Mit Mut in die Zukunft oder mit Angst in den Stillstand?
21.08.2025 PolitikHenri Rigo, Gemeindepräsident Ormalingen, parteilos
Nach jeder Reise spüre ich beim Zurückkommen ins Baselbiet aufs Neue, welch grosses Privileg es ist, in der Schweiz zu leben. Gerade dann wird mir bewusst, wie sehr ich hier zu Hause bin und wie gerne ...
Henri Rigo, Gemeindepräsident Ormalingen, parteilos
Nach jeder Reise spüre ich beim Zurückkommen ins Baselbiet aufs Neue, welch grosses Privileg es ist, in der Schweiz zu leben. Gerade dann wird mir bewusst, wie sehr ich hier zu Hause bin und wie gerne ich immer wieder zurückkehre.
Ich reiste nach Estland, um die Oberbaselbieter Spieler und Spielerinnen an der Indiaca-Weltmeisterschaft erleben zu dürfen. Die Vorfreude war gross. Gleichzeitig war ich gespannt, was mich dort erwarten würde. Estland hat eine bewegte Geschichte. Nach der Loslösung vom Zarenreich folgten Besetzungen durch die Sowjetunion, später durch das nationalsozialistische Deutschland und erneut durch die Sowjetunion. Erst seit 1991 ist Estland wieder unabhängig. Seither hat die Bevölkerung die Wirtschaft und den Staat von Grund auf neu aufgebaut.
Die wechselvolle Geschichte prägte Estland tief. Unter sowjetischer und deutscher Herrschaft konnte ein falsches Wort, der Besuch einer unpassenden Veranstaltung oder eine frühere Anstellung bei der «falschen» Behörde das Ende bedeuten. Familien wurden auseinandergerissen, Menschen deportiert oder sie verschwanden, oft aufgrund von Gerüchten. Überwachung und Angst waren allgegenwärtig. Museen machen diese Zeit eindrücklich erfahrbar.
Ich erwartete Misstrauen gegenüber staatlicher Erfassung. Doch Estland überraschte mich: blitzsauber, modern, digital, jung. Seit mehr als 20 Jahren ist die E-ID zentral für Steuererklärungen, Arzttermine, Patientenakten, Firmengründungen, Kundenkarten und vieles mehr. Parkgebühren bezahlt man per App, die bereits weiss, wann und wo ich das Auto abgestellt habe. Öffentliche Gebäude und Plätze sind vernetzt, Kameras inklusive. Eingebettet in klare Regeln und transparente Prozesse. Digital sind uns die Esten in vielem voraus.
Die Esten erwarten keine fehlerfreie digitale Welt. Als 2017 eine Sicherheitslücke auftrat, reagierten sie souverän, nicht panisch. Diese Haltung erlaubt es ihnen, mutig voranzugehen, statt in der Angst vor Fehlern zu verharren. Der gesellschaftliche Nutzen der E-ID rechtfertigt das Risiko solcher Schwachstellen.
Und wir? Wir sind zu Recht sorgfältig. Manchmal aber so sehr, dass wir Chancen verpassen oder erst spät nutzen. Bevor wir in der Schweiz etwas einführen, wollen wir selbst das unwahrscheinlichste Risiko ausschliessen. Mit Bargeld leben wir jedoch ganz selbstverständlich, obwohl es Diebstahl, Fälschung und Missbrauch gibt. Würden wir heute Bargeld trotz Risiken einführen? Zum Glück haben es unsere Vorfahren getan. Genau so mutig sollten wir auch bei der E-ID sein. Wie beim Bargeld müssen wir den Missbrauch bestrafen, nicht aber die Einführung von Neuem verhindern.
Die Heimkehr ins Baselbiet war diesmal anders. Ich wäre gerne geblieben, um tiefer in diese digitale Welt einzutauchen. Das Staunen blieb. Warum begegnen wir Schweizer der Digitalisierung vorsichtiger als die Esten, die jahrzehntelang unter Überwachung und Repression leiden mussten?
In der «Carte blanche» äussern sich Oberbaselbieter National- und Landratsmitglieder sowie Vertreterinnen und Vertreter der Gemeindebehörden zu einem selbst gewählten Thema.