden?
«Next question, please.» Im Ernst: Ich finde es einen spannenden, herausfordernden Prozess, der einen zwingt, stärker über den Sinn des Daseins nachzudenken als in jüngeren Jahren. Nur die Tatsache, dass man sterben muss – oder darf –, macht jeden Moment, den man lebt, so wichtig und wertvoll. Ich bin der festen Überzeugung, dass ein ewiges Leben ein Albtraum wäre.
Viele Menschen, vor allem Männer, haben Mühe mit dem Rentenalter.
Ja, weil sie es verpasst haben, vorher darüber nachzudenken. Weil das Leben nur aus Arbeit bestand oder man sich über die Visitenkarte definierte, die vom Moment der Pensionierung an nichts mehr wert ist. Man muss sich rechtzeitig mit dieser Veränderung auseinandersetzen. Die Pflege von Freundschaften kann man nicht erst mit 80 angehen, wenn man sich einsam fühlt. Einsamkeit ist übrigens einer der schlimmsten Faktoren bezüglich Demenz und Alzheimer – etwa so schädlich wie ein Päckchen Zigaretten pro Tag.
Und was ist, wenn man das verpasst hat?
Dann kann man sich überlegen: Was kann ich dieser Gesellschaft noch Sinnvolles zurückgeben? In der Schule fragen, ob sie dort jemanden zur Unterstützung der Kinder brauchen, mit Bewohnenden eines Altersheims spazieren gehen oder Menschen zum Arzt begleiten. Es gibt zig Möglichkeiten, die man wahrnehmen kann, bevor man in eine Depression fällt.
In einer Gesprächsrunde im «Eibach» sagte Alt-Regierungsrat Erich Straumann: «Im Alter kann man nur noch mit den Kleidern etwas machen.»
Das ist eine ernst zu nehmende Aussage. Wenn Leute sagen: «Jetzt bin ich 70 und kaufe keine neuen Kleider mehr, weil sich das nicht mehr lohnt», haben sie sich eigentlich schon aufgegeben. Zu sich schauen, eine gewisse Eitelkeit behalten, sich pflegen: All das zeigt, dass man sich selbst gern hat und Freude daran, unter die Leute zu gehen. Wenn man das schleifen lässt, ist das auch ein Statement: Ich bin es mir nicht mehr wert, zu mir zu schauen, und du bist es mir nicht mehr wert, dass ich mich für dich schön mache.
Wie sieht Ihr Kleiderschrank aus?
Der ist völlig überdimensioniert, weil ich 40 Jahre lang auch über meine Kleidung kommuniziert habe. Vor jedem Auftritt überlege ich mir, welche Menschen mir gegenübersitzen und wie ich ihnen auch von der Kleidung her begegne. Meine Kleider habe ich übrigens immer selber gekauft, meistens sogar machen lassen, und auch selber bezahlt. Ich fände es bedauerlich, wenn ich sie nicht mehr tragen könnte. Deshalb ist es mein Ehrgeiz, mich körperlich einigermassen fit zu halten.
Bei uns wird das Alter vor allem mit Krankheit in Verbindung gebracht und viele versuchen, die biologische Uhr zu verlangsamen. In anderen Kulturen ist diese Lebensphase eine Zeit der inneren Einkehr und des Loslassens. Wie sehen Sie das?
Das ist für jeden Menschen anders. Dass das Alter hier aber vor allem mit Abbau, Krankheit und Verdummung gleichgesetzt wird, dagegen muss man konsequent anreden. Älter werden heisst, Erfahrung zu haben, weil man ähnliche Situationen schon mehrmals erlebt hat und deshalb besser damit umgehen kann. Man bricht nicht gleich zusammen, wenn etwas schiefläuft, und ist optimistisch, dass sich ein Problem lösen lässt. Das sollte von Politik und Gesellschaft viel stärker genutzt werden und hat nichts mit dem Aussehen zu tun. «Longevity» hat ja den Beigeschmack, dass man jung aussehen muss. Bei einer wirklichen Langlebigkeit geht es darum, möglichst lang gesund zu bleiben, aber auch, sich darüber klar zu werden, dass 80 Prozent der Krankheiten vom Lebensstil abhängen. Nur etwa 15 Prozent sind genetisch bedingt und etwa 5 Prozent durch Umweltfaktoren.
Was für eine Haltung haben Sie zum Tod?
Eine lockere. Er kommt – ich weiss nicht wann, aber er kommt. Und wenn er dann da ist, muss ich vorher darüber nachgedacht haben, wie ich ihn begrüsse und damit umgehe.
Das haben Sie gemacht?
Ja. Ich finde es notwendig, sich richtig vorzubereiten, sowohl juristisch wie inhaltlich: Was ist, wenn ich nicht mehr bin? Bin ich offen dafür, dass eine Partnerin oder ein Partner neue Wege gehen kann? All das auszusprechen, ist ein sehr wichtiger Prozess. Manche Menschen scheinen ihren letzten Willen eher als Abrechnung zu verstehen, statt zu Lebzeiten darüber zu sprechen, wie sie aufteilen wollen, was von ihnen bleibt.
Sie haben einmal gesagt: «Man ist selber nur eine kleine Episode auf dieser Welt.»
Was möchten Sie einmal mitnehmen? Was hinterlassen?
Mitnehmen – wohin denn? Da es für mich nirgends hingeht und der Tod ein definitives Ende ist, kann ich nur glücklich zurückschauen im Wissen, welche grosse Chance ich hatte, in diesem Land geboren worden zu sein, unter diesen Umständen und Möglichkeiten aufzuwachsen und meine Ideen umsetzen zu können. Was bleibt, sind hoffentlich gute Erinnerungen an mich bei möglichst vielen Menschen plus eine relativ umfangreiche Kunstsammlung, die irgendwann veräussert werden muss.
Sie werden also nicht als Geist weiter herumschwirren?
Hoffentlich nicht! Andere können mit dem Nichtwissen darüber, was nach dem Tod kommt, ein Geschäft machen. Dieses Vakuum auszufüllen ist eigentlich die beste Geschäftsidee, die es gibt. Was wir Menschen aber sicher brauchen, sind Spiritualität und Werte, die uns Halt geben.
Haben Sie eine «Liste» mit Dingen, die Sie noch machen wollen?
Nein, das habe ich nicht. Ich wollte aber endlich einmal richtig Spanisch lernen. Der Gedanke kam mir letzten Frühling, zwei Wochen später hatte ich die Flüge, eine Wohnung und eine Schule in Buenos Aires gebucht und bin jetzt seit Anfang Dezember für sechs Wochen dort. Nächstes Jahr begleite ich eine grosse Reise nach Vietnam. Mein Kalender für 2026 ist schon halb voll.
Was geben Sie jungen Menschen in der heutigen Zeit mit auf den Weg?
Ratschläge finde ich schwierig, aber ich kann aus meiner eigenen Erfahrung schöpfen: Ich versuche ein Leben zu führen, in dem das Handy nicht im Zentrum steht, und nicht Zeit zu verschwenden beim Scrollen durch irgendwelchen Schrott, bei dem man nach einer Stunde immer noch dranhängt, obwohl man eigentlich etwas ganz anderes machen wollte. Und ich lasse mich inspirieren von Künstlerinnen und Künstlern, die eine völlig andere Vision unserer Welt haben. Damit setze ich mich auseinander und merke, wie viel möglich ist, das mir sonst gar nicht in den Sinn käme.
Und all unseren Leserinnen und Lesern fürs neue Jahr?
Neugierig sein und in der eigenen Umgebung etwas von anderen Menschen erfahren. Merken, wenn es einer Person gerade nicht so gut geht, und sich Zeit nehmen, um zu erfahren, was sie mir zu erzählen hat. Damit kann ich ihr weiterhelfen und erfahre vielleicht auch Dinge, die mich weiterbringen. Nicht nur mit Kopfhörern und Handy durch die Welt laufen, sondern auch wieder einmal Blickkontakt aufnehmen – und sich umgekehrt auch nicht gleich belästigt fühlen, wenn einem jemand in die Augen schaut. Kurz: Geniesst schöne Momente, schaut, wer euch entgegenkommt, und sagt mit einem Lächeln «Guten Tag».
Zur Person
min. Kurt Aeschbacher (77) ist Moderator, Gesprächsleiter und Unternehmer. Über viele Jahre war er als Talkmaster im Schweizer Fernsehen tätig und wurde unter anderem als Gastgeber der Sendung «grell-pastell» bekannt. Seine Gesprächsführung versteht er als Handwerk, das auf sorgfältiger Vorbereitung, Zuhören und Empathie beruht.
Nach dem Ende seiner letzten Fernsehsendung 2018 ist Aeschbacher selbstständig tätig. Er setzt eigene Projekte um, moderiert Gesprächsreihen und Veranstaltungen und gibt das Magazin «50plus» heraus. Im Baselbiet kennt man ihn gut, denn er ist regelmässig Gesprächsleiter im Alters- und Pflegeheim zum Eibach in Gelterkinden, wo er vor Publikum mit Gästen aus unterschiedlichen Lebensbereichen diskutiert.
Im Lauf seines Berufslebens war Kurt Aeschbacher in verschiedenen Funktionen tätig, unter anderem als Moderator, Schauspieler, Referent, Verwaltungsrat sowie als Restaurantbetreiber und in weiteren unternehmerischen Projekten.
Die Vielfalt seiner Tätigkeiten beschreibt er als Ausdruck seiner Neugier und seines Bedürfnisses, Ideen konkret umzusetzen.


