«Über Geld muss man früh sprechen können»
31.12.2024 SportVor acht Jahren hat Michael Schiendorfer der PR- und Medienbranche den Rücken gekehrt und machte sich als Sportmanager selbstständig. Zu seinen ersten Klienten gehörten der aktuelle Schwingerkönig und der derzeit beste Skifahrer der Welt.
Christian ...
Vor acht Jahren hat Michael Schiendorfer der PR- und Medienbranche den Rücken gekehrt und machte sich als Sportmanager selbstständig. Zu seinen ersten Klienten gehörten der aktuelle Schwingerkönig und der derzeit beste Skifahrer der Welt.
Christian Horisberger
Herr Schiendorfer, wir haben den vereinbarten Gesprächstermin kurzfristig verschieben müssen, weil Lars Rösti, ein Schützling von Ihnen, im Super-G von Gröden mit Startnummer 34 überraschend auf Platz 9 gefahren ist. Was bedeutete das für Sie als seinen Manager?
Michael Schiendorfer: Es ist das erste grosse Resultat von Lars und damit natürlich medial spannend und etwas sehr Emotionales – für den Fahrer und auch für die Sponsoren. Das sind schöne Tage. Ich freue mich für Lars und sein ganzes Umfeld.
Auch besonders wichtig für Sie als Manager, um Ihren Athleten bei Sponsoren positionieren zu können?
Nein, daran denke ich in so einem Moment keine Sekunde. In dieser Situation rufen viele Leute an, die einen Sportler schon lange begleiten und an ihn geglaubt haben. So eine Leistung bereitet vielen Menschen grosse Freude.
Marco Odermatt wurde in diesem Rennen Dritter. Wir sind verwöhnt von seinen Erfolgen. Ist ein dritter Platz für den momentan besten Skifahrer der Welt bereits eine Enttäuschung?
Nein. Jeder, der etwas von Skisport versteht, weiss, was es bedeutet, im Weltcup ganz vorne mitfahren zu können. Dementsprechend hat sich auch Marco über den 3. Rang gefreut. Jeder Podestplatz ist ein Riesenerfolg! Nach all den grossen Erfolgen scheinen gewisse Dinge selbstverständlich geworden zu sein. Das dies eben nicht der Fall ist, zeigten zum Beispiel die beiden Ausfälle bei Rennen Anfang Saison. Es muss unglaublich viel zusammenkommen, damit ein Sportler solche Erfolge feiern kann. Das Verrückte ist: Marco ist erst 27 Jahre alt und gehört bereits zu den ganz Grossen des Skisports.
Sie als Manager haben mit ihm das grosse Los gezogen. Wie ist es zu dieser Zusammenarbeit gekommen?
Ich manage Marco bereits seit 2016. Damals war er 18-jährig und hatte eine Junioren-WM-Goldmedaille gewonnen. All seine Erfolge kamen nicht von heute auf morgen, sie sind das Ergebnis einer Entwicklung. Es ist wunderbar und ein Privileg, einen so aussergewöhnlichen Sportler über eine so lange Zeit beraten und begleiten zu dürfen.
Was haben Sie in ihm gesehen, als Sie den jungen Sportler und Maturanden angesprochen haben?
Vor allem einen jungen Menschen, der ziemlich genau weiss, was er will. Er war mir durch seine Zuverlässigkeit aufgefallen. Bis er 15 Jahre alt war, gehörte er nie zu den Erstplatzierten. Seine disziplinierte und zuverlässige Arbeit auf und neben der Piste brachte ihn weiter. Das zeigte mir, dass er viele Werte verkörpert, die ich gut finde.
Jetzt ist Marco Odermatt ein Star. Welche Auswirkung hat das für Ihre Sportmanagement-Agentur?
Zunächst eine gewisse Bekanntheit: Wenn man während acht Jahren mit einem Athleten erfolgreich zusammenarbeitet, gibt es sicher viele Dinge, die man richtig gemacht hat. Das spricht sich herum – bei Athleten und Sponsoren und auch bei Verbänden und Medien. Dies öffnet uns für neue Partnerschaften gewisse Türen. Durch die erfolgreiche Zusammenarbeit mit Marco können wir uns heute unsere Klienten aussuchen. Wir haben praktisch jeden Tag eine neueAnfrage auf demTisch.
Suchen Sie darüber hinaus noch aktiv nach Talenten?
Ja, das gehört zum Handwerk: mit Leuten reden, Veranstaltungen mit jungen Sportlern besuchen.
Welches sind Ihre Auswahlkriterien?
Zunächst das sportliche Potenzial gekoppelt mit dem Alter. Ich finde es sehr interessant, einem jungen Menschen zu helfen, dass er seinen Sport intensiv ausüben kann und ihn gleichzeitig dabei begleiten, zu einer Persönlichkeit zu reifen. Je jünger man jemanden kennenlernt, desto früher kann man auch ein Netzwerk um ihn herum bilden. Ist ein Athlet oder eine Athletin schon eine Grösse in seiner oder ihrer Disziplin, ist man primär im Vermarktungsfeld oder beim Übergang in die zweite Karriere aktiv. Auch das ist wichtig und hat durchaus seinen Reiz.
Was gehört zum Leistungsumfang Ihrer Agentur?
Das ist sehr unterschiedlich. Wir bieten den Athletinnen und Athleten massgeschneiderte Pakete an. Es kann bis zu einer beinahe 360-Grad-Betreuung gehen. Dann gilt es, dafür zu sorgen, dass die Athleten von Leuten umgeben sind, die nicht nur hochkompetent sind, sondern in deren Nähe sich die Sportler auch wohlfühlen. Es kann auch sein, dass beispielsweise eine Skifahrerin zu mir kommt und sagt, sie brauche lediglich einen Hauptsponsor und einen «Helm». Meine Kernkompetenzen sind die Kommunikation, das Suchen von Sponsoren, der Aufbau und die Pflege von Netzwerken sowie das Bilden und die Pflege von High-Performance-Teams. Das habe ich in grossen Firmen gelernt.
Was sind Ihre Erwartungen an die Athleten, mit denen Sie arbeiten?
Mit einer Person zusammenzuarbeiten, die glaubt, schon alles zu wissen, könnte schwierig werden. Daher: Gegenseitige Offenheit, Vertrauen und auch Mut. Wer Erfolg haben will, muss auch den Mut aufbringen, neue Wege zu beschreiten, mit dem Risiko, dass gewisse Dinge nicht funktionieren. Wichtig sind mir zudem hohes Engagement und ein anständiger Umgang mit den Menschen im Umfeld, seien es Trainer, Sponsoren oder Medienschaffende.
Sehen Sie sich eher als Freund, guter Onkel, Antreiber oder als Chef?
Von allem ein bisschen, das hängt ganz von der Situation und auch vom Athleten ab. Manchmal ist man der Berater, der analysiert, manchmal der gute Freund, der aufmuntert. Man muss ein Gespür dafür bekommen, was es situativ braucht. Mit manchen Sportlerinnen und Sportlern habe ich ein reines Arbeitsverhältnis – hoffentlich ein gutes –, denn das ist mein Anspruch. Mit gewissen entwickeln sich mit der Zeit Freundschaften, das ist etwas völlig Natürliches.
Bevor ein junger Athlet zu einem Klienten Ihrer Agentur wird, treffen Sie sich mit ihm daheim mit dessen ganzer Familie am Stubentisch. Warum ist Ihnen das wichtig?
Die Familie eines Menschen spielt in einer Sportlerkarriere eine entscheidende Rolle, denn sie wird immer Teil eines Athleten sein – im Positiven wie im Negativen. In diesem Gespräch erfährt man relativ rasch, wie die Situation in einer Familie ist, welche Werte ihr wichtig sind, ob die anderen Kinder zu kurz kommen, ob es allenfalls Geschwister gibt, die mit gleichem Aufwand weniger erfolgreich sind … Über solche Dinge muss man sprechen. Während der zwei oder drei Stunden am Stubentisch erfährt man viel und bekommt gegenseitig ein Gefühl dafür, mit wem man es zu tun hat.
… und ob man einander vertrauen kann …
Ja. Damit man miteinander den Weg gehen kann, ist es wichtig, dass einem auch die Eltern eines Schützlings das Vertrauen schenken. Marco Odermatts Vater hatte mir schon nach drei Wochen erklärt, dass ich ihn bei Korrespondenzen im Zusammenhang mit seinem Sohn nicht mehr ins CC nehmen müsse. Er vertraue mir. Nach so kurzer Zeit ist das aussergewöhnlich.
Ist am Stubentisch Geld schon ein Thema?
Ja. Über Geld muss man früh sprechen können. Denn die Förderung eines Sporttalents hat gewisse Kosten zur Folge: Wenn jemand die Weltspitze als Ziel hat, braucht es schon früh einen fünfstelligen Betrag für Trainer und Trainingslager, Physio, Reisen, schulische Unterstützung, Kleider, Ernährung, Material usw. Da muss ich wissen, ob eine Familie das selber finanzieren kann, oder ob sie dabei auf die Unterstützung von Sponsoren, Stiftungen oder anderen Geldquellen angewiesen ist.
In welchen Sportarten sitzt Sponsoren das Portemonnaie am lockersten?
Der wichtigste Faktor ist die Sichtbarkeit. Sportarten, die Fernsehpräsenz haben, sind im Vorteil. Das heisst im Umkehrschluss aber nicht, dass sich für andere Sportarten keine Sponsoren finden lassen. Dann muss man eben innovativ, mutig und fleissig sein, um welche zu gewinnen. Das passiert vom Bürotisch aus mit dem Verschicken von Dossiers, über das eigene Netzwerk oder dem Besuch von Anlässen, um neue Kontakte zu knüpfen.
Der Skirennsport seit Jahrzehnten und das Schwingen seit wenigen Jahren profitieren stark von der Präsenz im Fernsehen. Zehnkampf ist dort eher eine Randnotiz. Trotzdem haben Sie vor viereinhalb Jahren den Mehrkämpfer Simon Ehammer unter Vertrag genommen. Jetzt ist er Hallen-Weltmeister.
Als ich mich für eine Zusammenarbeit mit Simon entschieden habe, erklärten mir viele Leute, ich würde etwas falsch machen. Fast dieselben Leute sagen mir heute, das sei riesiges Glück gewesen … Manchmal muss man eben Mut haben und etwas Neues entwickeln. Da ist für mich auch nicht die Frage nach dem Geld das Wichtigste, sondern, ob da ein Mensch ist, an dem ich Freude habe und mit dem zusammen ich etwas entwickeln kann. Der Mensch ist mir wichtig – auch Sportler in Disziplinen, die auf den ersten Blick kommerziell nicht attraktiv sind, haben es verdient, dass man ihnen hilft.
Stichwort «kommerziell nicht attraktiv»: Sie betreuen mit den Geschwistern Alena und Dimitri Marx auch zwei sehr erfolgreiche Kanuten. Wie kam es dazu?
Durch einen guten Freund, der Götti von einem der beiden ist. Jetzt unterstütze ich die beiden, und ich habe grosse Freude daran. Zunächst hatte ich von Kanu keine Ahnung. Doch auch ohne vertiefte Kenntnis der Sportart können wir uns gewisser Werkzeuge bedienen, die in den meisten Sportarten funktionieren, sofern man sie konsequent anwendet. Ich bin mittlerweile ein Kanu-Fan. Das ist ein grossartiger Sport – auch für Zuschauer.
Sie haben auch den Schwimm-Weltmeister Noè Ponti, Olympia-Goldschützin Chiara Leone, den Schwingerkönig von Pratteln, Joel Wicki, und viele mehr unter Vertrag. Das Spektrum der Sportarten ist breit. Sind Sie für Sportler aller Sportarten offen?
Ich war tätig in der Kommunikation von Konzernen wie Hilti, ABB, oder Novartis. Mir wurde gelegentlich gesagt, ich müsse mich auf eine Branche festlegen, um Karriere machen zu können. Ich tat dies nie, mich interessierte genau das Gegenteil: Auf der Basis meines handwerklichen Könnens konnte ich in jeder Firma, für die ich arbeitete, dazulernen und Karriere machen. Bei den Sportarten ist es genauso und deshalb schliesse ich auch nichts im Vornherein aus. Jede Sportart hat ihren Reiz. Manchmal ist das mehr, manchmal weniger offensichtlich.
Machen die vielen Sportarten in denen Sie tätig sind, Sie zu einem kompletteren Manager?
Meine Werkzeugkiste ist dadurch um ein Werkzeug reicher: Ich kann Athletinnen und Athleten in gewissen Situationen auch einmal einen Tipp geben, wie man es in einer anderen Sportart machen würde.
Ihre Agentur hat fast 30 Athletinnen und Athleten und mehr als 320 Sponsoringpartner. An 40 Wochenenden im Jahr sind Sie an Sportevents unterwegs, Sie halten vor Studierenden Referate, haben eine Sportmarketingagentur und noch dazu eine Familie. Wird Ihnen das alles manchmal nicht zu viel?
Nein, ich habe meinen Traumberuf. Das, was ich mache, tue ich unglaublich gerne, weshalb ich daraus sehr viel Energie ziehen kann. Darüber hinaus habe ich von Natur aus viel Energie, kann meine Batterien glücklicherweise auch rasch aufladen. Ich bin mega happy, wie es läuft, und stets neugierig, was morgen sein wird. Jeder Tag bringt Neues, und das macht den Job auch enorm spannend. Ich versuche im Moment zu leben und Freude an dem zu haben, was ich tue.
Das geben Sie bestimmt auch Ihren Sportlern mit auf den Weg. Was noch?
Dass das allerhöchste Gut die Gesundheit ist. Und auch, dass von einem Moment auf den anderen nichts mehr sein kann, wie es war, wenn man sich schwer verletzt oder eine schwerwiegende Krankheit erleidet.
Mit welchen Ansprüchen kommen die Athleten zu Ihnen: Wollen sie eher Goldmedaillen gewinnen oder einen Porsche fahren?
Da für mich Gesundheit und Glück zentral sind, würde mich der Porsche als erste Priorität irritieren. Aber weshalb soll ein junger Mensch nicht von Geld und einem teuren Auto träumen dürfen? Oft ist es aber die Freude an ihrem Sport, welche die Athleten zu uns führt und der Wunsch, das Beste aus sich herauszuholen. Die meisten Sportler, auch die ganz grossen und erfolgreichen, lieben, was sie tun. Kommt diese Freude abhanden, hören sie auf. Pirmin Zurbriggen zum Beispiel hat als 27-Jähriger auf dem Höhepunkt seiner Karriere gesagt: «Jetzt ist fertig.»
Zur Person
ch. Nach langjähriger Tätigkeit als Medien- und PR-Chef von internationalen Konzernen wie ABB, Hilti, Oracle oder Novartis hat sich Michael Schiendorfer 2016 als Sportmanager selbstständig gemacht und die Agentur Abrogans gegründet. Seine beiden ersten Klienten waren der amtierende Schwingerkönig Joel Wicki und der Ski-Gesamtweltcupsieger Marco Odermatt. Heute hat sein Unternehmen drei Mitarbeitende und zählt rund 30 Sportlerinnen und Sportler sowie Klubs und Verbände als Klienten. Schiendorfer wuchs in Benken im Kanton St. Gallen als jüngstes von sieben Geschwistern auf. Er besuchte die Klosterschule Näfels und studierte unter anderem Kommunikation an der Universität Lugano und an der UCLA Anderson School of Management in Los Angeles und ist auch zertifizierter Sportmanager der Universität St. Gallen. Heute ist er regelmässig an der Pädagogischen Hochschule Graubünden in Chur und an der Universität St. Gallen als Redner und Ausbildner tätig. Der 56-Jährige ist verheiratet und hat drei Söhne. Er lebt in Binningen.