Sportpsychologin Andrea Binggeli weiss, wie man mit Angst umgehen kann

Mit Bob-Anschieber Dominik Hufschmid und Eishockeyspieler Silian Gyger sind vor Kurzem zwei Oberbaselbieter beim Ausüben ihres Sports gestürzt. Wie kann da eine sportpsychologische Betreuung helfen und was macht eine Sportpsychologin eigentlich? Die «Volksstimme» hat bei Andrea Binggeli nachgefragt.

Luana Güntert

Frau Binggeli, wie beginnt Ihre Zusammenarbeit als Sportpsychologin mit einer Sportlerin oder einem Sportler?
Andrea Binggeli: Bei Einzelsportlern beginnt sie mit einer Anfrage für eine mögliche Zusammenarbeit. Danach treffen wir uns für ein Erstgespräch und lernen uns kennen. Ich erfahre etwas darüber, wie die Person denkt. Dann schauen wir die Fragestellung an, also was die Person alles braucht. So merken wir gegenseitig, ob es zwischen uns passt.

Und wenn es zwischen Ihnen passt?
Dann starten wir mit der Zusammenarbeit und machen Termine ab für die nächsten Treffen.

Wie läuft so ein Treffen ab?
Wir diskutieren Schwierigkeiten und Fragen des Sportlers und suchen dann geeignete Techniken, um diese zu lösen. Für die mentale Arbeit ist der Sportler selbst zuständig, er bekommt sozusagen Hausaufgaben von mir. Das ist wie in der Physiotherapie – dort müssen die Patienten auch zu Hause ihre Übungen machen, um Fortschritte sehen zu können.

Wie regelmässig finden solche Treffen statt?
Das ist immer unterschiedlich. In der Regel treffen wir uns am Anfang unserer Zusammenarbeit öfters, so alle ein bis zwei Wochen, um ein «Bödeli» zu legen und den imaginären Rucksack der Person mit Erfahrungen im Bereich der Sportpsychologie zu füllen. Ich habe aber auch Kunden, mit denen ich schon so lange zusammenarbeite, dass ein bis zwei Treffen pro Jahr ausreichen. Dann machen wir jeweils eine Art Standortbestimmung.

Vor allem auf Social Media gibt es sehr viele Mentaltrainer. Was unterscheidet Sie als studierte Psychologin von Mentaltrainern?
Während Sportpsychologen ein mehrjähriges Studium absolvieren, ist die Berufsbezeichnung «Mentaltrainer» nicht geschützt, entsprechend sind der Bezug zum Sport sowie die Qualifikation gut anzuschauen. Im Mentaltraining geht es hauptsächlich um eines: Leistungsoptimierung durch Anwendung mentaler Techniken. In der Sportpsychologie spielt zudem die Frage nach der mentalen Gesundheit eine wichtige Rolle und das Berufsfeld kommt auch bei komplexeren Fragestellungen zum Zuge, wenn ein Mentaltraining nicht ausreicht. Dieser berufliche Unterschied lässt sich mit den bekannteren Berufen Masseur und Physiotherapeut vergleichen.

Sie betreuen Personen aus ungefährlichen und gefährlichen Sportarten. Wie unterscheidet sich die Betreuung?
Gar nicht. Aber die Sportler als Menschen unterscheiden sich. Die Athleten aus den gefährlichen Sportarten setzen sich regelmässig mit dem Faktor Risiko auseinander. Mental geht es darum, das Risiko für einen Moment auszublenden und den Schalter umzulegen, um nicht über die Gefahr nachzudenken, sondern über die Frage «Was muss ich machen, damit es klappt?».

Inwiefern ist man als Risikosportler auf Stürze vorbereitet?
Auf der Ebene Privatperson kann auch ein Risikosportler über Stürze und deren mögliche Folgen nachdenken. In der Rolle als Sportler setzt man sich im Training konstruktiv damit auseinander, um vorbereitet zu sein. Im Training werden zum Beispiel solche Sturz-Abläufe verinnerlicht und dann ist es wichtig, dass der Sportler im Falle eines Sturzes diese Automatismen abrufen kann, indem er beispielsweise den Kopf einzieht oder sich abrollt. Das Verhalten bei einem Sturz kann man auch mental trainieren und den Vorgang im Kopf durchgehen. Wichtig ist, dass der Sportler Respekt hat, aber keine Angst. Es soll auch in Ordnung sein dürfen, wenn ein Sportler sagt: «Heute fühle ich mich unwohl dabei und verzichte auf Training oder Wettkampf.»

Eine Ihrer Aufgaben ist es auch, den Sportlern die eben benannte Angst zu nehmen. Ist Ihre Arbeit dann «für die Füchse», wenn der Sportler stürzt?
Es kann schon vorkommen, dass auch einmal Zweifel aufkommen. Sportlerinnen und Sportler sind auch nur Menschen, die dann ihre erarbeiteten Fähigkeiten infrage stellen. Wichtig ist nach Stürzen, dass ich die Reaktion der Sportler einschätzen kann: War es eher eine Art Schockreaktion auf das Ereignis, die sich wieder legt oder baut der Sportler eine Angst auf? Falls die Angst nach dem Sturz zu gross ist, kann ein Austausch zum konkreten Vorgehen mit Trainern und Betreuern helfen. Es spielt auch der Zeitpunkt eine Rolle: Wenn der Sturz einen Monat vor den Olympischen Spielen passiert, wird die Situation eher zur Herausforderung, als wenn mehr Zeit bleibt.

Wann empfehlen Sie nach einem Sturz die direkte Konfrontation?
Das kann man nicht pauschal sagen; es gibt Sportler, die sich sehr rasch wieder in die entsprechende Situation begeben wollen, andere brauchen mehr Zeit und müssen sich in kleinen Schritten herantasten. Jeder Mensch tickt anders und es hängt auch vom Schweregrad einer möglichen Verletzung ab. Wenn der Sportler jedoch schon Angst hat, überhaupt den Sportplatz oder das Fitnessstudio zu betreten, braucht es mehr und wohl eine längere Pause. Oft sind die psychischen Folgen schlimmer, wenn man den Sturz nicht einem bestimmten Fehler zuordnen kann und nicht weiss, warum man verunfallt ist.

Was tun Sie, wenn Sie eigentlich eine direkte Konfrontation empfehlen, der Sportler das aber nicht will?
Die Wahrnehmung der Sportler steht im Zentrum. Grundsätzlich ist es wichtig, die Ängste zu thematisieren. Angst ist gesund und ein natürliches Warnsignal, um den Körper zu schützen. Gemeinsam müssen wir herausfinden, ob es eine Angst vor einem weiteren Unfall ist oder die Angst vor der Angst selber. Dann versuchen wir, uns langsam an die sportliche Situation heranzutasten. Ich habe jedoch die Erfahrung gemacht, dass Sportler möglichst schnell wieder probieren wollen, ob es noch geht.

Kann man als Sportler nur Vollgas geben, wenn man die Risiken ausblendet?
Man sollte die Risiken nicht ignorieren, sondern den Umgang damit richtig steuern. Sich also Zeiten geben, in denen man sich damit befasst. Ich habe jedoch schon die Erfahrung gemacht, dass ältere Athleten oft nicht mehr so sehr ans Limit gehen wie jüngere. Auch bei Athleten, die Kinder haben, spüre ich das.

Gibt es Situationen, in denen Sie als Psychologin nicht helfen können?
Ja, wenn die Angst zu einem Krankheitsbild wird und die Sportlerinnen und Sportler davon in ihrem Alltag oder im Schlaf gestört sind. Dann ist es wichtig, die Personen an therapeutisch ausgebildete Fachpersonen zu überweisen.

Zur Person

lug. Andrea Binggeli ist in Bern aufgewachsen und wohnt heute in Basel. Sie ist selbstständige Sportpsychologin und hat Mandate bei verschiedenen Verbänden. Sie hat einen Master-Abschluss in Psychologie, wobei sie sich zuerst auf die klinische und die Neuro-Psychologie spezialisiert hat und später den Fachtitel in Sportpsychologie FSP erlangt hat.

«Sportler sind auch nur Menschen»

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