«Jedes Verkehrsprojekt hat Probleme und Verzögerungen»
29.11.2024 Bezirk LiestalBei der Baselbieter SVP-Nationalrätin Sandra Sollberger ist die Ernüchterung nach dem Nein zum Ausbau des Nationalstrassennetzes gross. Die dringend notwendigen Verkehrsausbauten würden um Jahrzehnte verzögert. Realistische Alternativen zum Autobahnausbau sieht die Liestalerin ...
Bei der Baselbieter SVP-Nationalrätin Sandra Sollberger ist die Ernüchterung nach dem Nein zum Ausbau des Nationalstrassennetzes gross. Die dringend notwendigen Verkehrsausbauten würden um Jahrzehnte verzögert. Realistische Alternativen zum Autobahnausbau sieht die Liestalerin nicht.
Tobias Gfeller
Frau Sollberger, wie sehr wirken die Enttäuschung und der Schock nach dem Nein zum Autobahnausbau und damit auch zum Rheintunnel noch nach?
Sandra Sollberger: Die Ernüchterung ist immer noch gross. Es ist eine herbe Enttäuschung, dass die jahrelang geplante Strategie nicht durchgeführt werden kann. Das Mobilitätskonzept der Schweiz und der Region Basel sind infrage gestellt. Ebenfalls ist der Schaden für uns als wichtiger regionaler Wirtschaftsstandort immens.
Sie sagen, das ganze Mobilitätskonzept sei infrage gestellt. Weshalb ist das Nein von der Dimension her so weitreichend?
Ein Teil eines Gesamtkonzepts wurde abgelehnt. Es ist wie bei einem Puzzle. Wenn ein Teil fehlt, wird das Bild nicht fertig. Mit Gesamtkonzept meine ich alle Nutzer: Bahn, Velo, Fussgänger, Auto. Das war alles aufeinander abgestimmt. Ich bin überzeugt, dass es jetzt bei jedem Verkehrsprojekt Probleme und Verzögerungen geben wird. Jetzt beginnt das gegeneinander Ausspielen. Linksgrün hat diese Misere provoziert.
Welche Fehler hat Bundesrat Albert Rösti (SVP) im Abstimmungskampf gemacht?
Bundesrat Rösti hat keine Fehler gemacht. Das Verkehrskonzept ist in jahrelanger Arbeit gewachsen. Albert Rösti hat die Kantone stark einbezogen und sich leidenschaftlich für den «Step» eingesetzt, wie wohl noch nie ein Bundesrat für eine Vorlage. Auch im Baselbiet und in Basel. Dass die Schweizerinnen und Schweizer Angst vor der ungebremsten Zuwanderung haben, kann auch er nicht wegzaubern. Schon deshalb, weil diese Angst auch klar ihre Berechtigung hat.
Schon am Abstimmungstag selber begannen landesweit und im Speziellen hier in der Region Basel die Diskussionen um mögliche Alternativen zu den gescheiterten sechs Autobahnprojekten. Welcher Punkt steht Ihrer Meinung nach dabei im Vordergrund?
Die grösste Herausforderung sehe ich in der Verzögerung von allen kommenden Verkehrslösungen. Jetzt müssen sich alle beruhigen, sich finden, zusammensitzen und die Projekte angehen, die am Wesentlichsten sind. Es ist für mich aber unglaublich, dass Basel-Stadt zu einem Projekt Nein gesagt hat, das vom Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrsfonds (NAF) finanziert worden wäre und Lösungen für die verkehrsgeplagte Stadt und die gesamte Region gebracht hätte. In Zukunft heisst es bei jedem neuen Verkehrsprojekt, das aus unserer Region kommt, die wollen das ja sowieso nicht. Dann kommen jene Regionen zuerst, die der Vorlage zugestimmt haben. Deshalb mache ich mir grosse Sorgen um alle Projekte, die in unserer Region anstehen.
Soll der Rheintunnel als alleiniges Projekt vorangetrieben werden mit Geldern der Kantone Basel-Stadt und Baselland?
Wenn Basel-Stadt das Projekt nicht will, wer soll es dann angehen? Aber nichts tun ist nie eine Lösung! Wir sind auf Ergebnisse angewiesen und ich werde an vorderster Front mithelfen, um das Projekt wieder in Gang zu bringen oder ein anderes aufzugleisen. Die entsprechenden Fragen an den Bundesrat werde ich nächste Woche in der Wintersession einreichen.
Die Grünen fordern, das nun nicht benötigte Geld aus dem NAF für den öffentlichen und den Langsamr, sprich Velos und Fussgänger, zu verwenden. Bieten Sie dafür Hand?
Das ist für mich absolut undenkbar! Das Geld wurde von den Autofahrern einbezahlt. Da die Entlastungsprojekte nicht umgesetzt werden, obschon deren Finanzierung mit dem NAF längst gesichert ist, muss das Geld jetzt den Autofahrern zugutekommen. Die SVP fordert die sofortige Senkung der Mineralölsteuer, also billigere Benzinpreise.
Auch Mobility Pricing, dass gewisse Verkehrsabschnitte, zum Beispiel Stadtzentren, nicht mehr kostenlos befahren werden können, steht im Raum. Das wäre eine Lenkungsabgabe. Der Preis bestimmt. Das muss doch nach Ihrem Gusto sein?
Ich unterstütze eine Änderung oder ein neues Gesetz nur, wenn es auch wirklich etwas bringt. Das sehe ich beim Mobility Pricing nicht. Bis anhin funktionierte die Finanzierung über den NAF sehr gut. Man müsste eher mal genauer hinschauen, wie die Schiene finanziert wird. Da sehe ich viele offene Fragen.
Es würde beim Mobility Pricing mehr um die Lenkung als um die Einnahmen gehen.
Grundsätzlich stehe ich Lenkungsabgaben äusserst kritisch gegenüber. Sie werden eingeführt und verschwinden nie wieder.
Staumeldungen hört man in der Basel vor allem vom Autobahnabschnitt A2 zwischen Augst und Basel und den Hauptverkehrsachsen im Unterbaselbiet. Doch auch das Oberbaselbiet bekommt es zu spüren, wenn es auf der Autobahn klemmt. Wie können im Oberbaselbiet die Verkehrsprobleme gelöst werden?
Ich stehe gerade auf dem Balkon und schaue von Liestal aus nach Bubendorf und sehe ein Autolicht nach dem anderen – in beide Richtungen. Das zeigt, dass auch hier Handlungsbedarf besteht. Ich erkenne aber überhaupt nicht, dass der Kanton hier Lösungen bringt.
Ist es wirklich nur die Autobahn, die die Lösung für alle Probleme ist?
Mit der Autobahn beginnt die Lösung. Jeder weiss, je mehr Stau auf der Autobahn, umso mehr Verkehr gibt es auf den Nebenstrassen und in den Dörfern. Das ist auch für die Sicherheit verheerend.
Wo gibt es denn abseits der Autobahn A2 im Baselbiet Optionen für Verbesserungen? Müsste auch der Kanton aktiv werden oder müsste er sagen, ohne den Autobahnausbau können wir die Probleme im Oberbaselbiet nicht lösen?
Das darf es so nicht sein. Es ist am Regierungsrat, hier rasch umsetzbare Lösungen zu präsentieren.
Wo sehen Sie ganz konkret Handlungsbedarf?
Die Planung einer Erneuerung und Instandsetzung der A22 wäre eine wichtige erste Lösung für das Oberbaselbiet. Aber die Projekte hängen alle voneinander ab. Es darf auch kein Nadelöhr entstehen. Als Beispiel: Der Entscheid, die Waldenburgerbahn zu erhalten und weiterhin neben der Strasse zu führen, war darauf aufgebaut, dass dort die Strasse im Gegenzug nicht verbreitert werden muss und somit kein Landwirtschaftsland verloren geht.
Wie muss die Politik in Zukunft vorgehen, um Grossprojekte vor dem Volk durchzubringen?
Ich könnte mir vorstellen, Strassenprojekte und ÖV-Projekte aneinanderzukoppeln. Das eine gibt es nicht ohne das andere. Schiene und Strassen sollen nicht mehr getrennt angegangen werden.
Sie sind Mitglied im Komitee für die Untertunnelung der A22 auf Höhe Liestal und Lausen. Einerseits bleibt nach dem Nein zum Autobahnausbau im NAF Geld frei, andererseits scheint der Wille, Geld für Grossprojekte auf der Strasse zu sprechen, nicht sehr gross. Stimmt Sie das Abstimmungsergebnis hinsichtlich der A22 optimistisch oder pessimistisch?
Ich befürchte, die A22 ist in der Priorität weit nach hinten gerutscht. Das Bundesamt für Strassen (Astra) wird damit beschäftigt sein, die akuten Herausforderungen zu lösen, weil nach dem Nein die Lösungen fehlen. Die Mitarbeiter sind besetzt und niemand hat Zeit, sich um die A22 zu kümmern.
Mitglieder des A22-Komitees warben für ein Nein zum Autobahnausbau. Was heisst das für die zukünftige Zusammenarbeit im Komitee?
Unehrlichkeit missfällt mir grundsätzlich. Es ist ein schlechter Start für ein gemeinsames Projekt. Ein schlechter Start heisst aber nicht, dass man das Ziel nicht erreicht. Ich jedenfalls gebe weiterhin Vollgas für den Ausbau der A22 und für den funktionierenden Verkehr im Baselbiet.