Vom Mittelalter bis ins heute
19.09.2025 WaldenburgVera Schnider und ihre Leidenschaft für die Harfe
Der Weg zur geschätzten und viel beschäftigten Harfenistin, Kuratorin und Pädagogin wurde Vera Schnider nicht in die Wiege gelegt. Sie hat ihn sich aus eigener Kraft erarbeitet. Im Alter von sieben Jahren sah sie zum ...
Vera Schnider und ihre Leidenschaft für die Harfe
Der Weg zur geschätzten und viel beschäftigten Harfenistin, Kuratorin und Pädagogin wurde Vera Schnider nicht in die Wiege gelegt. Sie hat ihn sich aus eigener Kraft erarbeitet. Im Alter von sieben Jahren sah sie zum ersten Mal eine Harfe – und die Faszination liess sie nie mehr los.
Brigitte Keller
«Ich bewege mich in zwei Welten», sagt die freischaffende Harfenistin Vera Schnider (39), und sie meint damit einerseits die Liebe zur Alten Musik und gleichzeitig ihre Leidenschaft für die moderne Welt und deren Instrumente sowie technischen Möglichkeiten. Viele Harfenspieler, die sich der Alten Musik verschrieben, würden sich damit gleichzeitig von zeitgenössischen Interpretationen verabschieden. «Ich weigere mich, diese Trennung zu machen», sagt Schnider mit Nachdruck.
Sich in «zwei Welten» zu bewegen, bedeutet auch, auf mehr als einer Harfe zu spielen. Wobei man mit «mehr als einer» bei Vera Schnider weit daneben liegt. Betritt man ihren Übungsraum, stehen da sage und schreibe 14 Harfen bereit, und weitere drei warten auf ihre Restaurierung. «Harfen haben sich von Jahrhundert zu Jahrhundert grundlegend verändert, dazu kamen regionale Unterschiede», erklärt Schnider. Um die Musik der verschiedenen Epochen und Komponisten authentisch wiederzugeben, benötige man die dazu passende Harfe.
Zuvorderst neben dem Eingang steht eine kleine, einfach Harfe, die man zum Spielen auf den Schoss nimmt. Dabei handelt es sich um den Nachbau eines Instruments, mit dem schon die Minnesänger im Mittelalter durch die Lande zogen. Es ist eine gotische Harfe, versehen mit sogenannten Schnarrhaken. Namensgebend für diese Art Harfe sind Haken aus Holz, die am unteren Ende der Saite angebracht sind und die schwingende Saite zum Schnarren bringen – dem heute fremden, aber typisch mittelalterlichen Klang.
Gleich daneben steht eine weitere kleinere Harfe. Dabei handelt es sich um eine Hakenharfe aus dem deutschen Raum der Bach-Zeit. Sie hat im Gegensatz zu der vorher beschriebenen Harfe Metallhaken oben an den Saiten, um die Halbtöne zu verstellen. Diese Harfe nutzt Schnider beim Unterrichten an der Musikschule Schola Cantorum Basiliensis, wo sie seit drei Jahren ein Teilzeitpensum innehat.
Gegenüber stehen die Harfen, mit denen sie ihre Auftritte bestreitet. Den meisten Platz beansprucht die moderne elektrische Harfe, deren Töne über Mikrofone abgenommen und via Kabel zum Tonsystem geleitet werden. Daneben steht der Nachbau einer italienischen Harfe aus dem 16. Jahrhundert. Bei diesem Prestigeobjekt, das sich Schnider von einem versierten Fachmann nachbauen liess, handelt es sich um eine chromatische Harfe. Damit konnten erstmals mit mehreren Saitenreihen hintereinander auch die Halbtöne direkt gespielt werden.
Inspiration von nebenan
Vera Schnider und ihr Ehemann Fred Uhlig sind vor sechs Jahren in das alte Bezirksschreiberhaus in Waldenburg gezogen, wo sie zwischenzeitlich Eltern von drei Kindern geworden sind. Aufgewachsen ist Schnider in Emmenbrücke bei Luzern. Die Liebe zur Musik ist ihr nicht in die Wiege gelegt worden. Sie stammt aus keinem sogenannten «bildungsbürgerlichen» Haushalt, in dem Musikunterricht ganz selbstverständlich dazugehört. «Unsere Nachbarn in der Reihenhaussiedlung waren Geiger», erzählt Schnider. «Ihr Leben als Musiker, das sich gänzlich von dem unserer Familie unterschied, übte einen Zauber auf mich als kleines Mädchen aus.»
Bald darauf «verliebte» sich dieses kleine Mädchen in die Harfe. Ihr unermüdliches Bitten und Betteln erweichte ihre Eltern, und sie ermöglichten ihr Harfenunterricht. Seither liess sie die Faszination für dieses Instrument nicht mehr los. «Mich interessierte sehr vieles: Literatur, Geschichte, eigentlich alle Geisteswissenschaften», so Schnider. Sie entschied sich letztlich aber doch für das Musikstudium.
Mit dem Pflichtrepertoire, das es zu lernen gab, haderte sie anfangs mehr als einmal. Dank der Unterstützung ihrer Professorin konnte sie eigene Schwerpunkte setzen, was sie «gerettet» habe und das Studium erfolgreich abschliessen liess. Gleichzeitig mit dem Studium der modernen Harfe wuchs ihre Begeisterung für Alte Musik und deren historisch informierte Aufführungspraxis. Das bewog Schnider dazu, an der Basler Hochschule Schola Cantorum Basiliensis einen Masterabschluss in der Interpretation der Musik des Mittelalters bis zur Romantik hinzuzufügen.
Im Waldenburger Zuhause steht neben den Nachbauten seit Kurzem eine echte antike Harfe. Sie stand als «Deko-Objekt» ohne Saiten im Schaufenster eines Antiquitätenhändlers. Eine Bekannte gab Schnider den Tipp, das Objekt genauer in Augenschein zu nehmen. Es stellte sich heraus, dass es sich um ein Original aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert aus Frankreich handelte. Schnider erkannte die gute Substanz des Instruments und liess sie von einem Harfenbauer restaurieren und neu besaiten.
Als vielseitig interessierte Person fügte Schnider ein Studium in Germanistik und Kunstgeschichte an der Uni Bern an. «Ich wollte einfach noch mehr darüber erfahren, wo die Musik herkommt und was der kulturhistorische Hintergrund ist.» In diese Zeit fällt der Aufbau des Oktetts «ensemble proton». Seit Anfang 2020 ist sie zudem Teil des Kuratoriums des jährlich stattfindenden Musikfestivals Bern.
«Ich spiele und tausche mich sehr gerne mit anderen Musikerinnen und Musikern aus», fährt sie fort. Die zwei Auftritte – seit längerer Zeit wieder einmal solo – am kürzlich stattgefundenen «Between Mountains Festival» in Hölstein seien auch «sehr wichtige Momente» gewesen, und sie habe sich viel Zeit genommen, um die passenden Stücke auszuwählen.
Musikstücke nicht «nur» zu spielen, sondern zu ergründen, kulturhistorisch zu verorten sowie deren Funktion und Verbreitung zu verstehen – und vor allem, sich davon berühren zu lassen: Dies ist für Vera Schnider faszinierend. Ein Leben in zwei – und noch viel mehr, Welten.

