Klang, Käse und der schönste Beruf der Welt
04.09.2025 SissachOboistin Julia Rechsteiner jongliert Jobs wie Bälle
Ob als Kulturvermittlerin, Musikerin oder Festival-Geschäftsführerin: Julia Rechsteiner aus Sissach liebt die Freiheit, die das Arbeiten in der Kulturbranche ermöglicht. Die Alte Musik – das Spielen mit ...
Oboistin Julia Rechsteiner jongliert Jobs wie Bälle
Ob als Kulturvermittlerin, Musikerin oder Festival-Geschäftsführerin: Julia Rechsteiner aus Sissach liebt die Freiheit, die das Arbeiten in der Kulturbranche ermöglicht. Die Alte Musik – das Spielen mit historischen Instrumenten – sei eine Nische, die stetig wachse.
Nikolaos Schär
Wenn Julia Rechsteiner erzählt, springt sie zwischen Jahrhunderten, Konzertformaten und Büroarbeit wie andere zwischen Themen beim Apéro-Smalltalk. Die 28-jährige Musikerin aus Sissach ist Oboistin, Festival-Geschäftsführerin, Kulturvermittlerin, Käseverkäuferin – und stets auf der Suche nach neuen Wegen, Alte Musik und klassische Formate ins Hier und Jetzt zu holen.
Ein grösseres Publikum bekam sie unter anderem am gut besuchten Klassikkonzert beim Schulhaus Bützenen anlässlich der Festivitäten «Sissach2025» zu Gesicht – als sie mit ihrer Oboe Filmmusik von Ennio Morricone spielte (die «Volksstimme» berichtete). Noch aktiver als auf der Bühne ist sie jedoch als Organisatorin im Hintergrund. Mit dem Verein Flutlicht, den Rechsteiner mitgegründet hat, veranstaltete sie bereits diverse Konzertformate im Kulturhaus «Cheesmeyer» oder in Zusammenarbeit mit Kitty Schaertlin für die «Kulturwochen Ebenrain Sissach».
Für das Jubiläumsjahr entwickelte sie in Zusammenarbeit mit der Kulturkommission «Sissach2025» die Konzertreihe MOG – Musik Ohren Gaumen, die im kleinen Rahmen Kulinarik und Kammermusik zusammenbringt. Kein Beethoven, kein Bach – stattdessen Werke, die selbst Klassikliebhabern nicht so geläufig sind. Die Atmosphäre ist bewusst locker: Musik zwischen Weingläsern, Häppchen und kurzen Moderationen, die das Publikum ohne Fachjargon in die Stücke einführt. «Genuss steht im Vordergrund», sagt Rechsteiner zu diesem speziellen Format.
Ihr Gespür für ungewöhnliche Formate hat auch in Basel, wo Rechsteiner studierte, Spuren hinterlassen: Dort organisiert sie Käse-Degustationskonzerte in Zusammenarbeit mit dem traditionsreichen Käseladen «Wirth’s Huus», für den sie auch als Verkäuferin arbeitet. «Während des Studiums bin ich immer wieder am Käseladen vorbeigefahren. Irgendwann im Studiumsstress habe ich einfach eine E-Mail geschrieben und nach einem Job gefragt», erzählt sie. Seitdem sponsert ihr Arbeitgeber das Käse-Konzert-Format. «In einem gesättigten Kulturangebot brauchst du solche Ideen», so Rechsteiner.
Eine Nische in der Nische
Vor ihrem Masterstudium in Basel an der «Schola Cantorum Basiliensis» übernahm sie die Geschäftsführung des Festivals Alte Musik Zürich, das international renommierte Ensembles nach Zürich holt. «Plötzlich musste ich wissen, was eine Quellensteuer ist», erzählt sie und lacht. Heute jongliert sie Budgets, Verträge und Spielpläne – und spielt nebenbei in diversen Ensembles.
Rechsteiners Spezialität ist die historische Aufführungspraxis: Musik auf Instrumenten, wie sie zu Zeiten des Barocks gebaut wurden. Diese Instrumente klingen anders, sind anders aufgebaut – und verlangen von den Musikerinnen nicht nur handwerkliches Können, sondern auch historische Recherche. «Man muss wissen, wie Komponisten gearbeitet haben, wie ein Instrument damals gespielt wurde und den historischen Kontext der Partitur kennen», so Rechsteiner. Die Alte Musik sei eine Nische, die stets wachse.
Das Feld der Alten Musik ist, nach der Meinung Rechsteiners, offener und weniger hierarchisch als die Welt der modernen Sinfonieorchester. Der internationale Wettkampf um die wenigen begehrten Plätze in einem modernen Orchester sei ein hartes Pflaster, sagt Rechsteiner, die damals mitten im Masterstudium in die Alte Musik wechselte: «Der Markt ist übersättigt, es werden zu viele Musikerinnen und Musiker ausgebildet und viele Freischaffende leben am Existenzminimum.» Für Rechsteiner heisst das: unterrichten, auftreten, organisieren und Teilzeitanstellungen annehmen.
Der Kalender der jungen Sissacherin ist voll: Proben, Festivalsitzungen, Unterricht, Konzertmoderationen, Reisen zwischen Basel, Zürich und Luzern. In Basel leitet sie beim Verein «Musicaperfiati», der Amateurmusikern das Spielen auf alten Instrumenten ermöglicht, ein Bläser-Sextett. Dass sie nicht nur als Musikerin, sondern auch als Projektleiterin gefragt ist, hat mit ihrer Vielseitigkeit zu tun. «Wenn du ein Festival organisieren kannst, trauen dir die Leute auch andere Projekte zu», sagt Rechsteiner. Als Musikvermittlerin moderierte sie zum Beispiel eine Veranstaltung mit nicht weniger als 700 Schulkindern im Kultur- und Kongresszentrum (KKL) in Luzern mit dem Nachwuchsorchester des Zentralschweizer Jugendorchesters und galoppierte mit einem Steckenpferd für den zukünftigen Nachwuchs über die Bühne.
Absicherung für die Zukunft
Ihre Haltung zu klassischer Musik ist pragmatisch und unprätentiös. Julia Rechsteiner will Neugier und Freude wecken. «Es muss nicht jeder die Partitur studieren oder den Komponisten kennen. Wenn jemand rausgeht und sagt: ‹Das war schön, gerne wieder› – dann ist es gelungen.»
Dass sie ihre Freiheit hochhält, hat auch mit der Kehrseite des Musikerlebens zu tun: unsichere Einnahmen, fehlende soziale Absicherung, körperliche Belastung. «Ich kann das machen, weil ich gesund bin. Aber man muss wissen, dass dieser Lebensstil nicht für immer funktioniert», so die Oberbaselbieterin. Als Absicherung macht sie eine Weiterbildung am «KV Pro» in Rechnungswesen – ihr «Back-up ab 40», wie sie sagt.
Bis dahin wandelt Rechsteiner zwischen Konzertsaal mit tanzenden Kindern, Proben mit Amateurmusikern und Käsehobel hin und her und geniesst dabei die Vielseitigkeit. Trotz ihres Fokus, sich für das Alter abzusichern, könnte sie nie «nur» einen Bürojob machen.
«Der schönste Beruf der Welt ist es, Musikerin sein zu dürfen. Meine anderen Jobs sind natürlich alle auch cool, weil sie in irgendeiner Form Musik auf die Bühne bringen», sagt Julia Rechsteiner. Aber die grösste Freiheit empfindet die Sissacherin, wenn sie ihre Oboe in die Hand nimmt, und einfach spielt.