Leben am Sonnenhang mit grossartiger Aussicht
13.06.2024 RamlinsburgDie Heimatkunde beleuchtet das Dorfleben früher und heute
wandelte sich nach dem 2. Weltkrieg und dem Niedergang der Posamenterei vom Bauern- zum Pendlerdorf. Die neue Heimatkunde zeichnet diese Entwicklung nach – und bietet auch sonst tiefe Einblicke.
Michael ...
Die Heimatkunde beleuchtet das Dorfleben früher und heute
wandelte sich nach dem 2. Weltkrieg und dem Niedergang der Posamenterei vom Bauern- zum Pendlerdorf. Die neue Heimatkunde zeichnet diese Entwicklung nach – und bietet auch sonst tiefe Einblicke.
Michael Rockenbach
Ramlinsburg, das war früher eine Welt für sich. Eine Welt der Chrampferinnen und Chrampfer, die ihre Felder und Äcker bestellten, sich um das Vieh kümmerten, Restaurants führten, dazu noch ein Lädeli und Bändeli woben für die Damen und Herren in der Stadt, der anderen Welt. Sie machten vieles, um sich und ihre Familien so gut wie möglich über Wasser zu halten, einiges eher so nebenbei.
Nach dem 2. Weltkrieg ging mit den vielen Webstühlen, die ausgedient hatten, auch ein wichtiger Teil der Lebensgrundlage verloren. Etliche Ramlinsburgerinnen und Ramlinsburger suchten ihr Glück lieber anderswo und so sank die Bevölkerungszahl um rund die Hälfte. Mit der einsetzenden Hochkonjunktur und dem Aufkommen der Mobilität nach 1945 sollte sich das grundlegend ändern. Ramlinsburg war nun nicht länger eine Welt für sich, sondern wurde vom Bauern- zum Pendlerdorf. Die Zugezogenen waren «Lehrer, Doktoren, Chemiker, Staatsbeamte – auf jeden Fall Wohlhabende», wie die «Volksstimme» einst schrieb. Gut Gebildete und gut Verdienende, die sich an dem Sonnenhang mit der grossartigen Aussicht ein Eigenheim leisten konnten. Und von ihnen gab es einige. So stiegen die Einwohnerzahlen wieder auf rund 750 – und die finanziellen Sorgen wurden kleiner und kleiner.
Finanziell steht die Gemeinde heute gut da. Kämpfen muss sie aber dafür, dass das Dorfleben weitergeht und sie nicht zur Schlafgemeinde wird. All diese Entwicklungen aus der jüngeren Geschichte wie auch aus früheren Jahrhunderten werden in der neuen Heimatkunde lebendig nachgezeichnet. Eine schöne – aber auch etwas traurige – Geschichte ist dabei jene des alten Dorfladens, der zuging, in neuer Form aber weiter besteht.
Hier der entsprechende Ausschnitt aus der Heimatkunde:
Die Schweiz ohne sie – kaum vorstellbar. Denn sie sind so nah, haben scheinbar alles und Personal, das für jede und jeden ein offenes Ohr hat.
Die Dorflädeli sind das «soziale Herz der Schweiz», wie die «Neue Zürcher Zeitung» feststellt. Eine Institution, ein Stück Heimat.
Aber leider – ein bedrohtes Stück Heimat. «Lang lebe das Lädeli», titelt darum das Magazin «Schweizer Familie» in einem fast schon beschwörenden Ton.
Schlechtere Zeiten …
Das Problem ist, dass sich die Schweizerinnen und Schweizer bei ihren Einkäufen nur bedingt vom Herz leiten lassen. Mindestens so wichtig ist ihnen das Portemonnaie. Und so funktioniert das Spiel von Angebot und Nachfrage auch in diesem Bereich – und es läuft gegen die Lädeli. Infolge der sinkenden Nachfrage haben in der Schweiz zwischen 2000 und 2020 rund die Hälfte der Dorfläden aufgegeben.
… und die besseren Jahre
Emmis Lädeli in Ramlinsburg hat diese schwierige Zeit auch erlebt – vorher aber auch noch viele, viele gute Jahre. Gegründet wurde die Ramschberger Institution in den 1880er-Jahren, als die Menschen im Dorf noch ihren Lebensmittelpunkt hatten und auch dort einkauften, beim Bäcker, Metzger oder eben in dem Lädeli. Danach haben vier Generationen der Bauernfamilie Schaub den Betrieb im Erdgeschoss des eigenen Hauses an bester Lage ganz vorne an der Eggstrasse gegenüber dem Schulhaus geführt. Die letzte Lädeli-Generation waren die drei Schwestern Emmi und Elsi Schaub und Olga Walter.
Ramlinsburg ohne das Trio und den Laden schien unvorstellbar, bis kurz vor Weihnachten 1993 die traurige Botschaft verkündet wurde. «Nach 100 erfüllten Krämerjahren, auf die unser Geschäft zurückblicken darf, erlauben wir uns, am Freitag, 31. Dezember 1993, den Laden ein letztes Mal offen zu halten», teilten die Schaub-Schwestern mit.
«Wir sind in grosser Sorge», schrieb der Frauenverein danach in einem Aufruf, mit dem mögliche Nachfolgerinnen und Nachfolger und ein neues Lokal gesucht wurden: «Irgendwie muss es doch weitergehen!»
Die Suche gestaltete sich aber schwierig. Den Grund dafür kannte Olga Walter nur allzu gut. «Die meisten Leute arbeiten heutzutage auswärts und kaufen auf dem Nachhauseweg im Einkaufszentrum ein und seit ein paar Jahren kommt zwei Mal pro Woche auch noch ein Migroswagen ins Dorf», sagte sie vor der Schliessung in einem Gespräch mit der «Basler Zeitung». Ihr Laden hätte zuletzt weniger Profit abgeworfen als eine Verkäuferin oder ein Verkäufer bei der Migros oder beim Coop verdienten. Überleben konnte das Geschäft nur so lange, weil sich die drei Schwestern keinen Lohn auszahlten und auch keine Miete verrechneten für das Ladenlokal, das bis heute der Familie gehört.
Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten waren aber nicht der Grund für den Rückzug. «Wir sind einfach zu alt», sagte die damals knapp 80-jährige Olga Walter der «Basellandschaftlichen Zeitung», die es sich ebenfalls nicht nehmen liess, den drei so aussergewöhnlichen Schwestern in den letzten Monaten ihres Geschäftslebens ein Portrait zu widmen. Ihre Schwester Emmi Schaub, damals 88, hatte schon früher aufgehört. «Weil es mit dem Rechnen etwas haperte», wie sie verriet.
Die Idee lebt weiter
«Das Lädeli war das Leben der drei Schwestern», erzählen Olgas Sohn Toni und seine Frau Elisabeth Walter heute. Alle drei seien wichtige Integrationsfiguren im Dorf gewesen, ihr Laden ein Treffpunkt.
Tagsüber seien eher die Hausfrauen gekommen, gegen Abend die Männer auf ihrem Nachhauseweg von der Arbeit, erinnert sich Toni Walter: «Offen war der Laden eigentlich zwischen 6.00 und 19.00 Uhr. Wer nachher kam, ging aber halt einfach durch den Hintereingang rein und Emmi kam vom Wohnbereich rüber.» Ähnlich unkompliziert wurden auch Zahlungsprobleme gelöst: «Wer kein Geld hatte, konnte die Schulden anschreiben lassen. Emmi notierte die Summe – und manchmal hatte es sich damit dann auch.»
Die wirtschaftlich besten Jahre erlebte das Lädeli wohl während des 2. Weltkriegs (1939-1945), als im Dorf eine Kompanie stationiert war – und alle Soldaten und Offiziere im Lädeli einkauften. Und auch in der Nachkriegszeit hatte das Lokal eine ganz besondere Funktion, als dort einer der allerersten und einzigen Telefonapparate weit und breit stand. «Diesen Anschluss nutzen alle im Dorf», erzählt Toni Walter, der als Bub oft die Rolle des Boten übernommen und die Ramlinsburgerinnen und Ramlinsburger darüber informiert hatte, wenn es wieder eine wichtige Neuigkeit gab oder jemand zurückrufen sollte.
Es sind längst vergangene Zeiten. Die Idee aber, die lebt weiter – bis heute, nachdem es nach längeren Versuchen doch noch gelungen ist, den Dorfladen in Ramlinsburg wieder aufleben zu lassen – zuerst dank einer Genossenschaft, heute mit Unterstützung der Gemeinde.
Aber das wiederum ist eine andere Geschichte – nachzulesen in der neuen Heimatkunde.