Offene Räume und wiederbelebte Orte
28.11.2025 SissachDas ist Sissach (48. Teil) | Freilichtspiele von «Texte und Töne» verwandeln Kulturlandschaft
Kaspar Geiger und Andreas Daniel Müller setzen die Region und insbesondere Sissach mit ihrer «Theatercompany Texte und Töne» und dem ...
Das ist Sissach (48. Teil) | Freilichtspiele von «Texte und Töne» verwandeln Kulturlandschaft
Kaspar Geiger und Andreas Daniel Müller setzen die Region und insbesondere Sissach mit ihrer «Theatercompany Texte und Töne» und dem Kulturverein Cheesmeyer auf die Landkarte der Kulturszene. Ihre Freilichtspiele setzen Standards für das Volkstheater.
Nikolaos Schär
«Bei der Familie Nebiker sind wir offene Türen eingerannt», sagen Kaspar Geiger und Andreas Daniel Müller in ihrem Büro im dritten Stock des altehrwürdigen Warenhauses «Cheesmeyer». Den beiden Köpfen hinter der «Theatercompany Texte und Töne» ist mit ihrer neusten Produktion «Medea» ein veritabler Coup geglückt. Sarah Spale, die dank ihrer Rollen in «Platzspitz Baby», «Wilder» und «Hallo Betty» landesweit bekannte Schauspielerin, spielt mitten auf dem Areal eines traditionellen Agrarunternehmens in Sissach auf virtuose Weise den Stoff einer antiken Tragödie aus. Die Kulturredaktionen nationaler Medien nahmen Notiz. «Texte und Töne» setzen das Oberbaselbiet auf die Landkarte der nationalen Kulturszene. Wie hat der Verein das geschafft?
Mit viel Beharrlichkeit, visionärer Kraft und einer Portion Chuzpe. Der ehemalige Gymnasiallehrer Kaspar Geiger aus Tenniken ist kein Unbekannter im Theaterbereich. Mit seinen Produktionen am Gymnasium Oberwil, die über die Ansprüche eines reinen Laientheaters hinausgingen, machte er sich einen Namen und schuf ein Biotop, das aus den Reihen der Schülerschaft professionellen Nachwuchs für die Theaterszene hervorbrachte. Andreas Daniel Müller ging bei Geiger in den Unterricht und studierte anschliessend Schauspiel in Hannover. Er stand viele Jahre auf Bühnen von Theaterhäusern und vor der Kameralinse, bis er sich irgendwann entschied, wieder zurückzukommen. Und wie es die kleinräumige Schweiz nun mal will, liefen sich die beiden wieder über den Weg. «Ich sah, dass Kaspar Bruno Mansers Tagebücher im ‹Roxy› inszenierte», erinnert sich Müller. Sie trafen sich, es funkte und der Rest gehört zur Geschichte von «Texte und Töne».
Der Anspruch der «Theatercompany»: professionelles Theater, aber auch mit Laien und nicht auf den Bühnen der grossen Schauspielhäuser, sondern draussen in den Dörfern, bei den Leuten. Seit rund zehn Jahren tingeln sie durchs Baselbiet und bespielen Orte, die eigentlich nicht fürs Theater gemacht sind.
Die Burgunderprinzessin «Yvonne» führte Geiger damals noch mit dem «Statt-Theater» im Schlosspark Ebenrain in Sissach auf – ein fürstliches Ambiente für einen adeligen Stoff. «Es war ein Riesenkampf, bis ich den Kanton davon überzeugte, dass der Ebenrain nicht nur zu Repräsentationszwecken dient», sagt Geiger, der es ermöglichte, dass der Ebenrain seine Tore für die Kulturszene öffnete. Heute wird in der ehemaligen Sommerresidenz der Basler Noblesse nicht nur geheiratet, sondern auch musiziert, Theater gespielt und Kunstwerke betrachtet.
«Schwarze Spinne» gegen Corona
Doch die Gratwanderung zwischen anspruchsvollem Theater und dessen Vermittlung für ein ländliches Publikum, das in der Breite ein eher volkstümliches Kulturverständnis besitzt, kann auch schiefgehen. In der Abfüllhalle der ehemaligen Ziegelhofbrauerei in Liestal versuchten die beiden mit «Ruah» die Schöpfungsgeschichte in einer abstrakten Bildsprache aufzuführen – und stiessen mit diesem experimentellen Musiktheater nur auf ein kleines Publikum. Die Leute blieben weg. «Trotz Riesenaufwand und intensiver Vorbereitungszeit mussten wir auf einen Grossteil unseres Lohns verzichten», sagt Müller. Die Leute ins Theater zu bringen und gleichzeitig ein anspruchsvolles Stück aufzuführen, sei eine Herausforderung, so Geiger, und verlange eine strategische Auswahl des Stoffes. Kritik an ihren Aufführungen gebe es, werde aber selten direkt an sie herangetragen, sagt Geiger: «Die einen sagen, dass ‹Medea› ein männerfeindliches Stück ist, die anderen, dass es nicht radikal genug ist; genau diese Auseinandersetzung wollen wir.»
Kulturschaffende bewegen sich grossmehrheitlich am Rand von prekären Arbeitsbedingungen. Die Corona-Pandemie zeigte dies auf eindrückliche Weise. Plötzlich gab es keine Auftrittsmöglichkeiten mehr. Die Kulturbranche war im Lockdown. Doch anstatt nur über die späte und nicht ausreichende finanzielle Unterstützung des Staates zu klagen, wollten «Texte und Töne» etwas dagegen unternehmen. Im Eiltempo modellierten sie «Die schwarze Spinne» von Jeremias Gotthelf zu einem corona-massnahmentauglichen Stück um. Ein kleines, feines Bühnenstück entstand – mit Abstand, aber analog. Das war den beiden wichtig. Faire Gagen zu zahlen sei herausfordernd, nicht nur im Theaterbereich, so Müller, der eine Zusatzausbildung im Kulturmanagement gemacht hat: «Im Umgang mit Künstlergagen gilt es, eine Balance zu finden zwischen Auftrittsmöglichkeiten und fairer Entlöhnung.» Die beiden sehen sich in der Rolle der Ermöglicher.
Was Müller damit meint, lässt sich am Paradebeispiel des «Cheesmeyer»- Hauses zeigen. Geiger hat das riesige, ungenutzte Potenzial sogleich erkannt: «Diese unzähligen Geschichten, die in jedem Raum dieses Hauses schlummern, lagen einfach brach.» Stück für Stück bespielten die beiden die Räume, angefangen im Dachstock, den sie mit Einwilligung des Besitzers Robert Häfelfinger zur Theaterbühne umbauten. Stücke über die Mundartdichterin Helene Bossert und «Ente, Tod und Tulpen» öffneten das Haus für ein breites Publikum.
Vom Warenhaus zum Kulturlabor
Als die ehemaligen Betreiber des Cafés im Erdgeschoss den Betrieb wegen Missachtung der Corona-Massnahmen schliessen mussten, begann ein neues Kapitel. Plötzlich war die alte Ladenfläche leer, die Möglichkeiten schienen unbegrenzt. Geiger und Müller gründeten den Kulturverein «Cheesmeyer», der heute laut Geiger auf festen Füssen steht und zwar aus der «Theatercompany Texte und Töne» heraus entstand, aber mittlerweile getrennt geführt wird.
Die Gesprächsreihe mit dem ehemaligen Soziologieprofessor Ueli Mäder besitzt mittlerweile Kultstatus, und auch das Kabarettformat «Gschichte vom Mischtstock» mit Daniela Dill und Dominik Muheim, dem Preisträger des Salzburger Stiers 2024, setzt Glanzmomente im lokalen Kulturbetrieb. «Wir können uns vor Anfragen kaum retten», sagt Geiger. «Wir hätten Material für zwei Jahre Programm.»
Doch die Kultur will auch finanziert werden; allein mit Eintrittsgeldern sei dies nicht möglich, so Müller.
Die Zusammenarbeit mit dem Amt für Kultur sei jedoch sehr gut, und über den Swisslos Fonds fliessen die nötigen Gelder zuverlässig. Nichtsdestotrotz müsse das gesamte Team des Kulturvereins weiterhin mit knappen Löhnen über die Runden kommen. Noch wird der «Cheesmeyer» nicht – wie beispielsweise das «Palazzo» in Liestal – als Institution finanziert; der Verein muss für sein Programm jeweils einzeln Unterstützungsbeiträge anfordern, doch man arbeite an einer Verstetigung der Unterstützung, sagt Müller.
Was bleibt?
Auf dem Weg, den «Cheesmeyer» als «kulturellen Leuchtturm» zu etablieren, gab es jedoch auch Stolpersteine. «Wir mussten feststellen, dass wir keine Gastronomen sind», so Geiger. Die Bewirtschaftung des Cafés überforderte den Kulturverein. Doch am Ende konnte der Verein den Gastrobetrieb abwickeln und alle Rechnungen bezahlen. Mit der Übernahme des Gastrobetriebs durch «Bloomell Coffeehouse», die in Olten bereits ein erfolgreiches Brunch-Lokal betreiben, können die beiden sich gemeinsam mit den Teammitgliedern Jan Gubser und Ursula Brunner nun wieder auf das Wesentliche konzentrieren: Kultur vermitteln, sagt Geiger, der seinen Fokus wieder vermehrt auf seine Leidenschaft richtet: Theater machen.
Am liebsten würde er wieder ein neues Projekt in Angriff nehmen, doch weil der Aufwand für «Medea» so gross gewesen sei, werden sie das Stück nächstes Jahr nochmals aufführen. Gleich handhabten sie das mit dem Vorgänger «Geld und Geist» nach dem gleichnamigen Roman von Jeremias Gotthelf, einem Klassiker der Schweizer Literatur. Das Soziogramm einer dörflichen Schweiz im frühen Kapitalismus holten sie auf dem Areal neben der «Alten Metzg» in die Gegenwart und waren zweimal ausverkauft.
Weil die Umstände in Bezug auf Logistik und Lärmbelästigung für ein weiteres Projekt neben der «Alten Metzg» zu aufwendig waren, landeten sie auf dem Nebiker-Areal. Gleich einer Pionierpflanze wie der Distel erobern Geiger und Müller die brachliegenden Kulturflächen der Region und zeigen auf eindrückliche Weise, dass Theater nicht nur unterhält und zum Nachdenken anregt, sondern durch seine imaginäre Kraft Orte wiederbeleben kann. Die Distel ist hartnäckig und stachelig, aber bietet den Insekten Nahrung, lange bevor die anderen Blumen ein Feld in eine blühende Wiese verwandeln.
Die nächsten Jubiläumsanlässe
Seit 17. Januar: Die Kulturkommission Sissach bringt im Rahmen des Jubiläumsjahres «Sissach 2025» Vergangenheit und Gegenwart in einen Dialog. Alte Gemälde und Zeichnungen hängen im Gemeindehaus aktuellen Fotografien des Theaterfotografen Ernst Rudin (70) gegenüber. Die Ausstellung kann zu den Schalteröffnungszeiten im Gemeindehaus besichtigt werden.
Donnerstag, 27., bis Samstag, 29. November: Musik- und Turnerabend «Cirque de Sissach», veranstaltet vom Musikverein Sissach und dem Turnverein Sissach. Vorstellungsbeginn jeweils 19.30 Uhr, Türöffnung jeweils 18.00 Uhr. Zusätzliche Nachmittagsvorstellung am 29. November um 13.30 Uhr (Türöffnung 12.00 Uhr). Motto: «Vier Vorstellungen – zwei Vereine – eine Vision». Turnhalle Tannenbrunn.
Sonntag, 7. Dezember: Sonderausstellung «Sissech 800 Joor». Von 11 bis 16 Uhr im Heimatmuseum, Zunzgerstrasse 2. Jeweils am ersten Sonntag des Monats. Bis Juni 2027.

