Kein Zufall: in der Politik tonangebend
11.12.2025 SissachDas ist Sissach (50. Teil) | Eine Ausnahmestellung in der nationalen und der kantonalen Politik
Obwohl der Sissacherin Sabine Bucher der Einzug in die Baselbieter Regierung verwehrt geblieben ist, muss das Oberbaselbiet nun nicht befürchten, ...
Das ist Sissach (50. Teil) | Eine Ausnahmestellung in der nationalen und der kantonalen Politik
Obwohl der Sissacherin Sabine Bucher der Einzug in die Baselbieter Regierung verwehrt geblieben ist, muss das Oberbaselbiet nun nicht befürchten, «marginalisiert» zu werden. Das Gegenteil trifft zu: Sissach ist aktuell in der Regierung und im Ständerat vertreten. Das hat seine Gründe.
Jürg Gohl
Die Sissacherin Sabine Bucher von den Grünliberalen hat im zweiten Wahlgang im Kampf um die Nachfolge von Regierungsrätin Monica Gschwind am 30. November gegen den Arlesheimer FDP-Gemeindepräsidenten Markus Eigenmann den Kürzeren gezogen. Damit musste Sissach auch die Hoffnung begraben, nach nur zehn Jahren Pause erneut mit gleich zwei Personen in der fünfköpfigen Kantonsregierung vertreten zu sein.
Natürlich bedeutet die Wahl einen Rückschritt auf dem Weg zur Gleichberechtigung von Frau und Mann, hat sich doch der Frauenanteil in der Regierung – mathematisch gesehen – gleich halbiert. Ein Aspekt, der vor den beiden Wahlgängen in verschieden Leserbriefen – oder an Podien sogar von Sabine Bucher selber – mehrfach geäussert worden ist, verfängt hingegen nicht. Spreche sich, so hiess es häufig, die Mehrheit des Stimmvolks für Markus Eigenmann als Nachfolger seiner Parteikollegin aus Hölstein aus, so drohe das Oberbaselbiet, in der Kantonsregierung plötzlich an den Rand gedrängt zu werden. Dieser Satz wurde sogar in einer Expertenrunde unmittelbar nach der Wahl wiederholt. Vor einer «Marginalisierung des Oberbaselbiets» wurde gesprochen. Dabei wäre bei einer Wahl von Sabine Bucher das pure Gegenteil eingetroffen: Der Bezirk Sissach und speziell sein Hauptort wäre in der Regierung gemessen an seinem Bevölkerungsanteil sogar massiv übervertreten. Denn würde sich diese – vergleichbar mit dem Nationalrat – proportional zur Wohnbevölkerung zusammensetzen (was sie selbstverständlich nicht tut), so könnte der Bezirk Sissach Anspruch auf 0,6 Regierungsräte erheben.
Bucher, Jermann, Liechti
Bei der zurückliegenden Ersatzwahl fehlte nicht viel, und die Frage, ob sich eher eine Frau vom Land oder ein Mann aus der Stadtnähe für die Nachfolge der Bildungsdirektorin eigne, hätte sich nie gestellt: Am Nominationsparteitag der FDP unterlag die Buusner Gemeindepräsidentin und Landrätin Nadine Jermann ihrem Parteifreund und Regierungsrat in spe Markus Eigenmann um dünne drei Stimmen.
Auch in der SVP-internen Ausmarchung setzte sich die Unterbaselbieterin Caroline Mall nur knapp gegen Matthias Liechti aus Rümlingen durch. Die kantonale Wahl vom 26. Oktober beziehungsweise die Nachwahl vom 30. November wäre folglich zur reinen Oberbaselbieter Angelegenheit geworden. Damit wäre bereits vor dem ersten Wahlgang festgestanden, dass der scheinbar so vernachlässigte Bezirk Sissach ab dem 1. Januar in der Regierung sogar doppelt vertreten ist.
Von 2013 bis 2015 stammten gleich drei der fünf Regierungsräte aus dem Oberbaselbiet: Zum zu früh verstorbenen Urs Wüthrich-Pelloli, der von 2003 bis 2015 regierte, stiess 2011 der immer noch amtierende Isaac Reber hinzu (wie Wüthrich in Sissach zu Hause), und zwei Jahre später gesellte sich SVP-Vertreter Thomas Weber aus Buus als Dritter im Bund zu ihnen. Das Oberbaselbiet besass also kurzzeitig sogar die absolute Mehrheit. Heute darf sich dafür Muttenz damit brüsten, mit Kathrin Schweizer (SP) und Thomy Jourdan (EVP) gleich doppelt in der Regierung vertreten zu sein.
Diese Konstellation mit den drei Oberbaselbieter Vertretern in der Kantonsexekutive ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Gemessen an den Bevölkerungszahlen lebt exakt ein Achtel im obersten Kantonsteil, also beschauliche 12,5 Prozent. Zudem stellte das Sissacher Duo Wüthrich/Reber nicht nur die links-grüne Fraktion in der bürgerlichen Regierung, sondern 2013 auch gemeinsam das Regierungspräsidium. «Sissach regiert den Kanton», titelte die «Volksstimme» in einem Anflug von Lokalpatriotismus am 28. Juni 2013 auf der Titelseite.
Gelterkinder Parteipräsidenten
Als Urs Wüthrich zur Regierung stiess, sass dort bereits Erich Straumann aus Wintersingen (heute in Gelterkinden zu Hause). Damit war der bevölkerungsmässig kleine Bezirk bereits damals für eine Amtsperiode gleich doppelt vertreten. Vor ihm sorgten seine SVP-Kollegen Paul Manz (Rothenfluh, 1967–1982) und Werner Spitteler (Bennwil, 1982–1994) mit ihren jeweils zwölf Amtsjahren dafür, dass das Oberbaselbiet seit 1967 ein-, zwei- oder sogar dreifach in der Regierung vertreten war, sieht man von der Zeit von 1994 bis 1999 ab.
Nicht aus Sissacher, aber aus Gelterkinder Optik ist eine andere Konstellation in der Politik höchst bemerkenswert: Dort waren von 2008 bis 2012 alle Präsidenten der drei grössten Baselbieter Parteien zu Hause: Michael Herrmann (FDP), Martin Rüegg (SP) und Dieter Spiess (SVP) – ebenso wie Martin Geiser, der ab 2017 die EVP leitete. Aktuell werden die SVP (Peter Riebli, Buckten), die Grünen (Michael Durrer, Lausen) und die Grünliberalen (Sabine Bucher, Sissach, und Thomas Tribelhorn, Rünenberg) aus dem Oberbaselbiet geleitet.
Ein ähnliches Bild ergibt sich beim Blick auf die Baselbieter Vertretung in Bundesbern. Wird dort zur Session gerufen, so besteigen aktuell die Sissacher Ständerätin Maya Graf (Grüne) sowie die Nationalratsmitglieder Daniela Schneeberger (Thürnen, FDP), Thomas de Courten (Rünenberg, SVP) und Florence Brenzikofer (Oltingen, Grüne) im Bezirkshauptort den Schnellzug. Eine fünfte, die SP-Co-Fraktionspräsidentin Samira Marti, ist in Ziefen aufgewachsen, und Sandra Sollberger (Liestal, SVP) lebte lange in Bubendorf, also ebenfalls oberhalb des Kantonshauptorts. Der Bezirk Arlesheim, wo fast 60 Prozent der Baselbieter Bevölkerung zu Hause sind, wird in Bern einzig von Elisabeth Schneider-Schneiter (Mitte) vertreten. Können so viele scheinbare Zufälligkeiten Zufall sein?
Zur früheren National- und heutigen Ständerätin Maya Graf muss noch nachgetragen werden, dass sie im Bundeshaus ihr 25. Jahr in Angriff nimmt. Zudem machte sie am 26. November 2012 Sissach zum Zentrum der politischen Schweiz, als sie am Morgen in Bern als erste Grüne souverän zur Nationalratspräsidentin gewählt wurde, was am Abend in der Sporthalle Tannenbrunn mit einem denkwürdigen Fest gefeiert wurde.
Wo bleibt das Laufental?
Wenn sich ein Kantonsteil vernachlässigt fühlen darf, dann trifft dies auf das Laufental zu. Seit der Bezirk am 1. Januar 1994, also vor über 30 Jahren, zum Baselbiet gestossen ist, war es noch nie in der Regierung vertreten. Immerhin politisierten Ruedi Imhof und Walter Jermann für die damalige CVP im Bundeshaus, wo sie unter anderem auf die beiden Oberbaselbieter SVP-Vertreter Caspar Baader (Gelterkinden) und Christian Miesch (Titterten) trafen.
Gegenpole bilden die beiden Bezirke hingegen bei der politischen Teilhabe. Gemessen an der Stimmund Wahlbeteiligung ist das politische Bewusstsein nirgends so ausgeprägt wie im oberen Kantonsteil. Das Laufental hingegen fällt im scheinbar so schön ausbalancierten Landkanton ab. Obwohl sich diese beiden Gegenden von der landschaftlichen Struktur, der wirtschaftlichen Ausprägung, den Gemeindegrössen und dem Verhältnis von Zuzügern und Alteingesessenen sehr ähnlich sind, legen sie an Abstimmungs- und Wahlsonntagen ein völlig gegensätzliches Verhalten an den Tag.
Der Blick auf die Statistik des Kantons zu den Nationalratswahlen 2023 weist für Oltingen die höchste Wahlbeteiligung aller 86 Gemeinden aus. Sie lag dort bei 67,1 Prozent. Dicht hinter Oltingen folgte damals Kilchberg (66,9 Prozent), und danach kommen mit etwas Abstand Seltisberg, Titterten, Anwil, Arboldswil, Wenslingen, Zeglingen und Ziefen. Das sind die Top Ten. Im gleichen Stil geht es aber weiter. Erst nach 20 Plätzen folgt die erste Gemeinde, die westlich oder unterhalb von Liestal liegt: Ettingen.
Zwingen abgeschlagen
Und das Laufental? Blauen schafft es als einsamer Primus auf Rang 25, knapp vor Gelterkinden übrigens. Am Schluss der Rangliste – abgeschlagen hinter Birsfelden (37,0 Prozent) und Pratteln (35,5 Prozent) liegt Zwingen. Mit einer Wahlbeteiligung von 31,9 Prozent kommt Zwingen nicht einmal auf die Hälfte von Kilchberg und Ormalingen. Bestätigt wird dieses Bild durch die Landratswahlen kurz zuvor im gleichen Jahr. Dort lagen die Wahlkreise Gelterkinden und Sissach vorne. Es folgten Liestal und Waldenburg. Laufen hingegen lag bei den Wahlkreisen hinter Allschwil und Pratteln am Schluss.
Und als hätte es noch eines weiteren Beweises bedurft, liefert die zurückliegende Ersatzwahl die Bestätigung. Hinter Birsfelden, Brislach und Pratteln belegt Zwingen mit einer Wahlbeteiligung von 21,1 Prozent abgeschlagen den gleichen Platz, den die Gemeinde auch in der alphabetischen Auflistung einnimmt: den letzten. Von den zehn letzten Gemeinden gehören, bis auf die erwähnten Birsfelden und Pratteln sowie Waldenburg, alle dem Bezirk Laufen an.
An der Spitze lag am 30. November wieder einmal Kilchberg mit 54 Prozent klar vor Itingen (47,7 Prozent), Seltisberg (47,5 Prozent) und Wittinsburg (44,5 Prozent). Die Top Ten werden vom Oberbaselbiet beherrscht, sehen wir von Markus Eigenmanns Wohngemeinde Arlesheim an fünfter sowie von Pfeffingen an zehnter Stelle ab.
Eine vage Vermutung
Bei der Frage nach den Gründen für diesen Unterschied helfen hingegen keine Zahlen mehr. Da müssen wir uns auf das Glatteis der Spekulationen wagen. Dass das Laufental katholisch, das Oberbaselbiet aber reformiert ist, dürfte in der heutigen säkularisierten Zeit keine Rolle spielen. Und ein vom Kantonswechsel ausgelöstes politisches Trauma dürfte nicht vorliegen.
Einen gewissen Einfluss könnte aber tatsächlich die seit über 140 Jahren existierende «Volksstimme» als Regionalzeitung mit ihren redaktionell bewusst auf ihr Lesergebiet fokussierten Inhalten ausüben. Sie ist klein, verfügt aber als Abo-Zeitung über eine beneidenswerte Abdeckung und ein treues Publikum. Sie weckt nicht nur das Interesse an lokalen Themen, sondern bietet ambitionierten Politikerinnen und Politikern eine Plattform. Es ist nicht auszuschliessen, dass ein genauerer Blick auf das kulturelle Angebot oder das Vereinswesen zu einem zumindest vergleichbaren Resultat führen würde.
Die nächsten Jubiläumsanlässe
Laufend: Alte Gemälde und Zeichnungen hängen im Gemeindehaus aktuellen Fotografien gegenüber (zu besichtigen während der Schalteröffnungszeiten). Zudem kann eine Sonderausstellung «Sissech 800 Joor» im Heimatmuseum (11 bis 16 Uhr) besucht werden.
21. Dezember: Adventskonzert mit Deborah Regez (Traversflöte) und Gian-Andri Cuonz (Barockcello), ab 19 Uhr im «Cheesmeyer».

