«Mein logisches Denken stellte ab»
19.12.2023 SchweizThun | Mordanklage – Oberbaselbieter bleibt bei Unfall-Theorie
Fast ungerührt erzählte der Beschuldigte, wie er nach seiner Tat vorging. Während die Anklage von Tötungsabsicht ausgeht, spricht der Täter von einem Unfall. Sein Verhalten ...
Thun | Mordanklage – Oberbaselbieter bleibt bei Unfall-Theorie
Fast ungerührt erzählte der Beschuldigte, wie er nach seiner Tat vorging. Während die Anklage von Tötungsabsicht ausgeht, spricht der Täter von einem Unfall. Sein Verhalten nach der Tat sei auf Panik zurückzuführen.
Thomas Immoos
Sehr auskunftsfreudig gibt sich der Mann vor dem Regionalgericht Oberland in Thun. Er wird beschuldigt, in einer Januarnacht 2021 seine 31-jährige Kollegin erwürgt und danach, beschwert durch einen Baustellensockel, bei Gunten in den Thunersee geworfen zu haben.
Der 38-jährige Oberbaselbieter ist wortgewandt, er weiss sich auszudrücken. Man kann sich als Prozessbeobachter fragen, ob der Verteidiger über diese Redefreudigkeit begeistert ist. Wo die Frau zu Tode gekommen ist – bereits auf dem Bruderholz oder erst am Thunersee, oder gar unterwegs dorthin – war nicht mehr festzustellen.
Treffen mit sexueller Absicht
Obwohl der Angeschuldigte offen redet: Bei einigen Dingen – den wesentlichen, wie es scheint – beruft er sich auf Gedächtnislücken oder auf Panik. Eine klare Tötungsabsicht jedoch verneint er konsequent; es habe sich um einen Unfall gehandelt.
Mit der Frau hatte der Mann seit Jahren eine lose Beziehung, zeitweise wohnte sie sogar bei ihm. An jenem verhängnisvollen Tag habe er, der wenig unter Leuten war, das Bedürfnis nach Kontakt gehabt. Deshalb habe er seine Freundin in Münchenstein aufgesucht, «um mit ihr unter vier Augen reden zu können». Ohne klares Ziel seien sie in der Nacht mit seinem VW-Bus schliesslich auf dem Bruderholz gelandet. Dort lag Schnee. Während der Mann noch im Auto sass, sei seine Freundin ausgestiegen. Als er kurz darauf ebenfalls ausstieg und um das Fahrzeug herum ging, sah er seine Freundin am Boden liegen. Sie habe eine blutende Kopfwunde gehabt, behauptete der Mann. Sie sei wohl auf dem Schnee ausgerutscht und habe den Kopf an einem Wegkreuz angeschlagen.
Zweifel an dieser Version hegte nicht nur das Gericht. Gemäss der Staatsanwaltschaft ging es bei dem Treffen um Sex. Es kam zum Streit, als die Freundin sich geweigert habe, gewissen Praktiken zuzustimmen. Laut Anklageschrift hat der Mann seine Freundin mit einem Hammer erschlagen, mit Kabelbindern stranguliert und gefesselt. Dass er Hammer und Kabelbinder in seinem Auto dabeihatte, zeuge von einer gewissen Absicht. Dem widersprach der Täter: Er habe auf dem Bau gearbeitet; da sei es naheliegend solche Dinge dabeizuhaben.
Zudem hatte er vor der Tat diverses Sexspielzeug gekauft. Der Mann räumte auch ein, er wäre zu Sex bereit gewesen, «wenn sie gewollt hätte». Allerdings ergaben die Ermittlungen auch, dass er auf abartige Sexualpraktiken steht. Auf die entsprechende Frage des Richters sagte der Mann: «Es ist wohl Ansichtssache, was abartig ist.»
«Ziellos rumgefahren»
Gesichert jedoch ist, dass er auch im Internet und Darknet sadomasochistische Videos und Bilder anschaute, einmal sogar von einer toten Frau. Auch räumte er ein, dass er eine «gewisse Fantasie für Bondage» (Fesselungsspiele) habe. Aber wenn er sexuell etwas ausprobieren wolle, tue er dies nur mit Menschen, die dies so auch wollten.
Nach der Tat (oder dem Unfall) ist Peter A.* seinen Angaben zufolge in Panik geraten. «Als ich sie tot liegen sah, stellte mein logisches Denken ab.» Allerdings sei ihm auch bewusst geworden, «dass ich sie jetzt loswerden muss». Er habe die Leiche in sein Auto gepackt und sei ziellos durch die Nacht gefahren. Auf einer Baustelle hat er einen Baustellensockel entwendet, mit dem Ziel, damit die Frau im Thunersee zu versenken.
Das Gebiet bei Gunten kannte er vom Kajakfahren her. Um sie besser an den Sockel binden zu können, hat er sie «zu einem kompakten Päckli geschnürt», wie er ausführte. Das sei nicht einfach gewesen, «vor allem mit dem Kopf». Die Idee dazu habe er aus einer Fernsehsendung. Gegen klare Absichten und Planung spreche, so der Angeklagte, auch der Umstand, dass er stundenlang ziellos «im Gaggo rumgefahren» sei, bevor er schliesslich eher zufällig am Thunersee gelandet sei.
Für den Richter, aber auch für den psychiatrischen Gutachter, zeugt sein Handeln von strategischen Überlegungen. Dies stritt der Mann entschieden ab. Hätte er überlegt und strategisch gehandelt, so wäre er auf Nummer sicher gegangen und mit dem Kajak auf den See hinausgefahren, um dort die Leiche zu versenken. Stattdessen habe er sie nur in den zwei Meter tiefen See am Ufer geworfen, wo man sie leicht finden konnte.
Sadistisch und dissozial?
Die Richter wollten auch wissen, warum er nach dem vermeintlichen Unfall nicht den Notfall gerufen oder mit seiner Freundin ins nahe Bruderholz-Spital gefahren sei. Auch dieses Verhalten führte der Täter auf Nervosität und Panik zurück. Dass er die Leiche so entsorgt habe, sei gerade darauf zurückzuführen. «Wenn ich etwas plane, dann schaue ich auch darauf, dass ich es gut mache.» Wenn er wirklich die Absicht gehabt hätte, sie endgültig verschwinden zu lassen, hätte er dies anders angestellt.
Der Gutachter attestierte dem Mann sadistische Züge und dissoziale Tendenzen; auch sei er narzisstisch, «auch mit gewissen sympathischen Zügen». Der Mann habe verschiedene Facetten und wisse seine Wünsche umzusetzen. Sein Tatvorgehen zeuge von einer «gewissen Abgebrühtheit». Er sei in der Lage, überlegt und strategisch zu denken und vorzugehen. Deshalb sei nicht anzunehmen, dass sein Verhalten nach der Tat auf Panik zurückzuführen sei. Auch bezweifelte er eine Therapierbarkeit des Täters, da dieser kaum mitzumachen bereit sei. Zudem sei eine Rückfallgefahr nicht auszuschliessen. Peter A. selber kann mit dem Befund des Gutachters wenig anfangen. Er spreche lieber mit Mitgefangenen. Man gebe sich gegenseitig Tipps. Therapeuten sagten nur: «Ich verstehe Sie ja schon, aber …»
Zweifel an der Panik und an der Unfallversion des Täters hegte auch die Anwältin der Opferfamilie. Sie hatte denn auch nur eine Frage an den Angeklagten: «Glaubt Herr A. wirklich den Unsinn, den er da verzapft?» Die Verhandlung wird heute Dienstag mit den Plädoyers der Staatsanwaltschaft und des Verteidigers fortgesetzt. Am Freitag wird das Fünfergericht in Thun das Urteil fällen.
* Name der Redaktion bekannt