«Schweine sind die ‹armen Schweine›»
09.01.2025 Zeglingen, BaselPhilosoph und Uni-Professor Markus Wild fordert ein Recht auf Leben für Tiere
Der in Zeglingen wohnhafte Tierethiker Markus Wild setzt sich für die Rechte und die Würde der Tiere ein. Aufgewachsen auf einem Bauernhof, plädiert er heute für eine pflanzenbasierte ...
Philosoph und Uni-Professor Markus Wild fordert ein Recht auf Leben für Tiere
Der in Zeglingen wohnhafte Tierethiker Markus Wild setzt sich für die Rechte und die Würde der Tiere ein. Aufgewachsen auf einem Bauernhof, plädiert er heute für eine pflanzenbasierte Landwirtschaft. Diese vermeide nicht nur Tierleid, sondern sei auch gut für Umwelt und Klima.
Janis Erne
Herr Wild, lassen Sie uns mit einem Gedankenspiel beginnen: Wie sähe eine tierethisch «korrekte» Welt aus?
Markus Wild: In einer solchen Welt gäbe es keine Nutztiere mehr. Denn das Hauptproblem ist, dass der Mensch Tiere als Nahrungsmittel oder Versuchsobjekte nutzt. Auch die Hierarchie wäre eine andere: Der Mensch stünde nicht mehr über den Tieren und könnte nicht mehr über sie bestimmen.
Sie setzen sich für die Würde der Tiere ein. Woher kommt diese Überzeugung?
Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen – und das überrascht viele – bin ich auf dem Land aufgewachsen und stamme aus einer Bauernfamilie. Als Jugendlicher habe ich mich viel mit einem Nachbarn unterhalten, der Wildhüter war. So lernte ich früh die Schattenseiten der Jagd, der Nutztierhaltung und des Schlachtens kennen. Das hat mich geprägt.
Und was ist der zweite Grund?
Die Philosophie. Durch sie habe ich mich intensiv mit den Tieren und dem Umgang des Menschen mit ihnen beschäftigt.
Ihre Eltern hatten Kleinvieh. Wie stehen Sie heute zur Landwirtschaft?
Sehr kritisch. Politisch ist die Landwirtschaft nicht bereit, Zugeständnisse beim Tierwohl zu machen. Das haben wir 2022 bei der Massentierhaltungsinitiative oder 2021 bei der Trinkwasserinitiative gesehen. Ich habe die Ablehnung der Bauern als sehr geschlossen wahrgenommen. Sie gehorchen dem Bauernverband fast blind. Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir in der Schweiz unter der Tyrannei einer Minderheit leiden. Das zeigt sich auch beim Naturpark Baselbiet, den die Bauern verhindern wollen.
Sie wohnen in Zeglingen. Da haben Sie sicher auch Kontakt zu Landwirten.
Ich komme mit verschiedenen Landwirten gut aus und führe regelmässig interessante Gespräche mit ihnen. Meine Kritik an der Landwirtschaft ist politischer Natur.
Zurück zu den Tieren: Sie forschen zu ihrem Bewusstsein. Wie denken Tiere?
Das ist eine schwierige Frage. Bleiben wir zunächst beim Bewusstsein: Dieses hat wenig mit Denken zu tun, sondern mehr mit Empfinden, also mit Fühlen und Spüren. Das deutlichste Zeichen für Bewusstsein ist, ob ein Tier Schmerz empfinden kann oder nicht. Die Forschung weiss heute, dass alle Wirbeltiere – also Säugetiere, Fische, Vögel, Reptilien und Amphibien – schmerzempfindlich sind und ein Bewusstsein haben. Es wird vermutet, dass dies auch für weitere Tierarten gilt.
Welches Tier ist dem Menschen in seiner Denkweise am ähnlichsten?
Affen – sie sind biologisch unsere nächsten Verwandten. Sie sind soziale Tiere, haben bestimmte Gruppenstrukturen, können mit den Händen kommunizieren, sich an die Vergangenheit erinnern und die Zukunft planen. Es gibt viele Überschneidungen mit dem Menschen.
Was lässt sich über andere Tiere sagen?
Raben zum Beispiel sind genauso interessant wie Affen. Man könnte sie auch «gefiederte Affen» nennen. Sie haben zwar ein ganz anderes Gehirn, sind aber nicht weniger intelligent und verfügen über ähnliche Fähigkeiten.
Und über Hunde?
Der Hund lebt seit Jahrtausenden mit dem Menschen zusammen und verarbeitet daher seine Sprache anders als andere Tiere. Hunde sind auf den Menschen fixiert und wollen sein Verhalten verstehen. Zeigegesten zum Beispiel verstehen Hunde sehr gut – im Gegensatz zu Affen, die nur auf den Finger des Menschen schauen und nicht in die Richtung, in die gezeigt wird.
Schweine sollen sehr intelligente Tiere sein. Stimmt das?
Ja, aber Schweine sind sozusagen die «armen Schweine» unter den Tieren. Sie werden unterschätzt, haben einen schlechten Ruf, sind schmutzig und werden als Schimpfwort verwendet. Sie sind in erster Linie Fleischlieferanten und fristen meist ein trauriges Dasein. Dabei kann man sie durchaus mit Hunden vergleichen: Schweine haben Humor, sind verspielt und können einen hinters Licht führen. Es besteht eine grosse Diskrepanz zwischen den Fähigkeiten der Schweine und ihrer Nutzung.
Sie sprechen es an: Schweine müssen auf engstem Raum leben, während Hunde schon fast Familienmitglieder sind. Woher kommt diese Diskrepanz?
Der Mensch teilt Tiere seit jeher in Kategorien ein: Haustiere, Nutztiere, Versuchstiere, Wildtiere, Schädlinge. Entscheidend ist dabei die menschliche Perspektive, nicht die Fähigkeit der Tiere. Sie sind zum Mittel für unsere Zwecke geworden. Das beginnt bei der Zucht und künstlichen Vermehrung und endet bei der Tötung.
Sie fordern, dass Tiere ein Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit erhalten sollen. Wo liegt die Grenze? Soll es auch verboten sein, eine lästige Mücke zu töten?
In der Schweiz zieht das Gesetz bereits die Grenze. Wir schützen empfindungsfähige Tiere. Wie schon erwähnt, zeigt die Forschung, dass alle Wirbeltiere dazu gehören. Insekten hingegen können geschützt werden, wenn sie selten oder vom Aussterben bedroht sind.
Ohne Nutztierhaltung würden viele Tiere gar nicht erst geboren. Ist es nicht besser, einem Kalb ein kurzes und schönes Leben zu ermöglichen als gar keines?
Dieses Argument wird immer wieder vorgebracht. Aber für einen Philosophen ist es ein seltsamer Gedanke zu sagen, dass es für ein Tier schlecht ist, wenn es nicht existiert. Denn wenn ein Tier nicht existiert, kann es sich auch nicht gut oder schlecht fühlen. Es ist also widersprüchlich, einen existierenden Zustand mit einem nicht existierenden Zustand zu vergleichen.
Ein Recht auf Leben für Tiere würde viele unserer Gewohnheiten in Frage stellen. Die Menschen müssten sich nicht nur beim Fleischkonsum umstellen, sondern auch in anderen Bereichen. Sind wir dazu bereit?
Es gibt Anzeichen dafür, dass die Menschen bereit sind, ihr Verhalten zu ändern. Der Fleischkonsum in der Schweiz ist rückläufig; es gibt gute Alternativen zu tierischen Produkten. Zudem zeigt sich, dass die Tierhaltung insgesamt nicht umweltverträglich ist: Die Artenvielfalt leidet und die Erderwärmung nimmt zu. Der Ausstieg aus der Tierhaltung würde die Welt auch ein Stück gewaltfreier machen. Doch die ethische Forderung ist das eine, der politische Weg das andere. Eine heile Welt lässt sich nicht mit einem Fingerschnippen herbeizaubern.
In Füllinsdorf ist mit öffentlichen Geldern ein Schlachthaus für regionale Metzger im Bau. Die Kunden sollen durch Fenster beim Schlachten zuschauen können. Begrüssen Sie diese Transparenz?
Ich bin gespalten. Es wäre sicher eine Verbesserung, wenn es nur noch regionale Schlachthöfe mit kurzen Transportwegen gäbe. Aber dann würden die Fleischpreise enorm steigen und viele Menschen wären verärgert. Wahrscheinlicher ist, dass Billigschlachthöfe – zum Beispiel in Deutschland – bestehen bleiben. Leuchtturmprojekte wie in Füllinsdorf sehe ich deshalb eher als «Feigenblätter» und als Legitimation für den Fleischkonsum. Es werden Bilder erzeugt, die längst nicht für alle Schlachtbetriebe gelten.
Was müsste politisch getan werden, um den Fleischkonsum zu senken?
Es sollten Anreize für tierfreie Produkte geschaffen werden – sowohl in der Ernährung als auch in der Forschung. Tierische Produkte müssen zu Luxusgütern werden. Dafür müssen sie ihren wahren Preis bekommen, wobei die Folgekosten der Tierhaltung für Umwelt und Natur berücksichtigt werden müssen. Von der Politik wünsche ich mir mehr Visionen.
Wie meinen Sie das?
Die Politik «schleppt» sich von Jahr zu Jahr. Utopien haben es schwer, was ich falsch finde. Wir sollten uns fragen: Was bedeutet eine «Pflanzen-Schweiz», also ein Land ohne Tierhaltung? Davon ausgehend könnten wir Kompromisse finden. Heute orientieren wir uns am Ist-Zustand und treten auf der Stelle.
Sie leben vegan. Würden vegetarische Lebensmittel in Ihre Vision passen?
Eine pflanzenbasierte Landwirtschaft hätte viele Vorteile: Sie braucht weniger Land, weil der Anbau von Futtermitteln entfällt, und sie verursacht weniger Emissionen. Tierhaltung in den Alpen, extensive Rinderhaltung für Milchprodukte oder Hühner im Garten für Eier könnten eine sinnvolle Ergänzung sein. Das wäre sicher besser als die heutige Situation.
Sie kritisieren auch die Jagd. Warum?
Die Jagd wird von verschiedenen Interessengruppen mit unterschiedlichen Argumenten gerechtfertigt: ökologischer Nutzen, Walderhaltung, Tradition und so weiter. Aber unabhängig davon stirbt am Ende ein Tier. Für mich steht das Recht auf Leben über den genannten Argumenten.
Förster und Jäger würden Ihnen da vehement widersprechen.
Fakt ist: Der Mensch greift massiv in den Lebensraum der Wildtiere ein. Deshalb funktioniert die natürliche Regulierung vielerorts nicht mehr. Wir sollten daher den Lebensraum der Wildtiere verbessern, statt sie zu töten. Es gibt Alternativen zur Jagd – zum Beispiel Naturschutzgebiete, in denen sich die Tiere ohne den Menschen selbst regulieren können.
Beim Wolf schliessen Sie Abschüsse nicht aus. Warum nicht?
Wenn ein Wolf andere Tiere wie Schafe gefährdet oder tötet, halte ich einen Abschuss für gerechtfertigt – aber nur als allerletzte Massnahme. Leider ist es so, dass niederschwellige Schutzmassnahmen heute vielfach nicht ergriffen werden. Sehr viele Alpen könnten wolfssicher gemacht werden und müssten nicht gesömmert werden. Leider ist das Töten der Wölfe bequemer und günstiger.
Die Politik tut sich schwer mit dem Wolf.
Es fehlt ein politischer Plan, wie mit dem Wolf umzugehen ist. Momentan sind die Entscheidungen politisch und nicht wissenschaftlich motiviert. Es werden teilweise die falschen Tiere getötet und auch im Nationalpark sind die Wölfe nicht sicher, was ein absoluter Sieg für eine Minderheit in den Berggebieten ist. Jene Kreise, die den Wolf ausrotten wollen, haben derzeit Oberwasser.
Was halten Sie von Tierparks und Zoos?
In der Schweiz gibt es gute, aber auch schlechte Zoos, also solche mit zu wenig Platz und zu wenig professioneller Betreuung. Grundsätzlich frage ich mich, ob es Zoos wirklich braucht. Sie fördern zwar den Artenschutz, aber dieser Zweck steht längst nicht immer im Vordergrund: Viele Tiere werden nur für die Besucher gehalten. Zudem wächst das Bewusstsein, dass Zoos ein Erbe des europäischen Kolonialismus sind. Die Europäer haben Tiere als Trophäen aus dem globalen Süden mitgenommen, und das wird immer noch gepflegt – auch wenn zum Beispiel der Zoo Basel offen damit umgeht.
Sie sind in den Medien präsent und engagieren sich bei politischen Abstimmungen, zuletzt bei der Biodiversitätsinitiative. Das öffentliche Engagement von Wissenschaftlern wird von den einen begrüsst, von den anderen kritisiert. Wie sehen Sie das?
Als Wissenschaftler werden wir von der Gesellschaft finanziert, daher sehe ich es als unsere Pflicht an, zum Meinungsbildungsprozess beizutragen. Es ist wichtig, zwischen Forschung und Ergebnis zu unterscheiden: In der Forschung muss ein Wissenschaftler neutral sein, aber ein datenbasiertes, breit abgestütztes Ergebnis soll er mit Überzeugung vertreten dürfen.