Skifahren ist ein permanentes Ausloten der eigenen Grenzen
23.09.2025 Sport, Weitere SportartenPodiumsgespräch mit Olympiasiegerin Dominique Gisin
Der Skiclub Reigoldswil hat zu seiner Generalversammlung auf die Sissacher Fluh geladen. Die Teilnehmenden zeigten sich begeistert über das Gespräch mit der ehemaligen Spitzen-Skifahrerin Dominique Gisin.
...Podiumsgespräch mit Olympiasiegerin Dominique Gisin
Der Skiclub Reigoldswil hat zu seiner Generalversammlung auf die Sissacher Fluh geladen. Die Teilnehmenden zeigten sich begeistert über das Gespräch mit der ehemaligen Spitzen-Skifahrerin Dominique Gisin.
Elmar Gächter
Es fühlte sich an, als wäre der Tag erst gestern gewesen: Das Publikum im Zelt des Restaurants Sissacherfluh erinnerte sich am Donnerstag emotional an jenen ganz speziellen Olympiamorgen 2014 in Sotschi, als die Schweiz über Abfahrtsgold jubeln durfte. Dies umso mehr, weil die meisten der rund 80 Besucherinnen und Besucher das Skifahren selber als ihre Leidenschaft bezeichnen. Zu Gast war eben die grosse Siegerin von Sotschi, Dominique Gisin, die nach wie vor populäre Obwaldnerin, die über die Höhen und Tiefen ihrer Karriere sowie ihr Leben nach dem Rücktritt als Profisportlerin sprach. Eingeladen zum Podiumsgespräch hatte der Skiclub Reigoldswil (SCR) unter dem Präsidium von Fabienne Ballmer anlässlich seiner 80. Generalversammlung. Anwesend war auch Florian Vogt, der als Mitglied des SCR bei den letzten Schweizermeisterschaften als komplettester Skifahrer ausgezeichnet wurde.
«Womöglich wäre ich besser mit dem Kleinflugzeug gekommen, der Stau auf den Strassen war ja fast schon heftig», scherzte Dominique Gisin als begeisterte Fliegerin zu Moderatorin Ballmers Hinweis, dass sich das Hochplateau der Sissacher Fluh ja fast als Flugplatz anbiete. Und damit tauchte das Gespräch sofort ein in jene Geschichten, die der alpine Schneesport schreibt. «Mit den Skiern hast du im Gegensatz zum Fliegen Bodenhaftung – meistens zumindest. Skifahren als Beruf bedeutet jedoch permanentes Ausloten der eigenen Grenzen», betonte Gisin. Mit dem nötigen zeitlichen Abstand müsse sie anerkennen, dass der Skisport ein extrem intensives Erleben sei – mit brutalen Momenten und Abgründen, welche die ganze Familie mitreissen könnte. «Und doch: Wenn du dich schon als Kind in ihn verliebt hast, lässt er dich nicht mehr los.»
Gisin sprach offen über schwierige Jahre: Mit 16 riss nach einem Sturz ihr Kreuzband – ein bisschen früh für diesen «Klassiker», so die Innerschweizerin. Wegen der Folgeoperationen und starker Schmerzen konnte sie mehr als drei Jahre lang kein FIS-Rennen bestreiten. «Es war die schlimmste Zeit meines Lebens. Da stand ich schon davor, meinen Traum einer Skikarriere aufzugeben», blickte sie zurück. Dank eines unterstützenden Umfelds fand sie auf ihren Weg zurück – vor allem dank ihrer Eltern und ihres langjährigen Trainers Dominique Pittet, der sie trotz der langen Pause in seiner Gruppe mittrainieren liess.
Streben nach der perfekten Linie
«Wenn du im Spitzensport oder generell im Leben etwas erreichen willst, musst du dich in etwas verlieben, es muss dich packen, anfänglich vielleicht nur aus Spass. Dann musst du den Übergang finden, wo der innere Antrieb kommt und du von deinem Ziel gefesselt bist. Es bewegt dich nur noch der Gedanke, schneller und technisch besser zu werden», schilderte Gisin, «es ist eine extrem harte, manchmal grausame Zeit. Willst du Weltklasse werden, musst du durch diese Phase. Von aussen erzwungen, reicht die Energie nicht, um durchzuhalten», ist die 40-Jährige überzeugt.
Sie schilderte in Sissach ihre Stunden nach dem Olympiasieg, den sie zeitgleich mit Tina Mazé errungen hatte, und das emotionale Telefongespräch mit ihren Grosseltern. «Natürlich will man gewinnen, aber auf dem Podest zu stehen, war nie meine grösste Triebfeder. Wenn ich auf meine Siege zurückblicke, erinnere ich mich an jedes Hügelchen, nicht an die Siegesfeiern. Mein Feuer war immer die perfekte Linie, einfach gut Ski zu fahren.»
Die ersten Jahre nach dem Rücktritt 2014 seien «megaschwer» gewesen. «Darauf war ich nicht vorbereitet.» Am meisten habe ihr die Zeit mit ihrer Schwester Michelle geholfen, der sie viele ihrer Erfahrungen habe vermitteln dürfen. «Es ist schön, den Kern, für den du jahrelang gearbeitet hast, an die nächste Generation weiterzugeben und die vielen Emotionen an der Seitenlinie nochmals zu erleben.»
Mit Florian Vogt ehrte Präsidentin Fabienne Ballmer einen jungen Athleten, der wie Gisin familiäre Wurzeln im Baselbiet hat. Er wohnt zwar im Berner Oberland, ist jedoch seit Kindsbeinen Mitglied des Skiclubs Reigoldswil. In der vergangenen Saison hat er ein FIS-Rennen gewonnen und war an den Schweizermeisterschaften jener Läufer, der in allen vier Disziplinen insgesamt die schnellste Zeit erzielt und damit den sogenannten Bari-Cup errungen hat. Vogts Fokus liegt auf den technischen Disziplinen; in der neuen Saison möchte er sich im Europacup unter den Top 30 etablieren. Er träumt von Olympia, doch sein grösstes Ziel bleibt, ein Weltcuprennen am «Chuenisbärgli» in Adelboden zu fahren – «das schönste Rennen der Welt», wie er verriet.