Nostalgisch, aber unverklärt
26.03.2024 LupsingenPeter Graf stellt Buch vor
Peter Graf, der Lupsinger mit der immensen Buchsammlung, hat am Freitag sein zweites Buch vorgestellt: «Nachkriegskind» ist eine Sammlung von fast 50 kurzen Geschichten mit Erinnerungen und Reflexionen, sofern diese Begriffe überhaupt zu trennen ...
Peter Graf stellt Buch vor
Peter Graf, der Lupsinger mit der immensen Buchsammlung, hat am Freitag sein zweites Buch vorgestellt: «Nachkriegskind» ist eine Sammlung von fast 50 kurzen Geschichten mit Erinnerungen und Reflexionen, sofern diese Begriffe überhaupt zu trennen sind.
Jürg Gohl
Peter Grafs Büchersammlung ist legendär. Geschätzte 100 000 Bücher hat der 77-jährige frühere Psychiater in seinem Zehntenhaus in Lupsingen gesammelt und nur grob geordnet. Da stehen Bücherschränke, Kästen mit Kästner, Stapel und zwischendurch auch eine Einkaufstüte. Grosse Werke der Literatur besitzt er gleich in mehreren Ausführungen, hat sie aber nicht katalogisiert. Und sucht jemand im Antiquariat im Liestaler Dichter- und Stadtmuseum ein spezielles, nicht auffindbares Buch, so reicht ein Anruf nach Lupsingen. Nach ein paar Minuten vermeldet der Sammler: «Ich hab’s.»
Der Vielleser betätigt sich aber spätberufen auch selber als Autor. Sieben Jahre nach seinem Erstling, dem Erzählband «Zufällige Annährung an die Frage nach dem Glück», hat Peter Graf ein zweites Buch verfasst. Das erste wird im Herbst neu aufgelegt, wie Lektorin Manuela Seiler-Widmer verriet. Das zweite trägt den Titel «Nachkriegskind». Es umfasst 200 Seiten. Am vergangenen Freitag stellte der Autor – natürlich im Liestaler Dichter- und Stadtmuseum – sein Buch vor. Dabei gab er eine Handvoll der insgesamt 46 Geschichten zum Besten. Gegliedert sind diese in drei Teile: «Vorgeschichten», «Im Landesinnern» und «Beim Tor zur Welt».
Museumsleiter Stefan Hess bezeichnete in seiner Begrüssung den Autor als «Meister der kurzen Formen» und kündigte eine Auswahl von Erinnerungen und Reflexionen an. Doch, wie sich bei den Kostproben schnell zeigte, lässt sich das eine nicht vom anderen trennen. Das beginnt schon mit dem ersten Text des Buchs, der den Titel «Der Teller» trägt. Das Geschirrstück, das ihm als Kind beim Abtrocknen zu Boden fiel, lässt ihn heute über Vergängliches und Langzeitwirkungen philosophieren.
In «Brachland», das er ebenfalls vorlas, schildert Peter Graf, wie er sich als Kind mit Freunden verbotenerweise auf einem Autofriedhof zwischen «Vauwes», «Döschwos» und Simcas tummelte. «Eines unserer Paradiese», zitiert er sich selbst, «zivilisatorisches Brachland, wo die Gesetze der Erwachsenen nur bedingt galten.» Es habe viele solcher Paradiese für Kinder gegeben, sie wurden aber immer höher eingezäunt. Dabei benötigen wir doch alle solches Brachland.
Mief und fettere Suppen
In der Geschichte «Nachkriegskind», die dem Buch den Namen verleiht, zeichnet er zuerst seine Geburt und den vermuteten Wunsch, sogleich in die Geborgenheit des Mutterleibs zurückzukehren. Stefan Hess verglich diese Szene mit Oskar Matzerath in der «Blechtrommel», auch wenn sich Graf in einem wesentlichen Punkt von ihm unterscheidet: Er wurde 1947, also zwei Jahre nach Kriegsende, geboren und erlebte das Wirtschaftswunder. «Mief» und «fettere Suppen», ist es im Klappentext treffend beschrieben. Der Krieg ist aber immer irgendwie Thema, nicht nur im Kapitel mit dem fast lyrischen Titel «Lange hatte dieser Krieg gedauert». Darin sind kritisch gemeinte Sätze zu finden wie über die Buben: «Wenn man sie laubsägeln liess, sägten sie einen Revolver.»
Graf lehnt sich nicht nur bei Günter Grass an. Durch sein regelmässiges Lesen verfügt er auch über einen flüssigen, literarischen Stil. Und gemessen an den Reaktionen des Publikums an der Vernissage bewegen uns diese persönlichen Erinnerungen auch aus einem weiteren Grund: Wenn er schildert, wie Bleistifte mit einem Röhrchen verlängert wurden, um diese noch lange zu gebrauchen, alte Zeitungen zu WC-Papier geschnitten wurden und er beschreibt, wie «Kultur im Radioapparat» stattfand, dann weckt das süss-saure Erinnerungen – zumindest bei Nachkriegskindern.
«Nachkriegskind», 46 kurze Geschichten von Peter Graf, Reihardt-Verlag, 200 Seiten.