«Wenn einer eine Reise tut …»
07.11.2023 AnwilGrosses Kino im kleinen Dorf
Seit 20 Jahren ist der Verein Roadmovie mit dem Kinobus unterwegs, um die Schweizer Filmkultur aufs Land zu bringen. Auf dem Fahrplan stand im Jubiläumsjahr auch Anwil.
Brigitte Keller
«Wenn einer eine Reise tut, so ...
Grosses Kino im kleinen Dorf
Seit 20 Jahren ist der Verein Roadmovie mit dem Kinobus unterwegs, um die Schweizer Filmkultur aufs Land zu bringen. Auf dem Fahrplan stand im Jubiläumsjahr auch Anwil.
Brigitte Keller
«Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen.» Dieser bekannte Spruch des Dichters Matthias Claudius passt bestens zum Kinoabend in Anwil. Angereist am vergangenen Freitag waren drei Mitglieder von «Roadmovie», die für den Aufbau und Betrieb des mobilen Kinos und die Moderation des Programms verantwortlich zeichneten. Von einer leicht abenteuerlichen Anreise durch dunkle Wälder und um enge Kurven berichtete Regisseurin Barbara Kulcsar nach ihrer Ankunft. Eine zentrale Rolle spielt das Reisen und alles, was es mit sich bringen kann, auch im gezeigten Film «Die goldenen Jahre».
Doch erst das «anreisende» Publikum machte es zu einem Kinoerlebnis. Am Nachmittag nahmen die Primarschülerinnen und -schüler die Halle in Beschlag und kamen in den Genuss von sechs Kurzfilmen, gezeigt auf einem alten Filmprojektor. Und am Abend sorgte eine Kinobar mit Drinks und Popcorn, aufgebaut und betrieben vom Team der Milchhüsli-Bar, für ein authentisches Kinovergnügen. «Zusammenfinden und etwas gemeinsam geniessen» – darüber freute sich Gemeindepräsident Marcel König bei seiner Begrüssungsrede und bedankte sich bei allen Anwesenden.
Den gezeigten Film hatte das Organisationskomitee aus einer Vielzahl von Filmen, die «Roadmovie» jeweils zur Verfügung stellt, auswählen können. «Die Gemeinde Anwil hat sich bewusst für ‹Die goldenen Jahre› entschieden, damit die Bevölkerung einen unbeschwerten und fröhlichen Abend geniessen kann», erklärte dazu Gemeindeschreiberin Doris Schweizer. Und so war es denn auch: Von der ersten Szene an gab es viel zu lachen. Der Film handelt von Alice und Peter, die beide frisch pensioniert sind und sich darauf freuen, was jetzt endlich wahr werden soll. Peter erhofft sich, endlich ausschlafen und viel Zeit mit seinem Rennvelo und Freund Heinz verbringen zu können. Ehefrau Alice freut sich aufs Reisen und mehr Zweisamkeit mit ihrem Mann Peter. Auf einer Kreuzfahrt durchs Mittelmeer offenbaren sich die unterschiedlichen Erwartungen und lange aufgestaute Eheprobleme. Auf getrennten Wegen finden sie schliesslich nicht nur zu sich selbst, sondern auch zu einer neuen Art, ihre goldenen Jahre zu verbringen.
Blick hinter die Leinwand
Genauso spannend und amüsant wie der Film waren die Anekdoten, die Regisseurin Barbara Kulcsar nach der Vorführung zu erzählen wusste. So berichtete sie unter anderem vom Besuch einer Vorführung ihres Films in Georgien, wo das Publikum aus jungen Filmstudenten bestand. Deren Frage nach dem Film, «ob Langeweile in der Schweiz ein Problem sei», brachte die Regisseurin kurz ins Schwitzen. Es stellte sich heraus, dass diese einfach die im Film gezeigten Probleme nicht verstanden. Rentner in Georgien würden sich glücklich schätzen, sie hätten die Sorgen von Alice und Peter.
Eine der Fragen aus dem Publikum, die Kulcsar beantworte, befasste sich mit dem Abenteuer, auf einem so grossen Passagierschiff bei laufendem Betrieb zu drehen. Die Auflagen seien pickelhart überwacht worden und die Filmcrew sei ständig am Rennen gewesen, um zur rechten Zeit am richtigen Ort zu sein. Irgendjemand hätte sich immer verirrt, so die Regisseurin. Weiter erfuhren die Anwesenden etwas über den Dreh in den engen Gassen von Marseille und dass dort, als Bestätigung jedes Vorurteils und trotz Bewachung, Autos aufgebrochen und Rucksäcke, Pässe und das ganze Tonequipment gestohlen wurden. Man erfuhr aber auch etwas über die Anzahl Drehtage, die ungefähren Kosten für ein solches Projekt und ganz generell etwas zur Filmfinanzierung in der Schweiz.
Wie beim Ausklang an der Bar zu hören war, könnte sich für den Herbst 2024 ausnahmsweise nochmals eine Baselbieter Gemeinde für einen Halt von «Roadmovie» bewerben, da die vorgesehene Gemeinde kürzlich einen Rückzieher gemacht habe.
«Roadmovie»
bke. Zu Anfängen des Films fuhren Wanderkinos durchs Land und brachten die Magie der bewegten Bilder von Ort zu Ort.
Vor 20 Jahren hat der gemeinnützige Verein Roadmovie diese Tradition wieder aufgenommen.
Er fährt jeden Herbst während neun Wochen durch die Schweiz und besucht in dieser Zeit 36 Dörfer in allen Sprachregionen.