Ohne Pflege keine Orchideen
28.05.2024 DiegtenEin Augenschein im Naturschutzgebiet Chilpen
Es blüht auf den Magerwiesen im Naturschutzgebiet Chilpen bei Diegten. Thomas Fabbro, Co-Geschäftsführer von Pro Natura Baselland, und der für den «Chilpen» mitverantwortliche Markus Plattner, Leiter der Abteilung ...
Ein Augenschein im Naturschutzgebiet Chilpen
Es blüht auf den Magerwiesen im Naturschutzgebiet Chilpen bei Diegten. Thomas Fabbro, Co-Geschäftsführer von Pro Natura Baselland, und der für den «Chilpen» mitverantwortliche Markus Plattner, Leiter der Abteilung Naturund Landschaft am Ebenrain-Zentrum, begleiten die «Volksstimme» auf einem Rundgang.
Daniel Zwygart
Wir schreiben den 17. Mai. Überall ist der Boden nach einem regenreichen Morgen feucht, zwischen der lückigen Bodenvegetation glänzen kleine Rinnsale und die gelblichen Pfade mit den vielen oberflächlich freigelegten Wurzeln sind schmierig-glitschig. Schon kurz nach dem Eintritt in das kantonale Naturschutzgebiet Chilpen bleiben die beiden Fachleute stehen: Einzelne Wacholdersträucher und kleine Waldföhren bilden hier einen sehr lichten Wald. Am Wegesrand stehen überall Orchideen und andere farbige Pflanzen der mageren Wiese.
Die von Weitem unscheinbaren Ragwurzarten zeigen ihre Schönheit erst bei näherer Betrachtung. Die für dieses Gebiet charakteristische, schweizweit eher seltene Kleine Spinnen-Ragwurz ist schon am Verblühen, ebenso das dunkelrote Männliche Knabenkraut und das Helm-Knabenkraut. Weitere Orchideen und viele andere Spezialisten von mageren und auch feuchten Standorten werden im Jahresverlauf folgen.
Mähen und wegbringen
Hier inmitten dieser botanischen Kostbarkeiten erläutern Thomas Fabbro und Markus Plattner die Massnahmen, damit der einmalige Wert des «Chilpen» nicht verloren geht. Nach dem Wegfall der Nutzung des «Chilpen» (siehe Kasten) begann alsbald die «Rückeroberung» durch Büsche und Bäume. Würden keine Pflegemassnahmen erfolgen, dann wäre der Endzustand ein Wald mit hauptsächlich Föhren, Eichen, Mehlbeeren und mit vielen Büschen. Damit dies nicht geschieht, wird alljährlich von den Verantwortlichen ein Pflegeplan erstellt, wo kleinflächig festgelegt wird, was einmal, zweimal oder gar nicht gemäht wird. Gemäht wird je nach Ort im Juli, August oder Oktober. Die Pflege übernehmen die Besitzenden gemeinsam. Die Kosten für die Hauptpflegemassnahmen für dieses kantonale Schutzgebiet bezahlt der Kanton Baselland.
Es wird darauf geachtet, dass tierund pflanzenschonende Mäh- und Sammeltechniken angewandt werden; also nach Möglichkeit Balkenmäher, Handrechen oder Bandrechen. Das Material wird alles abgeführt, damit die Magerwiesen nicht zusätzlich durch verrottendes Gras gedüngt werden. Das weggeführte Material wird mehrheitlich kompostiert oder kam schon erfolgreich zum «Beimpfen» von Flachdächern zum Einsatz.
Entfilzen und Abhumusieren
Da die Mahd eine dichte Grasnarbe zur Folge hat, versucht man zusätzlich mit Handrechen das Moos zu entfernen, damit Lücken entstehen. An mehreren Stellen wurde auch die aufliegende Humusschicht mit Kleinbaggern teilweise entfernt und weggeführt. Dieses Material ist so wertvoll, dass es in anderen Gebieten ausgebracht wird. Ziel ist es, die seltenen Arten an weiteren geeigneten Standorten anzusiedeln. Auf den ausgemagerten Stellen bilden sich bald spannende Pioniervegetationen und einige Jahre später artenreiche Wiesen.
In der Vergangenheit wurden grosse Gebiete ausgelichtet und mähbar gemacht. Neu werden im Föhrenbuschwald gezielt kleinere Buchten ausgelichtet, sodass weitere grasige Flächen im Halbschatten entstehen. Diese würden dann nicht mehr jährlich gemäht, damit beispielsweise Eier und Puppen von Insekten überwintern können. Anlässlich unseres Rundgangs waren die beiden Fachleute über das Aufblühen der ersten Weissen Waldvögelein in einer solchen, neu geschaffenen Waldlichtung sehr erfreut.
Erfolgskontrolle
Im «Chilpen» wurden schon viele botanische und faunistische Forschungen gemacht und publiziert. Der Biologe Guido Masé kontrolliert zudem regelmässig, ob die Pflanzenwelt mit den momentanen Pflegemassnahmen erhalten bleibt. Möglicherweise wird in Zukunft auch lokal eine Beweidung mit Ziegen, Schafen oder Kühen durchgeführt, um die Büsche stärker einzudämmen und die Grasnarbe aufzulockern.
Neben den Pflegemassnahmen beeinflussen weitere Faktoren die Pflanzen- und Tierwelt: zum einen der Stickstoffeintrag aus der Luft und zum anderen die klimatischen Veränderungen. Da der «Chilpen» ziemlich isoliert in einer landwirtschaftlich rationell genutzten Landschaft liegt, können Arten, die im «Chilpen» aussterben, nicht einfach wieder einwandern. Umso wichtiger ist es, dass mit Vernetzungsachsen wie gestuften Waldrändern, Hecken und Blumenwiesen ein gewisser Austausch mit der Umgebung garantiert ist.
Einfluss der Besuchenden
Der «Chilpen» ist kantons- und schweizweit für seine reiche Pflanzenwelt und seine Orchideen bekannt. Zur Hauptblütezeit der Orchideen kann es an Sonntagen im Mai zu grossen Besucherscharen kommen. Wenn dann abseits der Weglein eine rare Orchidee blüht, dann entstehen manchmal in kurzer Zeit neue Trampelpfade. Die dezenten Holzpföstchen mit der Erinnerung, die Wege nicht zu verlassen, nützen dann nicht mehr viel.
Markus Plattner vom kantonalen Ebenrain-Zentrum für Landwirtschaft, Natur und Ernährung in Sissach erläutert, dass man in früheren Jahren einen temporären Rangerdienst aufgebaut habe, denn auch Hunde dürften nicht ins Gebiet und Picknick mit Feuer ist nicht gestattet. Die Schwierigkeit sei die, dass man nie genau wisse, wann am meisten Leute da sind. Thomas Fabbro geht an solchen Tagen häufiger ins «Chilpen»-Gelände, um den Leuten zu erklären, warum man die Wege nicht verlassen soll. Insgesamt scheint der negative Einfluss durch Besuchende allerdings gering zu sein.
Kantonales Naturschutzgebiet
zwy. Das Naturschutzgebiet Chilpen östlich von Diegten liegt im Bereich des Gisiberg-Grabenbruchs, der vor circa 30 Millionen Jahren im Zusammenhang mit der Absenkung des Oberrheingrabens entstanden ist. Den Untergrund bilden nun die Effinger Mergel. Diese bestehen aus tonigen, kalkreichen Böden, welche schlecht wasserdurchlässig und deshalb häufig feucht und kühl sind. Bei längerer Trockenheit oder Sonnenbestrahlung trocknet dieser Bodentyp schnell aus und wird hart und rissig. Diese Umstände führten dazu, dass die ackerbauliche Nutzung dieses Gebiets in früheren Jahrhunderten gering war. Es wurden aber Mergel zur Kalkung der umliegenden Felder abgebaut, der lichte Wald beweidet, Gras und Laub für die Einstreu gesammelt und während des Zweiten Weltkriegs auch militärische Übungen abgehalten.
Schon vor dem Krieg wurde auf den botanischen Wert des «Chilpen» aufmerksam gemacht. Mehrere Baselbieter Botaniker erstellten Pflanzenlisten. 1946 konnte der Schweizerische Bund für Naturschutz (heute Pro Natura) 2,5 Hektaren Land erwerben. Heute umfasst das kantonale Naturschutzgebiet rund 30 Hektaren, wobei ein Drittel Pro Natura, fast die Hälfte drei Privatpersonen und der Rest dem Kanton Baselland und der Gemeinde Diegten gehören.