Karl Thommen – Schwingerkönig mit Handschlagqualität
28.08.2025 SportWie ein Oberbaselbieter einst die populäre Sportart prägte
Ein Oberbaselbieter mit Format: Karl Thommen (1892–1968) aus Oberdorf war Schwingerkönig und später Obmann des Eidgenössischen Schwingerverbandes. Ein Name, der heute nur noch wenigen bekannt ...
Wie ein Oberbaselbieter einst die populäre Sportart prägte
Ein Oberbaselbieter mit Format: Karl Thommen (1892–1968) aus Oberdorf war Schwingerkönig und später Obmann des Eidgenössischen Schwingerverbandes. Ein Name, der heute nur noch wenigen bekannt ist.
Hanspeter Gautschin
Im August 1923 blickte die Schwingerschweiz gespannt nach Vevey. Am Ufer des Genfersees wurde das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest ausgetragen – ein Höhepunkt im nationalen Sportkalender. Unter den Favoriten: ein hochgewachsener, drahtiger Mann mit präziser Technik und eiserner Entschlossenheit. Sein Name: Karl Thommen, aufgewachsen in Oberdorf. Wenige kannten ihn – nach dem Fest kannte ihn jeder.
Der Sieg kam für jene nicht überraschend, die Thommen bereits als Nationalturner im Turnverein Oberdorf erlebt hatten. Seine körperliche Präsenz, seine taktische Intelligenz und seine Fairness zeichneten ihn aus. Schon 1913 wurde er in den Kantonalvorstand der Baselbieter Schwinger berufen – ein frühes Zeichen seiner Anerkennung, auch abseits des Sägemehls.
Unter «fremder Flagge»
Beruflich führte Thommens Weg nach Zürich, sportlich fand er rasch Anschluss beim dortigen Schwingklub. Fortan trat er für den Nordostschweizer Schwingerverband an. Doch seine Verbundenheit mit dem Baselbiet blieb ungebrochen – auch wenn er unter «fremder Flagge» rang, blieb sein Herz fest im Oberbaselbiet verwurzelt.
Beim Eidgenössischen Schwingfest 1923 in Vevey bewies Thommen, was ihn auszeichnete: technische Vielseitigkeit, Nervenstärke und seinen berüchtigten «Kurz», den er meisterhaft beherrschte. Im Anschwingen warf er den Berner Sennen Rudolf Bigler in einem sehenswerten Gang ins Sägemehl. Weitere Gegner folgten: Der Oberentfelder Willy Kyburz versuchte es mit Haken und Brienzer – vergeblich. Gottfried Luginbühl musste sich gleich zweimal geschlagen geben.
Im Schlussgang stand Thommen Emil Aepli aus Arbon gegenüber. Aepli, schwer gebaut und kräftig, galt als zäher Widersacher. Doch Thommen behielt die Übersicht. Nach einem missglückten ersten Versuch überraschte er den Arboner mit einem explosiven Hüfter – und sicherte sich damit den Titel des Schwingerkönigs 1923. Sein Preis: ein lebendiges Schaf – ein damals üblicher Preis, der die Entwicklung widerspiegelt, die vom Schaf über das Rind zum heute bekannten Muni führte.
Was Karl Thommen auszeichnete, war nicht nur seine körperliche Stärke. Zeitzeugen beschrieben ihn als wachen Geist, als Mann mit klaren Prinzipien und als jemanden, der stets Verantwortung übernahm. 1932 wurde er zum Obmann des Eidgenössischen Schwingerverbandes gewählt
– das höchste Amt im Verband. Neun Jahre lang führte er dessen Geschicke mit Umsicht, Weitsicht und einem feinen Gespür für den Zusammenhalt in der Schwingerwelt.
Hohe Ehre
Er verstand es, Brücken zu schlagen – zwischen Tradition und Organisation, zwischen sportlichem Ehrgeiz und kameradschaftlichem Geist. Seine Amtszeit war geprägt von Stabilität, der Stärkung regionaler Strukturen und einer neuen Wertschätzung für die Vielfalt der Schwingtraditionen in den einzelnen Verbänden. Nach seinem Rücktritt 1941 wurde ihm die Ehrenmitgliedschaft verliehen – eine Auszeichnung, die nur wenigen zuteil wird und bis heute für ausserordentliche Verdienste im Schweizer Schwingsport steht.
Karl Thommen starb 1968. In seiner Person verband sich sportliche Höchstleistung mit menschlicher Bodenständigkeit – eine Kombination, wie sie heute seltener geworden ist. Wer ihn erlebte, erinnert sich an einen Mann mit Handschlagqualität, mit ruhiger Autorität und mit dem festen Willen, das Schweizer Schwingen weiterzuentwickeln – ohne seine Wurzeln zu verleugnen.
Dass sein Name heute kaum mehr bekannt ist, mag erstaunen. Doch wer sich mit der Geschichte des Schwingsports befasst, stösst unweigerlich auf Karl Thommen aus Oberdorf – einen König im Ring und eine Integrationsfigur ausserhalb.
Künstler, Dichter, Macher und Visionäre
vs. In unserer Serie stellt Hanspeter Gautschin Menschen aus dem Oberbaselbiet vor, die einst prägend wirkten, heute aber fast vergessen sind. Es sind Künstlerinnen, Dichter, engagierte Macherinnen, stille Visionäre – ebenso wie Unternehmer, Tüftler und Gestalter der Industriewelt, die mit Innovationsgeist und Tatkraft die Entwicklung unserer Region vorantrieben. Persönlichkeiten, die das kulturelle, soziale, geistige oder wirtschaftliche Leben des Oberbaselbiets nachhaltig geprägt haben. Mit erzählerischem Gespür und einem feinen Blick für das Wesentliche lässt Gautschin diese Lebensgeschichten wieder aufleuchten – als Erinnerung, Inspiration und als Beitrag zur regionalen Identität.
Hanspeter Gautschin (1956) lebt in Oberdorf und blickt auf eine facettenreiche Laufbahn im Kulturbereich zurück. Als ehemaliger Impresario, Kulturförderer und Museumsleiter erzählt er mit Vorliebe Geschichten über Menschen, Kultur und das Leben im Alltag.