Mit den Händen Teig kneten und es erklären
04.10.2024 DiegtenSofian Bouaouina erforscht, wie sich Menschen durch ihre Sinne verständigen
Sofian Bouaouina forscht an der Universität Basel, wie sich Menschen verständigen. Dabei inspirieren den 31-jährigen Doktor der Sprachwissenschaften auch die Erfahrungen, die er bei der ...
Sofian Bouaouina erforscht, wie sich Menschen durch ihre Sinne verständigen
Sofian Bouaouina forscht an der Universität Basel, wie sich Menschen verständigen. Dabei inspirieren den 31-jährigen Doktor der Sprachwissenschaften auch die Erfahrungen, die er bei der Feuerwehr von Diegten gemacht hat.
Jürg Gohl
Zur Welt gekommen in Rünenberg, hat Sofian Bouaouina 20 seiner inzwischen 31 Lebensjahre in Diegten verbracht. Im Diegtertal gehörte er auch einige Zeit der Feuerwehr an. Heute erinnert er sich, wie ihn, den an Sprache interessierten Studenten, damals bei den Übungen in Uniform die Frage beschäftigte, wie sich Feuerwehrleute verständigen, wenn Schutzanzüge das Sprechen mit Worten erschweren und die Dunkelheit das Sprechen mit Händen und Füssen fast verunmöglicht.
Nie hätte er zu jener Zeit gedacht, dass er sich wenige Jahre später als Forscher und Doktor der Sprachwissenschaft an der Universität Basel mit genau dieser Frage auseinandersetzen würde. Wie kommunizieren Feuerwehrleute in solchen Situationen? «Diese Verständigung unter extremen Bedingungen zu verstehen, reizte mich», erläutert er. Mit Kameras und Mikrofonen ausgerüstet und oft auf eigene Erfahrungen zurückgreifend, will er eine Antwort finden.
Erst Küche, dann Feuerwehr
In einem weitaus gemütlicheren Umfeld, nämlich in der Küche, hat Sofian Bouaouina seine ersten Nachforschungen zur Kommunikation mit mehreren Sinnen unternommen. Er forschte dabei im Projekt seiner Linguistik-Professorin Lorenza Mondada. Sie untersuchte «erstmals empirisch, inwiefern die bisher weniger erforschten Sinne des Tastens, Schmeckens und Riechens in und für Interaktionen um Lebensmittel genutzt und dem Gegenüber vermittelt werden». So ist es in der Sommerserie der Uni Basel «Im Fokus» in akademischem Deutsch formuliert. In diesem Porträt werden der Forscher aus dem Oberbaselbiet und seine Doktor-Arbeit vorgestellt.
Er illustriert in diesem Beitrag an einem Beispiel, wie wir uns seine Forschungen konkreter vorstellen können: Wenn er an einem Marktstand Käse degustiere, erklärt er, so tue er das mit einer völlig anderen, ausgeprägteren Mimik als zu Hause, wenn er für sich alleine Käse esse. «Es gibt eben Situationen, in denen wir sichtbar machen wollen, dass uns etwas schmeckt», erklärt er. Fünf Jahre befasste er sich mit diesem Thema. Dazwischen forschte (und publizierte) er beispielsweise auch zu den sich ändernden Begrüssungsritualen während der Corona-Zeit.
So beobachtete und beschrieb er in seiner Arbeit zum Beispiel, wie eine Hauswirtschaftslehrerin ihrer Schülerin zeigt, wie sie den Teig am einfachsten in die Backform drücken kann. Dabei sind nicht nur die sprachlichen Beschreibungen der Lehrerin wichtig, sondern vor allem auch ihre Handbewegungen. Das Fühlen wird zum grundlegenden Bestandteil der Instruktion. Damit will Sofian Bouaouina aufzeigen: «Was die Lehrerin also effektiv zeigt, ist viel mehr und viel präziser als das, was sie mündlich erklärt.»
Als er in Basel Geschichte und Französisch zu studieren begann, sah er sich als angehender Gymnasiallehrer und unterrichtete als Student zwischenzeitlich in Sissach verschiedene Fächer, vor allem aber Französisch. «Als Lehrer nahm ich mir damals zum Vorsatz, dass ich meinen Klassen die Schönheit dieser Sprache vermitteln und ihr schlechtes Image widerlegen kann», erzählt der Forscher mit den sieben Vokalen im Nachnamen, «ich glaube, das ist mir ein Stück weit auch gelungen.»
Erst Geschichte, dann Linguistik
Als er selber noch das Liestaler Gymnasium besuchte, hat er sich dort mit der Kolonialgeschichte Tunesiens, dem Heimatland seines Vaters, auseinandergesetzt und dazu Interviews mit Zeitzeugen geführt. «Meine Wurzeln in Tunesien machen einen wesentlichen Teil meiner Biografie aus», sagt er. Die Heimat seiner Mutter liegt näher. Sie stammt aus Langenbruck.
Von der Kolonialisierung und der Befreiung der Heimat seines Vaters handelten seine Maturarbeit sowie auch sein Beitrag «Die Dekolonisierung von Tunesien», mit dem er es 2012 bei «Schweizer Jugend forscht» in die Endrunde schaffte. Doch an der Hochschule verschob sich sein Interesse. Da faszinierte ihn von Beginn weg die Linguistik, das Untersuchen des Phänomens Sprache. Sein Interesse wurde insbesondere durch die Tatsache geweckt, dass die Kommunikation nicht nur über Sprechen und das Befolgen von starren grammatikalischen Regeln erfolgt. Im Gegenteil: Wenn sich Menschen verständigen, seien meist mehrere Sinne daran beteiligt, und die Grammatik wird auch viel flexibler. Und das ist nicht nur in der Küche oder in einem brennenden Raum so.
Sofian Bouaouina hält sich oft im Oberbaselbiet auf, lebt aber inzwischen in Basel. Dort will er sich in den kommenden rund sechs Jahren weiterhin seiner Faszination zuwenden, der Kommunikation, die sich nicht in das Korsett der gesprochenen Sprache zwängen lässt, sondern sich über andere Wege verständlich macht und sich deshalb auch nicht an Sprachgrenzen orientiert.
Bei der Frage, ob er sich in ein paar Jahren aus der Forschung und einer Karriere an der Uni verabschieden und sich seinem ersten Berufsziel, dem Französisch- und Geschichte-Lehrer, zuwenden wird, will sich Sofian Bouaouina nicht festlegen. Beide Vorstellungen würden ihm gefallen, sagt er. «Warum nicht beides in Kombination?»