Kommen nun alle Beschlüsse an die Urne?
10.10.2025 OberdorfVorlagen sollen von Gemeindeversammlungen dem Stimmvolk vorgelegt werden können
In Oberdorf soll künftig ein Drittel der Anwesenden verlangen können, dass Gemeindeversammlungsbeschlüsse direkt an die Urne kommen. Der Gemeinderat unterstützt den Vorschlag, obwohl ...
Vorlagen sollen von Gemeindeversammlungen dem Stimmvolk vorgelegt werden können
In Oberdorf soll künftig ein Drittel der Anwesenden verlangen können, dass Gemeindeversammlungsbeschlüsse direkt an die Urne kommen. Der Gemeinderat unterstützt den Vorschlag, obwohl damit die Gemeindeversammlung weitestgehend zur Informationsveranstaltung degradiert würde.
Nikolaos Schär
Oberdorf könnte an der nächsten Gemeindeversammlung vom kommenden Mittwoch ein Wagnis mit ungewissem Ausgang eingehen: Ein Einwohner fordert per selbstständigen Antrag, dass künftig ein Drittel der anwesenden Stimmberechtigten an einer Gemeindeversammlung beschliessen kann, dass die Schlussabstimmung über eine Vorlage an die Urne verlegt werden muss. Wird damit fast jede Vorlage, die dem fakultativen Referendum untersteht, also bald vors Volk kommen? Und wird die Gemeindeversammlung dadurch zur reinen Informationsveranstaltung degradiert?
Der Gemeinderat wertet in seiner Stellungnahme das neue Instrument als Stärkung der direkten Demokratie und empfiehlt dessen Annahme. Zwar wäre für den Beschluss, die Geschäfte an die Urne zu bringen, die Gemeindeversammlung immer noch nötig, aber an Urnenabstimmungen beteiligen sich erfahrungsgemäss mehr Stimmbürgerinnen und -bürger, so die implizite Hoffnung der Oberdörfer Exekutive.
Allerdings verweist der Gemeinderat auf die Gefahr eines inflationären Gebrauchs, indem das neue Instrument bei nahezu jedem Geschäft angewendet werden könnte – mit entsprechendem Mehraufwand. Dennoch spricht sich der Gemeinderat dafür aus: Er vertraut darauf, dass die Stimmberechtigten das Instrument nur bei «Anträgen von grosser Tragweite» einsetzen. Diese Annahme könnte sich allerdings als trügerisch erweisen.
Im laufenden Jahr verlor der Gemeinderat aufgrund der angespannten Finanzlage der Gemeinde mehrere Abstimmungen, nachdem gegen seine Vorlagen Referenden ergriffen worden waren. So etwa bei der Erneuerung des Kunstrasens des FC Oberdorf: Obwohl die Gemeindeversammlung die Investition befürwortete, lehnte eine Mehrheit an der Urne die Ausgaben von mehr als einer halben Million Franken ab. Ähnlich erging es der Vorlage zur Erneuerung der Trinkwasserversorgung z’Hof, die gemeinsam mit Niederdorf geplant war. Der hohe Kredit von mehr als 4,4 Millionen Franken dürfte als einer der Hauptgründe für die Ablehnung gegolten haben.
Den selbstständigen Antrag (Urnenabstimmung bei Gemeindeversammlungsvorlagen) reichte Christoph Schneider ein, der sich in einem Leserbrief in der «Volksstimme» bereits kritisch gegen den Kunstrasenkredit geäussert hatte. Er kritisierte den Gemeinderat für die hohe Investition, trotz eines «massiven Budgetdefizits» und befürchtete Zustände wie in Waldenburg, wo der Kanton aufgrund des Bilanzfehlbetrags die Gemeinde dazu zwang, entweder das Schwimmbad zu schliessen oder die Steuern zu erhöhen.
Aufgrund der schlechten Finanzlage mobilisieren Vorlagen mit hohen Investitionen die Oberdörfer Stimmbevölkerung stark. Da an der «Gmäini» meist nur rund 50 Stimmberechtigte erscheinen, könnte künftig eine kleine Gruppe jede Vorlage an die Urne bringen – ohne dass die Versammlung selbst noch entscheidet. Das sieht Paragraf 67a des Gemeindegesetzes so vor. Die Gemeindeversammlung würde so vom zentralen Entscheidungsgremium auf kommunaler Ebene in manchen Fällen zu einer blossen Infoveranstaltung degradiert, bestätigt auch Gemeindepräsident Piero Grumelli («Mitte»).
Instrument ist keine Premiere
Aus diesem Grund habe es auch im Gemeinderat intensive Diskussionen gegeben, ob man das Anliegen unterstützen solle, sagt Grumelli. Bei regem Gebrauch entstünde ein erheblicher Mehraufwand, da für jedes Geschäft Abstimmungsunterlagen erstellt werden müssten – einschliesslich einer Zusammenfassung der Versammlungsdebatte für jene, die nicht anwesend waren. Zwar würde die briefliche Stimmabgabe die Partizipation erleichtern, doch die aktive Teilnahme an der direkten Demokratie – der persönliche Gang an die Versammlung – würde an Wert verlieren.
Die Finanz- und Kirchendirektion schreibt auf Anfrage, dass es bereits Gemeinden im Kanton gebe, die das Instrument in ihre Gemeindeordnungen aufgenommen haben. Seit der Einführung des Paragrafen 67a im Gemeindegesetz von 2012 besteht diese Möglichkeit. Sollte sich die Oberdörfer Gemeindeversammlung für den Antrag entscheiden, kommt es zu einer Urnenabstimmung, da eine Änderung der Gemeindeordnung dem obligatorischen Referendum unterliegt.
Ohnehin sind die Hürden für Referenden bei Gemeinderatsbeschlüssen niedrig: 10 Prozent der Stimmberechtigten genügen, um ein Referendum zu erzwingen. Zwar sind nicht alle Beschlüsse referendumsfähig – etwa Budget, Steuerfuss oder Jahresrechnung –, doch grundsätzlich können alle übrigen Gemeindeversammlungsbeschlüsse, die dem fakultativen Referendum unterliegen, an die Urne gebracht werden.
Eine weitere Schwierigkeit wäre – bei einer Annahme des Antrags – die drohende Blockade von Geschäften. Urnengänge könnten Entscheide deutlich verzögern. «Diese Befürchtungen haben wir auch», sagt Grumelli. «Deshalb ist die Zustimmung ein mutiger Entscheid», folgert der Gemeindepräsident. Nur wenn die Stimmberechtigten das Instrument tatsächlich bei grossen Vorlagen einsetzen, könne dank einer breiteren Beteiligung die Akzeptanz politischer Entscheide gestärkt werden – ohne dass das System gelähmt wird. Dann wäre die Änderung ein Gewinn für die direkte Demokratie. Grumelli zeigt sich überzeugt, dass der Antrag an der Gemeindeversammlung für Diskussionen sorgen wird, und betont: «Wir geben der Einwohnerschaft einen grossen Vertrauensvorschuss.» Ob sich dieser Vorschuss wirklich einlösen lässt, ist jedoch alles andere als gesichert und könnte sich als Hypothek entpuppen.
Vollgepackte Traktandenliste
nsc. Das Grundstück mit dem alten Kindergarten am Talweg (im Besitz der Gemeinde) soll verkauft werden. Nach dem abschlägigen Entscheid der Gemeindeversammlung im Juni setzt der Gemeinderat das Geschäft erneut auf die Traktandenliste. Inzwischen will «Johnson & Johnson» (Synthes) das angrenzende Grundstück verkaufen. Der Gemeinderat will den Verkauf der Gemeindeparzelle daher nochmals prüfen lassen. Mit einer künftigen Überbauung könnten sich «städtebauliche Chancen» ergeben – etwa ein Quartierplan über das ganze Areal bis zum Milcherweg. Verkauft werden soll im Bieterverfahren, der Startpreis liegt bei 500 Franken pro Quadratmeter. Wegen steigender Kosten der kantonalen Kläranlagen und höherer Energiepreise schreibt die Oberdörfer Spezialfinanzierung Abwasser Defizite und ihr droht das Geld auszugehen. Der Gemeinderat beantragt eine massive Erhöhung der Abwassergebühr von 0.50 auf 2.60 Franken pro Kubikmeter ab 2026. Damit sollen die Überschuldung der Abwasserkasse und damit die Verletzung des Kostendeckungsprinzips verhindert werden. Die erst 2024 geschaffene 30 Prozent-Stelle im Schulsozialdienst soll auf 50 Prozent erhöht werden. Laut Gemeinderat übersteigt der tatsächliche Bedarf das bisherige Pensum deutlich; die Aufstockung sei «keine Luxuslösung», sondern notwendig, um Konflikte präventiv bearbeiten zu können.
