Was Kinder zuerst lernen sollten (nicht Französisch)
21.11.2025 PolitikDario Rigo, Landrat «Mitte», Ormalingen
Am Besuchstag der Rekrutenschule schaute ich der neuen Generation zu. Die Sonne schien, die Stimmung war gut. In der Kompanie standen sie Schulter an Schulter: Deutschschweizer, Romands, Ticinesi. Ein Berner rief: ...
Dario Rigo, Landrat «Mitte», Ormalingen
Am Besuchstag der Rekrutenschule schaute ich der neuen Generation zu. Die Sonne schien, die Stimmung war gut. In der Kompanie standen sie Schulter an Schulter: Deutschschweizer, Romands, Ticinesi. Ein Berner rief: «Hopp jetzt, Giele! Okay, let’s move!» Ein Baselbieter lachte: «Lueg emol do!» Und hinten tönt’s auf Englisch: «Come on, guys!» Beim Marschieren sangen sie alle zusammen: «I left my home, to join the army …» Als Einheit. Jenseits der Landessprachen. Da wurde mir klar: Unsere eigentliche gemeinsame Sprache heisst Vertrauen. Diese jungen Menschen zeigen, was trägt: Verantwortung füreinander, Zusammenhalt, Verständnis. Es wächst aus gemeinsamen Erlebnissen und Freundschaften über Sprachgrenzen hinweg. Ich erlebe das auch privat: Beim Znacht mit Freunden aus Lausanne, wo vieles auf Englisch läuft, aber das Verständnis stimmt.
Und in Bern? Da sieht man das anders. Man warnt, schon die Verlagerung des Französischunterrichts aus der Primarschule untergrabe den nationalen Zusammenhalt. Ob man es gut findet oder nicht: Im Alltag klingt es längst anders. Immer häufiger verständigt man sich privat, im Beruf und in den Ämtern in einer gemeinsamen Sprache. Dieses Rad drehen wir nicht zurück. Der Alltag wandelt sich, die Landessprachen bleiben dennoch wert- voll. Und wer in dieser Situation glaubt, die Schule könne diesen Trend umkehren, irrt. Bildung kann viel, aber nicht alles. Früheres Französisch ist kein Hebel, um die Wirklichkeit zu korrigieren.
Und genau hier kollidiert der Stundenplan mit der Realität. Unsere Schülerinnen und Schüler müssen ab der 3. Klasse Französisch lernen. Jedes zweite Kind bringt beim Schuleintritt bereits eine andere Sprache mit. Und schon in der Primarschule, oft als dritte oder vierte Sprache, kommen Französisch und Englisch hinzu. So treffen gute Absichten auf begrenzte Aufmerksamkeit: zu viel auf einmal, zu wenig in die Tiefe. Nach neun Schuljahren verstehen viele einfache Alltagstexte nicht, weder auf Deutsch noch auf Französisch. Die Kinder strengen sich an, sie wollen lernen, aber wer alles gleichzeitig soll, kann nichts wirklich gut.
Entscheidend sind die Grundlagen: Lesen, Schreiben, Rechnen. Neuste Untersuchungen der Kantone zeigen, dass nach neun Schuljahren zu viele Jugendliche die Minimalziele nicht erreichen, die selbstverständlich sein sollten: ein Backrezept lesen, die wichtigsten Punkte eines Mobilfunkvertrags verstehen, eine Lehrstellenanzeige einordnen. Grundlage jeder Bildung ist die sichere Beherrschung der Unterrichtssprache. Erst wenn das sitzt, trägt eine zusätzliche Sprache weit.
Trotzdem verordnen wir den Kleinsten Französisch, weil es für uns bequem ist. Die Kinder sollen sich engagieren, statt dass wir selbst etwas unternehmen, und Deutsch rückt hintenan – angeblich für den nationalen Zusammenhalt. Das ist nicht ehrlich. Wie jemand, der vom Vereinsleben redet, aber die Kinder vorschickt, statt sich selbst zu engagieren.
Es geht um Prioritäten. In der Primarschule haben Deutsch und Rechnen Vorrang, täglich, systematisch. Fremdsprachen beginnen erst, wenn die Grundlagen tragfähig sind. Lasst die Kinder Kinder sein. Geben wir ihnen zuerst die Grundlagen. Dann kommt alles Weitere. Dann wirkt es auch.
In der «Carte blanche» äussern sich Oberbaselbieter National- und Landratsmitglieder sowie Vertreterinnen und Vertreter der Gemeindebehörden zu einem selbst gewählten Thema.

