Lehre statt Ferienwettbewerb – Handwerk hat Zukunft

  25.09.2025 Politik

Sandra Sollberger, Nationalrätin SVP, Bubendorf/Liestal

Vor 36 Jahren, mit 15, absolvierte ich meine Lehre als Malerin – damals war mir nicht bewusst, welches Geschenk die duale Berufsbildung ist. Ich nahm es als selbstverständlich hin, eine Lehrstelle zu finden, im Betrieb zu arbeiten und parallel die Berufsschule zu besuchen. Rückblickend waren die drei Lehrjahre prägend: ein familiärer Betrieb, der spannende Umgang mit Kunden, Arbeitskollegen, die für mich zu Freunden wurden, Gerüstmontagetage, die mich wortwörtlich in die Knie zwangen, Farbkessel zu 25 kg, die in den Keller getragen und eingeräumt werden mussten, und die tägliche Znünipause um neun Uhr, welche ich übrigens bis heute einhalte. Allerdings geniesse ich inzwischen eine etwas leichtere Variante als mein damaliges, kraftspendendes Lieblingsznüni: Salami-Sandwich mit Mayonnaise. Solche Erinnerungen machen klar: Eine Lehre ist mehr als Berufswissen – sie formt Charakter, Teamgeist und Durchhaltewillen. Lebensschule pur.

Trotzdem wird die Wahl der Ausbildung oft an einem unpassenden Massstab gemessen: Ferien. Aussagen wie «Ich gehe einfach weiter zur Schule, dann habe ich mehr Ferien» oder Eltern, die sagen «Mein Kind muss ins Gymnasium» degradieren die Lehre zu einer Nebenwahl. Das ist kurzsichtig und schadet unserem Land. Eine Berufslehre bringt früh Verantwortung, eigenes Einkommen, praktische Kompetenz und echte Chancen auf Weiterbildungen bis hin zur Meisterprüfung oder auch zu Studienwegen. Zahlreiche Führungs- und Unternehmerkarrieren haben mit einer Lehre begonnen. Dass die Ferienfrage ein Hauptargument bei der Berufswahl ist, erkenne ich klar an den unzähligen, despektierlichen Droh- und Schmähnachrichten, mit welchen ich zurzeit eingedeckt werde. Diese sehe ich als Hinweis, dass ich einen wunden Punkt getroffen habe und bleibe motiviert an diesem Thema dran.

Eine Möglichkeit wäre, die Ferien der weiterführenden Schulen an jene der Berufslehre anzugleichen. Das würde den Druck auf Jugendliche verringern und das Gefühl der Ungleichbehandlung mindern. Seien wir ehrlich: Viele Gymnasiasten arbeiten in den Ferien kaum noch
– ein Blick auf die Social-Media-Profile bestätigt das. Mit weniger Ferien in der Mittelschule habe man zudem mehr Zeit für den Schulstoff, weniger Stress und auch weniger Leistungsdruck. Es wären
mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Ich bin stolz auf meine Malerlehre. Ich habe den Wechsel aus der behüteten Schulumgebung in die Erwachsenen- und Arbeitswelt früh erlernt. Diese Erfahrungen prägen weit über das Handwerk hinaus. Es trifft mich, wenn Lehrberufe von manchen Lehrpersonen oder Eltern abwertend behandelt werden. Wir müssen die duale Berufsbildung verteidigen – als eine Errungenschaft, die unser Wirtschaftsund Sozialmodell stärkt. Mein Appell an Eltern und Jugendliche: Messt die Ausbildung nicht an Ferientagen! Wählt nach Neigung, Begabung und Zukunftsperspektiven. Ich will die weiterführenden Schulen nicht gegen die Lehre ausspielen – beides hat seine Berechtigung. Aber eine Lehre ist kein zweitklassiger Weg, sondern ein leistungsfähiger, bewährter Start ins Leben! Lasst uns die Berufslehre feiern – nicht an ihren Ferien messen.


In der «Carte blanche» äussern sich Oberbaselbieter National- und Landratsmitglieder sowie Vertreterinnen und Vertreter der Gemeindebehörden zu einem selbst gewählten Thema.


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