Kenya und Kyjiw
22.08.2025 PolizeiIrgendwann einmal im Verlauf von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine haben der «Tages-Anzeiger» und damit die ihm angegliederte «Basler Zeitung» beschlossen, die ukrainische Hauptstadt künftig nicht mehr Kiew, sondern Kyjiw zu schreiben. Aus Selenski wurde neu Selenskyj. ...
Irgendwann einmal im Verlauf von Putins Angriffskrieg auf die Ukraine haben der «Tages-Anzeiger» und damit die ihm angegliederte «Basler Zeitung» beschlossen, die ukrainische Hauptstadt künftig nicht mehr Kiew, sondern Kyjiw zu schreiben. Aus Selenski wurde neu Selenskyj. Kyjiw beruhe auf der ukrainischen Transkription, Kiew hingegen auf der russischen. Das Schweizer Fernsehen, die «NZZ» und die Titel von CH-Media hingegen halten an der vertrauten Schreibweise fest.
Vermutlich gewichten sie die Verständlichkeit höher als die politische Botschaft, die sich hinter der komplizierteren Schreibweise verbirgt. Da hilft uns nur eine Eselsbrücke. Nämlich: Alle drei Buchstaben, die unser Alphabet für den Laut «i» bereithält, müssen wir aneinanderreihen, aber in umgekehrter Reihenfolge: y-j-i.
Ähnliches gilt für den englischen Sprachraum, in dem aus «Kiev» nach Putins Angriffskrieg «Kyiv» wurde. Das führte kürzlich in der «Basler Zeitung» dazu, dass eine Reporterin aus Kyjiw einen Artikel über die englische Nachrichtenplattform «Kyiv Independent» verfasste und die beiden ungewohnten Schreibweisen Seite an Seite auftauchten. Als der «Tages-Anzeiger» auf die neue Schreibweise umstellte, war sogar in seiner renommierten «Sonntagszeitung» mehrfach zu beobachten, dass sich Alt und Jung fröhlich mischten.
Eigen- und Städtenamen aus Ländern, in denen nicht mit lateinischen Buchstaben geschrieben wird, übersetzen wir ohnehin nur nach Gehör, und es setzt sich jeweils eine Schreibweise durch. Oder aber sie ändert sich: So mutiert Peking immer mehr zu Beijing, also zu einem weiteren «i»-Albtraum. Mao Tse-tung heisst Mao Zedong. Dabei passt sich das Schriftbild dem Klang der jeweiligen Landessprache an. Putin hätte jedenfalls wenig Freude, wenn ihn die Franzosen statt «Poutine» wie wir «Putin» schreiben würden und damit fast gleich wie «putain», die französische Hure.
Seine friedfertigeren Landsleute im Eishockey, etwa Andrej Chomutow, erhalten auf Schweizer Eis ein «W» am Schluss, in den USA hingegen wird er Khomutov geschrieben. Ein anderes Beispiel aus dem Sport: Wenn in der «NZZ» wie in ihrer jüngsten Sonntagsausgabe von Kenya geschrieben wird, unterstreicht die Zeitung ihren Weltblatt-Status. Denn so wird Kenia im englischen, nicht aber im deutschen Sprachraum geschrieben.
Ob Kyjiv, Kenya, Libyen oder Xi Jingping, Putins Bruder im Geist: Wo setzen wir, wenn wir aus einer fremden Schrift ins Deutsche übersetzen, welches «i»? Diese Frage stellt sich nicht nur, wenn wir aus dem kyrillischen Alphabet übersetzen. Oder heisst es kiryllisch?
Jürg Gohl