«Sie ist nicht mehr wegzudenken»
14.12.2023 SchweizExpertinnen zur Konferenz der Kantonsregierungen, die vor 30 Jahren gegründet wurde
1993 wurde die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) ins Leben gerufen. Seit nunmehr 30 Jahren setzt sie sich auf Bundesebene für die Interessen der Kantone ein. Im Rahmen des ...
Expertinnen zur Konferenz der Kantonsregierungen, die vor 30 Jahren gegründet wurde
1993 wurde die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) ins Leben gerufen. Seit nunmehr 30 Jahren setzt sie sich auf Bundesebene für die Interessen der Kantone ein. Im Rahmen des Jubiläumsjahrs trifft sie sich morgen Freitag zur Plenarsitzung in Basel. Zwei Politologinnen ordnen ein, welche Stellung der KdK im Schweizer Politsystem zukommt.
Janis Erne
Am 8. Oktober 1993 – wenige Monate nach dem Nein zum EWR-Beitritt – wurde die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) gegründet. War dieses für die wegweisende Abstimmungsresultat der Auslöser?
Johanna Schnabel: Die Gründung der KdK hängt tatsächlich stark mit der Europafrage zusammen. Die Kantone waren der Ansicht, dass sie auf Bundesebene in der Aussenpolitik nicht genügend Einfluss haben. Und dass sie ihre Interessen nicht wie gewünscht vertreten können. Die KdK wurde aus diesem Grund zusätzlich zu den bestehenden Direktorenkonferenzen gegründet.
30 Jahre später steht die Schweiz erneut vor einer Weichenstellung in der Europapolitik: Der Bund bereitet neue Abkommen mit der EU vor. Kann die KdK Einfluss auf die anstehenden Verhandlungen nehmen?
Schnabel: Die KdK kann es sicherlich versuchen. Denn sprechen die Kantone mit einer Stimme, wird es für den Bundesrat schwierig, sie zu ignorieren.
Yvonne Hegele: Es gibt Hinweise, dass die KdK in der Europafrage wieder aktiver ist. Zum Beispiel hat sie vor zwei Jahren ihre Europakommission reaktiviert. Klar ist: Die Relevanz der Kantone in der Europafrage ist gegeben, denn viele bilaterale Abkommen betreffen sie direkt. Der Bundesrat tut gut daran, die Kantone in die Verhandlungen mit einzubeziehen, da sie viel Wissen in den betroffenen Politikfeldern haben.
Generell gefragt: Wie bringt sich die KdK überhaupt in die Bundespolitik ein?
Hegele: Die KdK tut dies insbesondere über Stellungnahmen an den Bund. Wichtig festzuhalten ist, dass innerhalb der KdK jedes der 26 Mitglieder eine Stimme hat – gleichgültig, wie gross ein Kanton ist. Für Stellungnahmen an den Bund ist eine qualifizierte Mehrheit nötig – es müssen mindestens 18 Kantone einverstanden sein.
Schnabel: Neben den Stellungnahmen existieren zahlreiche weitere Instrumente, mit denen sich die KdK in die Politik des Bundes einbringen kann. Es gibt beispielsweise den Europadialog oder den «Föderalistischen Dialog» mit dem Bundesrat – beide sind institutionalisiert und finden regelmässig statt. Zudem nimmt die KdK in Ad-hoc-Gruppen Einsitz. Während der Covid-19-Pandemie hatte sie einen Vertreter im Krisenstab des Bundes. Und auch an der Ausarbeitung der Unternehmenssteuerreform III war sie beteiligt.
Hegele: Hinzu kommt, dass die KdK an den Sessionen von National- und Ständerat präsent ist und dort direkt Einfluss nehmen kann. Sie organisiert dann sogenannte Stammtische, an die sie Ständeräte und ehemalige Regierungsräte, die nun im Parlament sitzen, einlädt.
2008 wurde in Bern das «Haus der Kantone» eröffnet. Dort sind heute die KdK, 12 Direktorenkonferenzen – also beispielsweise die Gesundheitsdirektorenkonferenz – sowie weitere interkantonale Organisationen untergebracht. Welche Bedeutung hatte dieser Schritt?
Hegele: Mit dem «Haus der Kantone» konnte die KdK ihre Präsenz in der Bundeshauptstadt ausbauen. Informelle Kontakte sind in der Politik sehr wichtig – das ist auch in Deutschland zu beobachten. Jedes Bundesland hat in Berlin eine Vertretung und organisiert jedes Jahr zahlreiche Veranstaltungen und Netzwerkanlässe.
Schnabel: Das «Haus der Kantone» hat ganz klar die Sichtbarkeit der KdK erhöht. Man könnte sogar sagen, dass das Haus zu einer Art «dritten Kammer» zusätzlich zum Ständerat geworden ist. Viele Absprachen werden dort getroffen.
Trotzdem ist die Macht der KdK begrenzt. Bei Vernehmlassungen zu Rechtsänderungen schreiben alle Kantone eigene Stellungnahmen zuhanden des Bundesrats. Man spricht also nicht mit einer Stimme …
Hegele: Wir sollten unterscheiden, ob die Kantone von einer geplanten Rechtsänderung gleichermassen betroffen sind oder nicht. Falls ja, ist eine gemeinsame Stellungnahme sicherlich sinn- und wirkungsvoll. Ansonsten sollen die Kantone für sich selbst sprechen können. Denn zum Teil unterscheiden sie sich in puncto Grösse, Geografie oder Bevölkerungsstruktur doch erheblich.
Schnabel: In der Diskussion um die KdK dürfen wir nie den Gedanken des Föderalismus ausser Acht lassen. Dieser besagt nämlich, dass die Kantone selbstständige Gliedstaaten sind. Es ist also richtig, dass jeder Kanton seine eigenen Meinungen und Interessen kundtun kann und sich nicht zwangsläufig der Mehrheit der KdK beugen muss. Man muss aber auch bedenken, dass nicht alle Kantone die gleichen Ressourcen haben und gleich ausführliche Stellungnahmen ausarbeiten können.
Sie haben die Rollen der KdK und ihres deutschen Pendants, der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK), während der Pandemie wissenschaftlich untersucht. Allgemein gefragt: Worin unterschieden sich die beiden Organisationen hauptsächlich?
Hegele: Einer der wesentlichsten Unterschiede liegt darin, dass die Bundesländer in Deutschland direkt an der Gesetzgebung der Bundesregierung mitwirken. Dies über den Einsitz von Mitgliedern der Landesregierungen im sogenannten Bundesrat, der über wesentliche Vorlagen mitbestimmen kann. Die MPK dient daneben der informellen Vorabsprache und der Koordination von reinen Länderangelegenheiten. In der Schweiz ist es hingegen so, dass der Bundesrat «lediglich» die Meinungen der Kantonsregierungen anhören muss; entscheiden tut aber er. Die Möglichkeiten der Einflussnahme der KdK und der MPK sind also verschieden.
Worin sehen Sie die künftige Rolle der KdK?
Schnabel: Die KdK ist aus dem Schweizer Föderalismus nicht mehr wegzudenken. Während der Pandemie ist sie auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden. Allerdings hat sich da auch ein grosses Problem der KdK offenbart: ihre fehlende Führungsrolle in Krisenzeiten. Das ist ein wesentlicher Befund unserer Studie. Zu Beginn der Pandemie haben die Kantone den Lead relativ rasch dem Bundesrat abgegeben und einheitliche Lösungen von ihm gefordert. In Deutschland war das anders: Dort hatte die MPK eine dominantere Rolle inne.
Wie soll sich die KdK aufstellen?
Schnabel: Sie sollte sich auf ihre Stärken konzentrieren: Die KdK ist agil und kann politikfelderübergreifend handeln.
Hegele: Die KdK soll bei den drängenden Problemen nicht stets auf den Bund warten, sondern eigene, alternative Lösungen suchen. So wird der Zentralisierung entgegengewirkt. Zudem können Probleme, die nicht an den Kantonsgrenzen Halt machen, zügig angegangen werden. Dass der Ideenwettbewerb zwischen den Kantonen funktionieren kann, zeigte sich während der Pandemie: Die Massentests oder die Händewaschkampagne «Seifenboss» stammen aus dem Wallis und Basel-Stadt.
Corona ist als grosses Thema verschwunden. In welcher Krise könnte die KdK wieder in den Fokus rücken?
Schnabel: Eine Möglichkeit ist die Klimapolitik. Die KdK könnte die verschiedenen Politikfelder, die davon betroffen sind, zusammenführen – sei es die Energiepolitik oder die Raumplanung. In der Klimapolitik ist die KdK zwar noch nicht sehr aktiv, doch das könnte sich ändern, je länger die Klimaerwärmung voranschreitet. Man darf ihre Rolle dabei aber nicht überschätzen, denn ihre Entscheide sind für ihre Mitglieder, also die Kantone, rechtlich nicht bindend.
Wer ist die KdK?
je. Mitglieder der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) sind die 26 Kantone. Jede Kantonsregierung hat Anspruch auf einen Sitz in der Konferenz. Laut ihrer Website hat die KdK das Ziel, sich «gezielt und abgestimmt in die Bundespolitik einzubringen, wenn kantonale Interessen berührt werden». Schwerpunkte sind die Europapolitik, E-Government, die Integrationspolitik, die Förderung des Föderalismus, die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen oder der Vollzug von Bundesaufgaben durch die Kantone.
Neben der KdK gibt es 14 Direktorenkonferenzen, bestehend aus den kantonalen «Fachministerinnen und -ministern». Sie konzentrieren sich auf einen Politikbereich; Beispiele sind die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren oder die Konferenz kantonaler Energiedirektoren. Hinzu kommen sechs Regionale Regierungskonferenzen, die sich um Geschäfte von regionaler Bedeutung kümmern. So etwa die Nordwestschweizer Regierungskonferenz, wozu unter anderem der Kanton Baselland gehört.
Zu den Personen
je. Johanna Schnabel ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Dozentin an der Freien Universität Berlin. Ihren Doktortitel in Politikwissenschaften hat sie an der Universität Lausanne erlangt. Yvonne Hegele hat an der Universität Konstanz promoviert. Heute forscht und lehrt sie am Institut für Verwaltungsmanagement an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Beide untersuchen den Föderalismus verschiedener Länder. In diesem Zusammenhang haben sie in mehreren Beiträgen die Pandemiepolitik der Schweiz und Deutschlands miteinander verglichen.