«Mir wäi luege»
30.10.2025 SissachDas ist Sissach (43. Teil) | Ehemaliges Fluh-Fernrohr steht im Kunst-Einsatz
Fast 20 Jahre lang hat man von der Sissacher Fluh aus mit einem Fernrohr in die Ferne blicken können. Die Künstlerin Sylvia Heuser hat dem zwischenzeitlich verschwundenen Gerät ...
Das ist Sissach (43. Teil) | Ehemaliges Fluh-Fernrohr steht im Kunst-Einsatz
Fast 20 Jahre lang hat man von der Sissacher Fluh aus mit einem Fernrohr in die Ferne blicken können. Die Künstlerin Sylvia Heuser hat dem zwischenzeitlich verschwundenen Gerät neues Leben eingehaucht und es für ein Kunstprojekt aufgestellt.
Robert Bösiger, Martin Rickenbacher
Alle, welche die Sissacher Fluh kennen (wer kennt sie nicht?) und schon etwas älter sind, mögen sich ziemlich sicher erinnern, dass auf der Fluhkanzel bis in die späten 1980er-Jahre ein Fernrohr montiert war. Damit konnte man die vor sich liegende Landschaft erkunden und bei gutem Wetter weit ins Mittelland blicken.
Um mehr über dieses Fernrohr zu erfahren, müssen wir die Zeit ziemlich weit zurückdrehen, konkret bis ins Kriegsjahr 1940. Damals war die 1937 erstellte Hütte auf der Fluh bereits vorhanden. Die Fluhwirtschaft, betrieben von der legendären ersten «Fluh-Bäizerin» Louise «Luggi» Graf (1898–1966), wurde selbstredend auch vom militärischen Personal des Fliegerbeobachtungspostens genutzt.
Das damalige Beobachtungsgerät, ein Spezial-Fernrohr, stand neben der Fahnenstange. Wie die «Volksstimme» später berichtete, umfasste das ganze Détachement des Beobachtungspostens 12 bis 15 Mann, die unter dem Kommando von Wachtmeister Hans Schaub-Horand (ja, dem «Volksstimme»- Schaub) standen. Geschlafen habe man auf Strohsäcken in der heutigen Wirtschaft. Und die Küche sei gemeinsam mit «Bäizerin» Luggi Graf genutzt worden.
Für den Nachschub wurden täglich zwei Mann ins Dorf abkommandiert; andere seien zu den hiesigen Bauern gegangen, um bei Feldarbeiten zu helfen. Der Zweite Weltkrieg ging vorbei und das Beobachtungsfernrohr auf der Fluh wurde wieder demontiert.
Aussichtsturm als Vorbild
1967 allerdings schrieb der damals weitum bekannte Journalist und Schriftsteller Walter Meyer aus Oberdorf (1931–2009) einen Beitrag über das Fernrohr auf dem Liestaler Aussichtsturm. Unter dem Bild des Fernrohrs schrieb «wm» wörtlich: «Wir sind ein wenig sehr in die Sissacherfluh vernarrt und könnten uns nun vorstellen, dass auch dort ein solches Fernrohr eventuell mit Panoramatafel ganz praktisch wäre.» Selbstverständlich würde dieses Gerät etwas kosten, aber die eingeworfenen 20-Rappenstücke würden mit der Zeit doch eine ansehnliche Summe ergeben. Weiter schreibt er: «Wir haben (…) gelesen, hie und da werde die Menschheit von Gönnern beglückt, die überdurchschnittlich unter dem Geldsegen leiden und froh sind, einen Teil der ungeheuren Geldflut kanalisieren zu können.»
Offenbar zeigte der Appell von Walter F. Meyer Wirkung, wie aus alten Protokollen des Verkehrsund Verschönerungsvereins Sissach und Umgebung zu entnehmen ist. Optikermeister Hans Breitenstein (1908–1972), der im Zweiten Weltkrieg als Soldat fast 900 Tage an der Grenze stand, schenkte dem Verkehrs- und Verschönerungsverein Sissach (VVS) ein Fernrohr und zeigte sich auch bereit, die Montagekosten zu übernehmen.
Der VVS verpflichtete sich dafür, endlich eine lange gewünschte Panoramatafel zu realisieren. Es muss angenommen werden, dass das Fernrohr irgendwann im Zeitraum März bis Juni 1970 installiert wurde. Denn die «Volksstimme» vom 16. Juni berichtete, dass jemand versucht habe, das «Kässeli» am Fernrohr zu knacken.
In den Jahren ab 1970 stand das Fernrohr auf der Fluhkanzel im Einsatz und so manch 20-Rappen-Stück wurde eingeworfen. So gut man die Entstehungsgeschichte des Fernrohrs kennt, so schlecht weiss man, wann das Gerät wieder demontiert worden ist. Fakt ist: In einem Beitrag, erschienen in der Gratiszeitschrift «Baselbiet aktuell» vom 1. Juli 1988 zum Panorama von der Sissacher Fluh, ist das Fernrohr nicht (mehr) zu sehen. Ob es damals in Revision oder schon abmontiert war, lässt sich nicht mehr rekonstruieren.
Daran änderte auch die Sissacher Fasnachtsplakette 1999 nichts, die mit dem Sujet «Mir wäi luege» einen kleinen Waggis zeigt, der auf der Sissacher Fluh steht und mit dem Fernrohr ins kommende Jahr 2000 blickt. Entworfen wurde die Plakette übrigens vom heutigen Gemeindepräsidenten Peter Buser, dem damaligen Tambourmajor der «Nuggi-Clique».
Mit «Weitsicht» auf die Fluh
Viele Jahre später hat sich die Sissacher Künstlerin Sylvia Heuser (61) für eine Ausstellung auf die Suche nach einem Fernrohr gemacht. Weil sie das Fluh-Fernrohr kannte, fragte sie herum und erfuhr, dass das Gerät bei der ehemaligen «Fluhbäizerin» Marianne Hodel sein könnte. Tatsächlich: Verpackt in einem Plastiksack wurde es schliesslich im Keller von Hodel gefunden.
Zunächst kam es im Rahmen einer Installation im Zusammenhang mit der Fussball-Europameisterschaft «Euro 2008» zum Einsatz, danach 2014 in einer Kunstausstellung in der Oberen Fabrik.
Vor gut zwei Jahren trat Heuser in Kontakt mit dem in Sissach aufgewachsenen Kulturingenieur und Topografen Martin Rickenbacher (71), der zuletzt im Bundesamt für Landestopografie tätig war. Er war es auch, der zwischen 1977 und 1987 ein Panorama von der Fluh erstellt hat. Heute steht die Panorama-Karte auf der Kanzel und klärt darüber auf, was man von hier aus sehen kann – entsprechendes Wetter vorausgesetzt.
Heuser hatte nämlich die Idee, zum Jubiläumsjahr «Sissach2025» eine Kunstinstallation mit diesem Fernrohr zu realisieren. Getreu dem Projekttitel «Sichtwechsel» sollte man mit dem Fernrohr hinauf zur Fluh sehen können. Ein Sichtwechsel, sagte sie an der feierlichen Einweihung auf dem Friedhof in Sissach, sei gerade heute dringend nötig: «Im Moment werden wir extrem gefordert, Dinge anders zu sehen. Egal, ob in der Politik oder der Kultur.»
So ist das Fernrohr also seit Kurzem auf dem Friedhof Sissach installiert. Warum ausgerechnet auf dem Friedhof? Dazu Sylvia Heuser: «Es hat mit dem Sichtwechsel zu tun: Man hat eine einmalige direkte Sicht zurück auf den ehemaligen Standort. Auch symbolisch stimmt der Ort. Auf dem Friedhof schaut man zurück auf die Vergangenheit.»
Die nächsten Jubiläumsanlässe
Laufend:
Bilderausstellung: Alte Gemälde und Zeichnungen hängen aktuellen Bildern von Ernst Rudin gegenüber. Die Ausstellung kann zu den Schalteröffnungszeiten im Gemeindehaus besichtigt werden. Kunstprojekt «Sichtwechsel»: Mit dem Fernrohr hinauf zur Sissacher Fluh schauen. Das Fernrohr steht auf dem Friedhof. Waldpfad der Bürgergemeinde; ab Haltestelle «Voregg». Ausstellung: «Die Sissacherin Ursula Graf und ihre Seidenstrassen», «China-House».


