«Potenzial lag jahrelang brach» Fussball-EM
29.07.2025 Sport, FussballFVNWS-Präsident Daniel Schaub zieht Bilanz zum Turnier
Die Fussball-EM der Frauen ist vorbei – und sie hat Spuren hinterlassen. Daniel Schaub, Präsident des Regionalverbands, spricht über Fans, emotionale Momente, verblasste Kritik und darüber, wie der Schwung ...
FVNWS-Präsident Daniel Schaub zieht Bilanz zum Turnier
Die Fussball-EM der Frauen ist vorbei – und sie hat Spuren hinterlassen. Daniel Schaub, Präsident des Regionalverbands, spricht über Fans, emotionale Momente, verblasste Kritik und darüber, wie der Schwung des Turniers genutzt werden kann.
Luana Güntert
Herr Schaub, vorgestern ging mit dem Final die Fussball-EM der Frauen zu Ende. Wie haben Sie das Turnier als Präsident des verbands Nordwestschweiz und als Fan erlebt?
Daniel Schaub: Die Europameisterschaft hat mich – im positiven Sinne – überwältigt. Als Fan durfte ich viele Emotionen erleben, gerade dank der spannenden Spiele der Schweizer «Nati». Besonders beeindruckt hat mich die friedliche Stimmung: Bei den Fanmärschen und in den Fanzonen feierten gegnerische Anhänger miteinander. Schön war auch zu sehen, dass kritische Stimmen nach und nach verstummten.
Sie sprechen Skepsis an. Vor der EM wurde das 1:7 der Schweizer «Nati» gegen die U15 des FC Luzern medial ausgeschlachtet – Kommentarspalten waren voller Häme.
Diese Testspiel-Niederlage wurde völlig überbewertet. Die Luzerner Spieler sind zwar vom Alter her noch Buben, aber körperlich durch ihre Förderung bereits junge Männer. An einem guten Tag hätte die «Nati» nicht so klar verloren. Während der EM sind diese kritischen Stimmen aber leiser geworden – viele wurden positiv überrascht von der Qualität und der Spannung der Spiele, die oft erst in den letzten Minuten entschieden wurden.
Im Final setzte sich England knapp gegen Spanien durch. Gab es andere Teams oder Spielerinnen, die Sie beeindruckt haben?
Natürlich die Schweiz. Nach den schwachen Resultaten in der Nations League waren die Erwartungen tief. Aber schon im Eröffnungsspiel hat das Team mit Energie und Geschlossenheit überzeugt. Überraschend stark waren auch die Italienerinnen, die fast den Final erreicht hätten. Und Géraldine Reuteler hat mich begeistert: Sie wurde in allen drei Gruppenspielen zur besten Spielerin ausgezeichnet – das ist selten.
Die Schweiz schied im Viertelfinal aus. Wo steht die «Nati» im europäischen Vergleich?
Vor dem Turnier hatte ich das Gefühl, wir hätten etwas an Boden verloren – etwa gegenüber den Italienerinnen, mit denen wir in den Jahren zuvor auf Augenhöhe waren. Italien hat sich stark entwickelt, während die Schweiz stagnierte. Doch mit der EM wurde der Rückstand wieder etwas verkleinert, zumindest punktuell. Entscheidend ist nun, diesen Schwung mitzunehmen – nicht nur an der Spitze, sondern auch im Nachwuchs- und Breitensport.
Wo sehen Sie Entwicklungspotenzial im Schweizer Team?
Im physischen und technischen Bereich – wobei es da Fortschritte gibt. Das Kader ist im Vergleich zur letzten EM besser, auch wenn die Verbesserung kein Quantensprung ist. Durch junge Spielerinnen ist die Spielweise offensiver geworden. Diese Generation hat früher mit dem Fussball begonnen und wurde bereits in professionelleren Strukturen gefördert.
2017 haben Sie das «Goldene Buch des Schweizer Frauenfussballs» veröffentlicht und dabei alle kaum beachteten Länderspiele der Frauen durchleuchtet. Was bedeutete es Ihnen persönlich, nun so viele Fans in den EM-Stadien zu sehen?
Es hat mich tief berührt. 29 der 31 Spiele waren ausverkauft. Ich habe noch Frauen-Länderspiele auf dem Sportplatz z’Hof in Oberdorf oder auf der «Grendelmatte» in Riehen erlebt – vor wenigen Zuschauern. Im Buch sprachen wir mit früheren Nationalspielerinnen über ihre Kämpfe, überhaupt Fussball spielen zu dürfen. Diese Bilder der vollen Stadien zu sehen, war bewegend. Und zugleich schmerzt es, denn dieses Potenzial lag jahrelang brach – für die Frauen, aber auch für die Vereine und den Sport insgesamt.
Gemeinsam mit Ihrem Verband haben Sie in Basel den «Soccer Court» auf dem Messeplatz betreut. Wie kam das Angebot an?
Es stiess auf eine hohe Resonanz, ebenfalls das Angebot auf dem «Barfi» mit dem kulturellen Programm. Unser Angebot wurde fast durchgehend bespielt, sei es mit freiem Spiel oder von uns und Vereinen organisierten Events. Überrascht hat mich dies, weil die Messe nicht ganz zentral liegt und anders als die Innenstadt weniger «Laufkundschaft» hat.
Wie will der regionale Verband die positive Stimmung rund um den Frauenfussball weitertragen?
Wir fördern den Mädchen- und Frauenfussball schon seit einigen Jahren gezielt – und das recht erfolgreich. Wir starteten mit einem sehr tiefen Frauenanteil, da waren die ersten Schritte fast schon einfach (lacht). Jetzt wird es schwieriger. In Lausen und neu ab Mitte August in Bubendorf bieten wir das «Girls Football» an – ein niederschwelliges Angebot, bei dem Mädchen Fussball ausprobieren können, ohne gleich Vereinsmitglied werden zu müssen. Das entlastet auch die Vereine, die teilweise am Limit laufen. Mit dem nun startenden Legacy-Programm «Club Coaching» unterstützen wir Clubs in Sachen Frauenfussball zudem konkret – etwa bei Infrastruktur oder Trainerinnen.
In der untersten Liga starten im August gleich sechs neue Frauenteams. Ein EM-Boom?
Nein, das kommt nicht direkt von der EM, die erst nach der Meldefrist begann. Diese neuen Teams sind vor allem das Resultat davon, dass die Vereine erkannt haben, dass ihnen Frauen- und Mädchenteams guttun.
Und zum Schluss: Was hat Sie an dieser EM am meisten überrascht?
Dass sich plötzlich Menschen für Fussball generell und für Frauenfussball speziell begeisterten, die bisher nichts damit zu tun hatten. Das ist für mich die grösste Errungenschaft dieses Turniers.
657 291 verfolgten in den 8 Stadien die 31 EM-Partien
An der EM wurden 31 Partien gespielt. Insgesamt besuchten die Spiele in 8 verschiedenen Stadien 657 291 Fans, das sind durchschnittlich 21 203 pro Spiel und mehr als 100 000 Fans mehr als an der EM 2022 in England.
In den 31 Spielen wurden 106 Tore geschossen. Torschützenkönigin mit vier Treffern wurde die Spanierin Esther González. Die «Nati» kam in ihren vier Spielen auf vier Tore. In den sieben Matches der K.o.-Runden kam es viermal zur Verlängerung und dreimal zum Penaltyschiessen.
In den 31 Partien wurden 78 Gelbe Karten, 3 Gelb-Rote sowie 3 Rote Karten verteilt. Neben dem Besucherrekord in den Stadien gab es auch einen beim Fernsehen: Wie das SRF mitteilt, waren während der Spitzenzeiten des Finals (Penaltyschiessen) bis zu 1,36 Millionen Menschen in der Schweiz vor dem Fernseher live dabei – ein Rekord im Frauenfussball. Dies entspricht einem Marktanteil von 63,2 Prozent. Damit wurde zum Abschluss des Turniers der bisherige Topwert aus dem Viertelfinal Schweiz– Spanien pulverisiert. Das Spiel am 18. Juli hatte einen Höchstwert von 956 000 Personen erzielt.