Sterben und Leben mit Michèle Bowley
19.09.2024 Basel«Die Tabubrecherin» – Film im Zeichen der Krankheit
«Ich will das Tabu Sterben brechen», sagt Michèle Bowley, die Protagonistin des neuen Films von Erich Langjahr und Silvia Haselbeck. «Die Tabubrecherin» plädiert für einen offenen Umgang ...
«Die Tabubrecherin» – Film im Zeichen der Krankheit
«Ich will das Tabu Sterben brechen», sagt Michèle Bowley, die Protagonistin des neuen Films von Erich Langjahr und Silvia Haselbeck. «Die Tabubrecherin» plädiert für einen offenen Umgang mit Krankheit und nahem Tod – und für ein bewussteres Leben im Jetzt.
Regula Vogt
Nach einer Brustkrebserkrankung war die Gesundheitspsychologin Michèle Bowley bereit für ein neues berufliches Projekt. Im Herbst 2021 hätte die damals 55-Jährige in Zug ein Seelsorgecafé eröffnen sollen, doch eine Diagnose durchkreuzte die Pläne. Der Krebs hat Metastasen im Hirn gebildet, eine Operation ist nicht möglich, Aussicht auf Heilung gibt es nicht.
Michèle Bowley will die ihr noch verbleibende Zeit nutzen und beginnt, sich auf das Ende vorzubereiten und den Abschied vom irdischen Dasein zu organisieren. Sie beschäftigt sich mit Details ihrer Bestattung, regelt administrative Dinge. Parallel dazu unterzieht sie sich einer palliativen Behandlung.
Ihren Alltag dokumentiert sie in ihrem Krebstagebuch, das sie ein Jahr zuvor auf ihrer Website (psychestaerken.ch) begonnen hatte. Sie will ihre Erfahrungen mit anderen Betroffenen und der Öffentlichkeit teilen und so für einen offenen Umgang mit Krankheit und Sterben plädieren. «Ich will das Tabu Sterben brechen», formuliert sie ihr Anliegen im Gespräch mit ihrer Psycho-Onkologin.
Durch die Begegnung mit dem Zuger Filmemacher Erich Langjahr erhält diese Öffentlichkeitsarbeit eine neue Dimension. Nach dem Film «Geburt» (2009) hatten Langjahr und seine Partnerin Silvia Haselbeck jahrelang nach Protagonisten und Protagonistinnen zum Thema Tod gesucht, bei Bowley rennen sie offene Türen ein. Entstanden sind berührende Aufnahmen, die nie ins Morbide oder Larmoyante abgleiten, aber auch bei aller beeindruckend positiven Haltung Bowleys nicht ins Übertrieben-Optimistische abheben.
Das Filmteam begleitet Bowley auf ihrer letzten Lebensetappe zu Therapien und Abschiedsbesuchen und lässt sie ausgiebig zu Wort kommen. Für Bowley ist die Erkenntnis, dass die uns allen zur Verfügung stehende Zeit begrenzt ist, der Schlüssel zu einem erfüllten Leben. «Wenn man Endlichkeit zulässt, wird das Leben möglich», sagt sie. Bowleys Kernbotschaft: Bewusst im Jetzt leben, und zwar so, wie man es möchte, seinen eigenen Wünschen folgend. Sie vertritt eine Lebenseinstellung, wie sie im Lied «My Way» zum Ausdruck kommt. «Der Song handelt von Selbstbestimmung, Stärke und der Entscheidungsgewalt im Leben», schrieb sie in ihrem Tagebuch dazu. Und: Sie habe keine lange Liste von Dingen, die sie noch tun möchte, bevor sie sterbe, sie habe die Häkchen bereits in gesunden Jahren gesetzt.
Eine Urne getöpfert
Ihrer eigenen Endlichkeit war sich Michèle Bowley bereits als junge Frau bewusst. Bevor sie sich auf Weltreise begab, töpferte sie eine Urne, nur so für alle Fälle. Davon erzählt sie lächelnd in der ersten Hälfte des Films, gegen Schluss kommt dann die Urne ins Spiel, um ihre Asche aufzunehmen. Vor dem Sterben hat sie keine Angst, sie ist neugierig auf das, was kommt. Sie stellt sich vor, dass sich die Seelen von Verstorbenen verbinden. Und sie möchte dem Sterben seinen Lauf lassen. Sie lehnt lebensverlängernde Behandlungen ebenso ab wie ein vorzeitig herbeigeführtes Ende. «Exit» sei für sie kein Thema, sagt sie unmissverständlich.
Als die Hirnmetastasen verschwinden, muss sie sich ein weiteres Mal neu sortieren. Die unerwartete Fristverlängerung ist ein Geschenk, über das sie sich freut, aber auch eine Herausforderung. Sie hat sich gemäss den medizinischen Prognosen auf ein paar wenige Monate eingestellt. Mit dem sich nun wieder weiter öffnenden Zeitfenster tauchen unter anderem finanzielle Fragen auf. Die Besserung ist jedoch nur vorübergehend, und wieder beginnt ein Behandlungszyklus. Kurz vor dem Ende sagt sie, dass das Auf und Ab Kraft gekostet habe.
Der Film geht bis ganz ans Ende, unaufgeregt, ohne Dramatik, zeigt einfach, was passiert.
«Die Tabubrecherin» im Kino. Liestal: Kino Sputnik, Bahnhofplatz 2; Startdatum noch offen; Basel: Kultkino Atelier, Theaterplatz 7; Donnerstag, 17. und Freitag, 18. Oktober, jeweils 12.15 Uhr; Samstag, 19. Oktober, um 11.30 Uhr in Anwesenheit von Silvia Haselbeck und Erich Langjahr; Montag, 21., Dienstag, 22. und Mittwoch, 23. Oktober, jeweils 12.15 Uhr.
Zur Person
vs. Michèle Bowley wurde 1966 in Basel geboren und verbrachte ihre ersten Lebensjahre in Aesch. Nach einem Psychologiestudium arbeitete sie in verschiedenen Institutionen in der Gesundheitsförderung, bevor sie sich selbstständig machte. 2023 veröffentlichte sie eine Autobiografie und einen Gedichtband. Ende November 2023 verstarb Michèle Bowley in Basel.