«Leben ist zu kurz, um alles ernst zu nehmen»
27.06.2025 BaselbietDer Kirchenratspräsident der Reformierten Kirche Baselland tritt und blickt zurück
Ende Juni endet die Zeit von Pfarrer Christoph Herrmann als Kirchenratspräsident der Reformierten Kirche Baselland. Als «Regierungschef» der Landeskirche setzten er und das Team im ...
Der Kirchenratspräsident der Reformierten Kirche Baselland tritt und blickt zurück
Ende Juni endet die Zeit von Pfarrer Christoph Herrmann als Kirchenratspräsident der Reformierten Kirche Baselland. Als «Regierungschef» der Landeskirche setzten er und das Team im Kirchenrat Akzente in der gemeinnützigen Arbeit und brachten sich in Gesellschaft und Politik ein.
Anna Wegelin
Herr Herrmann, Ihr Büro im Haus der Kirchenverwaltung im Obergestadeck in Liestal ist fast leer. Aber der Teufelskopf mit Hörnern aus Lehm thront immer noch auf dem Bücherregal. Was hat es damit auf sich?
Christoph Herrmann: Den hat mir mein Göttibub geschenkt, das ist lange her. Ich bin ja von Haus aus Pfarrer und er war früher viel bei uns im Pfarrhaus in Reinach. Irgendwann kam er mit dem Teufelchen und fand, das passt. Es begleitet mich tagaus, tagein.
Sie waren 30 Jahre Pfarrer im Unterbaselbiet und engagieren sich seit Langem für die Kantonalkirche. Sind Sie ein guter Kommunikator?
Als Kirche haben wir einen permanenten Auftrag, die Kommunikation des Evangeliums. Das hat vielfältige Formen. Es gibt gewisse Dinge in unserer Gesellschaft, die wir unterstützen, weil sie gut sind. Und es gibt Dinge, die wir infrage stellen, weil wir der Meinung sind, dass man sie korrigieren muss und sie nicht so sein sollen, wenn wir die Einladung zur Nächstenliebe ernst nehmen.
Bei der ersten Konzernverantwortungsinitiative, die global tätige Schweizer Grossunternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltbestimmungen verpflichtet, hat sich der Kirchenrat weit aus dem Fenster gelehnt. Sind Sie da nicht zu weit gegangen?
Bei der ersten Konzernverantwortungsinitiative oder Kovi hat sich der Kirchenrat als Gremium dazu geäussert; er sagte, die Reformierte Kirche Baselland unterstützt Kovi eins. Dann gab es ganz unglückliche Formen von Kommunikation dazu, Meinungsäusserungen von Initiativbefürwortenden und mit ausschliessenden Statements, die so verstanden werden konnten: Nur, wer für Kovi ist, ist ein guter Christenmensch. Das geht einfach nicht.
Was halten Sie von der neuen Kovi, die vor einem Monat eingereicht wurde?
Wenn es um die Einhaltung der Menschenrechte geht und um die Bewahrung der Schöpfung, ist es nicht so schwierig, sich zu überlegen, welche Position ich als Christoph Herrmann habe. Als Kirchenratspräsident einer Landeskirche habe ich eine gewisse Verantwortung für die Kirche als Gesamtes. Äussere ich mich zu einem Thema, ist es immer der Kirchenratspräsident. Deshalb bin ich sehr vorsichtig damit, meine persönliche Meinung kundzutun.
Würde die Reformierte Kirche Baselland klar und deutlich in der Öffentlichkeit Stellung beziehen, würde man sie besser wahrnehmen. Stattdessen pflegt sie die gut schweizerische Konsenskultur. Finden Sie das gut?
Als Kirchenratspräsident hat man sehr oft eine Moderationsaufgabe zu Themen und Haltungen. Die Reformierte Kirche Baselland ist ein viel zu grosses Konstrukt, als dass sie sich unisono äussern könnte. Manchmal muss der Präsident jedoch klar Stellung beziehen, da gibt es keinen Kompromiss.
Zum Beispiel, als 2022 das kantonale Sozialhilfegesetz verschärft werden sollte. Die Landeskirchen sprachen sich dagegen aus.
Man wollte die Sozialhilfebezüge herunterfahren und an gewisse Leistungen koppeln. Da sagten wir in der Vernehmlassung deutlich und klar, es geht um finanzielle Hilfe für ein Existenzminimum in unserer Gesellschaft; das haben alle zugute, weil sie Menschen sind, einfach so. Bei solchen Geschäften haben wir als Landeskirche eine korrigierende, kritische Funktion. Wir begleiten ganz einfach gesellschaftliche Entwicklungen und äussern uns dazu.
Sie haben die neue Verfassung eingeführt und die diakonische Arbeit nachhaltig gestärkt, zum Beispiel mit der Gründung der Fachstelle Diakonie, welche die Freiwilligenarbeit in der Kirche und die Seelsorge im Alter unterstützt und fördert.
Es gibt Leute, die sind dement – ein schreckliches Wort! Es macht vielen Angst, wenn sie ihre Angehörigen so sehen. Unser Auftrag als Kirche ist es, anderen zu Mitmenschen zu werden. Bei ihnen sitzen und, wenn es geht, uns mit ihnen in ihre Welt begeben und mit ihnen in ihrer Welt unterwegs sein. Mit Demenz wollen wir nichts zu tun haben. Aber wir sollten diese Erstreaktion überwinden, uns neben die betroffenen Menschen setzen und fragen, ob wir mit ihr unterwegs sein dürfen. Es geht darum, den Menschen mit dem Leben, das er gelebt hat, zu würdigen und in dem Zustand, in dem er oder sie jetzt ist. Das lässt sich nicht als Checkliste abhaken.
Was meinen Sie, wenn Sie sagen «zutiefst menschlich ist zutiefst christlich»?
Als Kirche haben wir drei zentrale Aufgaben der guten Botschaft, für die wir einstehen: die Wertevermittlung, die Integration und das Ermöglichen von Gemeinschaft. Diese sind miteinander verbunden. Wir stehen auf der Seite jener und stehen zu denen, zu denen man nicht so einfach hin steht. Und wir vermitteln Werte und stehen für diese ein. So gesehen haben wir auch einen kritischen Auftrag gegenüber dem Gemeinwesen, wobei wir ein Teil sind vom Ganzen. Wir haben so etwas wie das Wächteramt in der Gesellschaft.
Auch wenn die Kirche mit gutem Beispiel vorangeht, «menschelet» es manchmal gehörig. Wie gehen Sie damit um?
Bei schwierigen Entwicklungen oder dem Gefühl, besser als die anderen zu sein – da wünschte ich mir eine hohe Reflexionsfähigkeit, damit man dies frühzeitig erkennt und anspricht. Es gibt in unseren Reihen ein aus meiner Sicht gefährliches Harmoniebedürfnis, bei dem man die schwierigen Dinge nicht anspricht und auf die lange Bank schiebt. Das empfinde ich als etwas hoch Problematisches, und da wünschte ich mir, dass es immer wieder Leute gibt, die mutig sind und das ansprechen, was schwierig ist und worüber man diskutieren muss.
Die Goldene Regel für den guten Umgang miteinander steht in der Bergpredigt. Aber sie werden trotzdem seit Menschengedenken gebrochen, auch in der Kirche.
Jesus sagt, du solltest die Leute so behandeln, wie du auch selbst behandelt werden willst. Die Indianer sagen: Du musst eine Zeit lang in den Mokassins der anderen herumlaufen, um sie zu verstehen und, um dich selbst wiederzufinden.
Sie sind ein humorvoller Mensch. Hat Ihnen das in der Rolle als Kirchenratspräsident geholfen?
Es geht nicht ohne. Es gibt ja den alten Witz: Hat Gott Humor? Und die Antwort lautet: Wer den Menschen geschaffen hat, braucht Humor. Wie in anderen Funktionärsaufgaben auch gibt es zum Beispiel manchmal furchtbar langweilige Sitzungen, bei denen man sich fragt: «Wie überlebe ich das nur?» Wer die Sitzung jedoch als poetisches Kabarett wahrnimmt, für den oder die bekommt sie plötzlich eine ganz andere Qualität; dann kann das erheiternd, ja, sogar recht lustig sein. Immer kann man das natürlich nicht machen. Humor ist eine Hilfestellung, um bei langweiligen Dingen, die es braucht, einigermassen frisch herauszukommen. Ich hoffe, dass meine Art von Humor nie zulasten von anderen geht, denn das wäre schrecklich. Der Humor relativiert gewisse Dinge und nimmt den Druck. Das Leben ist viel zu kurz, um alles ernst zu nehmen.
Sie wurden Kirchenratspräsident – und dann kam die Corona-Pandemie. Was haben Sie aus dieser Zeit gelernt?
(Denkt lange nach.) Ich habe daraus gelernt, dass, so bedrohlich eine Krise auch sein mag, die Sozialkontakte gerade auch für die Schwächsten oder für Menschen in besonders verletzlichen Situationen unbedingt beibehalten werden müssen, sei es in noch so kleinem Masse. Es hat Situationen gegeben, bei denen wir in den Altersheimen keine Seelsorge machen konnten und die Angehörigen draussen bleiben mussten. Das war ein extrem schwieriger Moment, in dem man auch realisiert hat, dass das totale Kontaktverbot kontraproduktiv ist. Zu Beginn der Pandemie wurde bei Beerdigungen die Anzahl der Teilnehmenden stark reduziert. Es sind Einschränkungen passiert, die aus dem Moment heraus zwar verständlich waren, aber im Nachhinein … Heute würde ich sagen, es braucht in Krisenzeiten mehr Grosszügigkeit im Blick auf die vulnerablen Menschen und auf jene, die es ohnehin schon schwierig haben.
Überdurchschnittlich viele Menschen sind während der Pandemie gestorben. Was geht Ihnen dazu durch den Kopf?
Alle Menschen sind sterblich, und es gehört zu uns, dass wir sterben. Während der Corona-Zeit ist deutlich geworden, dass wir das nicht auf dem Schirm haben, sondern verbannen. Wir als Kirche dürfen die Menschen immer wieder daran erinnern, dass das so ist: Wir sind endlich und sterblich, und der Tod würdigt im Grunde genommen dein Leben, das begrenzt ist. Was in der eigenen Lebenszeit passiert, hat eine hohe Qualität, unabhängig davon, ob du berühmt bist oder nicht. Sondern jede und jeder meistert ihr Leben, sein Leben, und am Schluss würdigt der Tod das Leben. Das ist letztlich etwas Positives, das ich aus dieser schwierigen Zeit mitnehme.
Sie sind ein Familienmensch und haben Grosskinder. Was geben Sie jungen Menschen mit auf den Weg?
Sie sollen selber denken. Nichts nachplappern, nichts einfach mitschreien, sich nicht einschüchtern lassen und nicht das denken, von dem man meint, man sollte und müsste es denken und bei dem man das Gefühl hat, das werde von einem erwartet. Selber denken heisst auch, das, was mir begegnet, gedanklich durchzukauen und sich dafür Zeit zu nehmen. Und selber denken heisst, nicht nur an sich selbst, sondern über sich hinaus denken.»
Anna Wegelin ist Leiterin Kommunikation bei der Evangelisch-reformierten Kirche des Kantons Basel-Landschaft.
Zur Person
awe. Christoph Herrmann (61) war während 30 Jahren Gemeindepfarrer und während 11 Jahren im Kirchenrat der Reformierten Kirche Baselland, davon die letzten 5,5 Jahre als Präsident. 1964 in Nürnberg geboren und aufgewachsen in Riehen, studierte er Theologie an der Universität Basel. 1990 wurde er zum Pfarrer ordiniert. Er war zuerst 15 Jahre Pfarrer in Reinach (1990 bis 2005) und danach 15 Jahre Pfarrer in der Reformierten Kirchgemeinde Oberwil-Therwil-Ettingen (2005 bis 2020). Während vieler Jahre engagierte er sich bei gesamtkirchlichen Aufgaben in der Baselbieter Kantonalkirche. Von 2007 bis 2013 war er als Kirchenrat zuständig für «Weltweite Kirche und Ökumene». Seit dem 1. Januar 2020 ist er Kirchenratspräsident, Ende dieses Monats tritt er zurück. Er wird weiterhin im Bildungsrat Baselland mitwirken, der die Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion und den Regierungsrat in Fragen des Bildungswesens berät.