Von Gutachten und Gutgläubigkeit
25.07.2025 PolitikManuel Ballmer, Landrat GLP, Lupsingen
Die Schweiz liebt Gutachten. Sie werden bestellt, geprüft, hinterfragt und nicht selten versteckt. Wer glaubt, Wahrheit setze sich von selbst durch, hat offenbar nie eine Verwaltungsschublade gesehen.
Nehmen ...
Manuel Ballmer, Landrat GLP, Lupsingen
Die Schweiz liebt Gutachten. Sie werden bestellt, geprüft, hinterfragt und nicht selten versteckt. Wer glaubt, Wahrheit setze sich von selbst durch, hat offenbar nie eine Verwaltungsschublade gesehen.
Nehmen wir das F-35-Gutachten. Der Bundesrat versicherte, der Preis sei fix. Garantiert. Das dazugehörige Kurz-Gutachten war so geheim, dass wohl selbst der Bundesrat nur die Zusammenfassung las. Und die stammte von einer Zürcher Kanzlei, die für zwei Seiten 550 000 Franken kassierte. Offenbar der «Festpreis» für Schweizer Rechtssicherheit.
Ähnlich beim Bundesamt für Energie: Eine Studie zeigte, dass in 90 Prozent der Fälle der Umstieg aufs E-Auto ökologisch sinnvoll ist. Das Amt hielt die Ergebnisse zurück, bis hartnäckige Journalisten Druck machten. Erst Ende Juni wurde veröffentlicht, was seit Herbst 2024 in der Schublade lag.
Journalistin Adrienne Fichter setzt nicht auf Technikgläubigkeit, sondern auf Akteneinsicht. Sie will regelmässig wissen, was Bund und Kantone tun, um sich von Tech-Giganten zu emanzipieren. Die Ant- worten kommen zäh. In Luzern lautete die Reaktion kürzlich gar: Strafanzeigen und Entlassung des IT-Sicherheitschefs. Die internen Dokumente waren offenbar zu brisant, die interne Opposition zu unbequem. Weder Whistleblower noch Pressefreiheit wurden geschützt und erst recht nicht das Vertrauen in die Institutionen oder unsere «digitale Souveränität». Transparenz bleibt auch im digitalen Zeitalter ein analoges Problem.
Apropos Transparenz: Die BLKB liess ein Kurzgutachten zur Staatsgarantie einer Tochter erstellen. Die Regierung, eigentlich Kontrollinstanz, übernahm es kurzerhand. Publiziert wurde es nie. Der Verdacht liegt nahe: Wer bestellt, bestimmt den Ton. Oder den Verschlussgrad. Vielleicht war es auch mangelhaft, denn es folgte ein zweites. Auch dieses: unter Verschluss.
Auch Anti-Tempo-30 ist so ein Fall von Multi-Gutachten. Ein Gutachten erklärte die Initiative für rechtsungültig. Die Befürworter unzufrieden. Lösung? Ein «Obergutachten». Wenn das Ergebnis nicht passt, ändert man nicht die Politik, sondern gutachtet nach. Immerhin: Diese Papiere sind öffentlich. Aber ausser Juristen liest die wohl niemand freiwillig.
Bleibt zu hoffen, dass der versprochene ETH-Bericht zur Verkehrsentwicklung nach dem Rheintunnel-Nein nicht in einem Papierstau vor Bern stecken bleibt. Oder zumindest eine Rettungsgasse offen bleibt für das «unabhängige» Gutachten zur 105-Millionen-Wertberichtigung bei der BLKB. Denn es eilt: Ende August soll dieses dem Haupteigner bereits vorliegen. Also nur wenigen Auserwählten. Die Bevölkerung wird «zeitnah informiert».
Dabei ist die Sache doch einfach: In einer direkten Demokratie gehören Fakten auf den Tisch, nicht ins Archiv. Die Bevölkerung – und zuweilen auch der Landrat
– kann vieles mittragen. Aber nicht alles blind.
Vielleicht braucht es ein öffentliches Register für verschwundene Gutachten. Oder schlicht eine neue Regel: Wer eines bestellt, muss es veröffentlichen. Ob’s nun passt oder nicht. Denn Demokratie lebt nicht vom perfekten Timing, sondern vom offenen Dialog. Und vom Mut, auch dann hinzuschauen, wenn’s unbequem wird.
In der «Carte blanche» äussern sich Oberbaselbieter National- und Landratsmitglieder sowie Vertreterinnen und Vertreter der Gemeindebehörden zu einem selbst gewählten Thema.