Urs Casagrande – Friedensrichter aus Leidenschaft
27.11.2025 ReigoldswilDer 74-Jährige ist demnächst der Doyen seiner Amtskollegen
Urs Casagrande wird bald der dienstälteste Friedensrichter im Kanton Baselland sein. Der 74-Jährige aus Reigoldswil übt sein Amt seit 15 Jahren mit Leidenschaft aus – und denkt noch lange nicht ans ...
Der 74-Jährige ist demnächst der Doyen seiner Amtskollegen
Urs Casagrande wird bald der dienstälteste Friedensrichter im Kanton Baselland sein. Der 74-Jährige aus Reigoldswil übt sein Amt seit 15 Jahren mit Leidenschaft aus – und denkt noch lange nicht ans Aufhören.
Thomas Gubler
Noch ist Urs Casagrande mit Jahrgang 1951 erst der zweitälteste Friedensrichter im Kanton. Der älteste ist sein Compagnon im 15 Gemeinden umfassenden Baselbieter Friedensrichterkreis 15, Alfredo Kurmann aus Niederdorf, der jedoch sein Amt per 31. März kommenden Jahres abgibt. Der Reigoldswiler Urs Casagrande aber hängt noch eine Runde an. Ein Glücksfall für die beiden Frenkentäler, denn Casagrande wirkt nicht nur «tough», wie man auf Neudeutsch sagt, er kennt als ehemaliger Gemeindepräsident und langjähriger Gemeinderat von Reigoldswil die Menschen, Sitten und Gebräuche in den Frenkentälern wie kaum ein Zweiter. Und er betreibt sein Amt mit Leidenschaft und Hingabe.
Dabei stammt er ursprünglich gar nicht aus dem «Fünflibertal», wie man die Region der Hinteren Frenke zwischen Bubendorf und Reigoldswil nennt. Er ist in Basel und Binningen aufgewachsen, lebt aber seit mittlerweile 40 Jahren in Reigoldswil. Und wie der Name Casagrande unschwer erahnen lässt, kommt die Familie ursprünglich aus Italien. «Meine Grosseltern waren noch Italiener», sagt er. Er selbst ist also ein sogenannter «Terzo», der aber kein Italienisch mehr spricht.
Dass Urs Casagrande ein Zugezogener ist, erachtet er für seine Funktion eher als Vor-, denn als Nachteil. «Weil ich nicht im Dorf aufgewachsen bin», so der Friedensrichter, «bin ich auch nicht mit den alten Dorfgeschichten verfangen.» Und für den Fall, dass man einer Partei persönlich doch zu nahesteht, habe man schliesslich einen Kompagnon. Das ist noch bis zum 31. März Alfredo Kurmann und anschliessend Roland Plattner – ehemaliger Landrat und pensionierter Verwalter der Reformierten Landeskirche Baselland. So liessen sich Fälle möglicher Befangenheit problemlos vermeiden. Und allein, dass man mit einer Partei per Du sei, habe hierzulande noch nichts mit Befangenheit zu tun.
Meistens geht es um Geld
Was aber fasziniert den mittlerweile 74-Jährigen immer noch an seinem Amt, das er seit 15 Jahren ausübt? Es seien die unterschiedlichen Fälle einerseits und die unterschiedlichen Charaktere der Parteien andererseits. «Und dann gibt es scheinbar klare Fälle, die sich in der Verhandlung plötzlich als gar nicht mehr so klar erweisen. Hier dann möglichst die Wahrheit zu ermitteln, ist für mich immer wieder eine Herausforderung», sagt Urs Casagrande. Materiell gehe es meistens entweder um Geld – nicht bezahlte Rechnungen – oder um nachbarrechtliche Streitigkeiten. Mitunter könne es auch schon mal um sehr hohe Beträge gehen.
Zu brenzligen Situationen sei es in seiner bisherigen Amtszeit zwar gekommen, aber doch eher selten. In der Regel verliefen die Verhandlungen anständig. Und wenn die Emotionen hochgingen – «das kann immer wieder vorkommen» –, dann müsse man eben deeskalieren und die Leute herunterholen. «In einem Fall mussten wir allerdings einen extremen Choleriker rauswerfen.»
Jurist müsse man für dieses Amt nicht sein. Urs Casagrande ist von Haus aus Betriebsökonom, der lange Zeit im Marketing tätig war und dann ein Handelsunternehmen für Wein, Oliven und andere südliche Agrarprodukte gründete. Im Umgang mit den Parteianwälten sei es vielleicht sogar von Vorteil, wenn der Friedensrichter gerade nicht Jurist sei. Gefragt sei ohnehin vor allem das, was man gemeinhin unter gesundem Menschenverstand versteht.
Rückgang der Fälle
Für Casagrande steht entsprechend auch ausser Frage, dass es die Institution Friedensrichter braucht, nicht zuletzt zur Entlastung der kantonalen Gerichte. Denn sehr viele Fälle liessen sich unbürokratisch durch Vergleich, einvernehmlich oder sogar ohne Formalitäten mit einem Gespräch am Telefon erledigen.
Umso mehr erstaunt es, dass die Fälle, die zur Verhandlung vor dem Friedensrichter gelangen, in den vergangenen Jahren generell um etwa die Hälfte abgenommen haben. «Vor zehn Jahren hatte ich zwischen 20 und 30 Fälle jährlich zu erledigen. Heute sind es noch 10 bis 15.» So richtig erklären kann sich Urs Casagrande diesen Rückgang nicht. Er vermutet aber, dass die Leute heute, wenn sie ihren Standpunkt schriftlich darlegen müssen, schneller aufgeben als früher. «Werbung machen können und wollen wir jedenfalls nicht. Und wenn die Leute tatsächlich weniger streiten sollten, umso besser», meint er schmunzelnd.
Verbindungen in die Ukraine
Was Streit und Krieg bedeuten, bekommt Urs Casagrande ziemlich hautnah in der Heimat seiner Frau mit. Der Vater zweier erwachsener Kinder aus erster Ehe und vierfache Grossvater ist seit acht Jahren in zweiter Ehe mit einer Ukrainerin verheiratet.
Seine Frau erlebe zurzeit schwierige Situationen, sagt er. So sei kürzlich ihre Freundin bei einem russischen Angriff getötet worden, und ihr Neffe sei im Krieg. Eine Reise in die Ukraine kommt für ihn jedenfalls zurzeit nicht infrage, obschon er mit seiner Frau zusammen eine Wohnung in Kiew besitzt.

