«Voraussetzung ist, dass es Visionäre gibt»
16.05.2025 RickenbachIm 571-Einwohner-Dorf Rickenbach gibt es etwas, das nicht in allen Gemeinden zu finden ist: 10 altersgerechte Wohnungen. Vor 20 Jahren wurde das ehemalige Handschin-Haus umgebaut. Das Angebot habe sich bewährt, sagt Reto Gasser, der Präsident der zuständigen Genossenschaft.
...Im 571-Einwohner-Dorf Rickenbach gibt es etwas, das nicht in allen Gemeinden zu finden ist: 10 altersgerechte Wohnungen. Vor 20 Jahren wurde das ehemalige Handschin-Haus umgebaut. Das Angebot habe sich bewährt, sagt Reto Gasser, der Präsident der zuständigen Genossenschaft.
Paul Aenishänslin
Herr Gasser, weshalb wurde die Genossenschaft für altersgerechtes Wohnen (Gawo) in Rickenbach vor 20 Jahren ins Leben gerufen?
Reto Gasser: Die markante Liegenschaft der Familie Handschin beim Dorfeingang Richtung Gelterkinden
– ein Bauernhaus samt Scheune und Remise – stand leer und war zum Verkauf ausgeschrieben. Zugleich fehlten wegen des kleinen Bestands an Mietwohnungen Möglichkeiten, um im hohen Alter im Dorf bleiben zu können. So kam beim Initianten und ehemaligen Gemeindepräsidenten Werner Fiechter sowie seinen Mitstreitern der genossenschaftliche Gedanke auf. Sie wollten etwas für das Dorf und für ältere Menschen tun, die ihr eigenes Haus nicht mehr bewirtschaften können, aber in Rickenbach bleiben möchten.
Wie viele altersgerechte Wohnungen wurden damals realisiert?
Es wurden zehn Wohnungen gebaut, neun davon behindertengerecht – sie sind mit dem Lift erreichbar. Auf den Erhalt der ursprünglichen Bausubstanz wurde grosser Wert gelegt. Die Grösse der Wohnungen variiert von 1,5 bis 2,5 Zimmern, die Flächen von 58 bis 82 Quadratmetern.
Wie wurden die Wohnungen über die Zeit nachgefragt? Sind gegenwärtig alle vermietet?
Es bestand von Beginn weg Vollvermietung. Die Leerstände zwischen Vermietungen dauerten über die vergangenen Jahre lediglich rund einen Monat. Es handelt sich durchwegs um langfristige Mieterinnen. Diese Treue wird von der Genossenschaft belohnt: Nach fünf Jahren Mietverhältnis wird eine halbe Monatsmiete geschenkt, nach zehn Jahren eine volle Monatsmiete. Im Mieterland Schweiz ist das wohl einmalig.
Was kostet die Miete der Wohnungen? Und welche Voraussetzungen müssen die Mietinteressenten erfüllen?
Die Mieten betragen zwischen 1130 und 1390 Franken ohne Nebenkosten, sind also vergleichsweise günstig. Bei einer Vakanz soll der neue Mieter in das bestehende Portfolio passen. Die einzige formelle Voraussetzung sind ein Strafregister- sowie ein Betreibungsauszug ohne Einträge. Der Beitritt zur Genossenschaft ist möglich, aber keine Bedingung für die Miete.
Wie steht es um die finanzielle Lage der Genossenschaft?
Die finanzielle Situation ist solide. Über die Jahre wurden immer 2 Prozent Zins auf die Anteilscheine ausbezahlt. Das Eigenkapital betrug zu Beginn 410 000 Franken und wurde von 47 Personen aus dem Dorf gezeichnet. Heute beträgt das Genossenschaftskapital 540 000 Franken, gehalten von 52 Personen. Das Eigenkapital beträgt total 600 000 Franken bei einem Fremdkapital von 2,3 Millionen Franken. Die Gemeinde Rickenbach hat zu Beginn einen Betrag von 200 000 Franken an das Fremdkapital beigesteuert, der Ende des laufenden Jahres vollumfänglich zurückbezahlt sein wird.
Welche Herausforderungen bringt der Bau altersgerechter Wohnungen mit sich?
Die grösste Herausforderung war, ein altes Gebäude behindertengerecht umzubauen, was dank dem ausgewählten Architekten gelang. Es gibt keine Stufen, Absätze oder Türen als Hindernisse. Auf besondere Wünsche wurde eingegangen: zum Beispiel Haltestangen im Lift und im Badezimmer oder ein neuer Garten-Sitzplatz für den gemeinsamen Austausch der Mieter.
Gibt es weitere Projekte der Genossenschaft?
Aktuell gibt es keine weiteren Projekte. Wir wissen jedoch von einem ähnlichen Projekt in der Nachbargemeinde Wintersingen. Die Genossenschaft ist bereit, bei der Ideenfindung und Umsetzung mitzuhelfen. Erste Kontakte haben bereits stattgefunden.
Wird es die Genossenschaft in 20 Jahren noch geben?
Das ist angesichts der zunehmenden Lebenserwartung der Bevölkerung zu hoffen. Allerdings erwartet der Vorstand, dass er bald auf jüngere Nachfolgerinnen und Nachfolger zählen darf, da wohl auch seine Mitglieder in 20 Jahren Kandidaten für eine Alterswohnung sein werden …
Was denken Sie: Wäre es heute schwieriger als vor 20 Jahren, Alterswohnungen auf Genossenschaftsbasis zu realisieren?
Grundvoraussetzung wäre wie vor 20 Jahren, dass es Visionäre gibt – wie damals Werner Fiechter – und eine Hausbesitzerin wie die Familie Handschin, die bereit ist, eine Liegenschaft zu einem bescheidenen Preis zu veräussern. Die Genossenschaft zahlte der Familie Handschin 2005 nur 170 000 Franken. Auch dank dieser Grosszügigkeit und Weitsicht kann Rickenbach heute Alterswohnungen anbieten.
Zur Person
pae. Die Genossenschaft feiert ihr 20-jähriges Bestehen im Rahmen der Generalversammlung vom kommenden Mittwoch, 21. Mai, miteiner Festansprache, einer Besichtigung der Wohnungen, einem Apéro und einem Abendessen.
Der in Basel geborene Reto Gasser (59) ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und wohnt seit 30 Jahren im Oberbaselbiet (Gelterkinden und Rickenbach). Der Aviatiker arbeitet seit 14 Jahren bei der Firma 2assistU in Brugg.