«Immer nach Rechen Ausschau halten!»

  02.05.2025 Sissach

Der in Oberdorf aufgewachsene Hanspeter Egli war der jüngste Schweizer Pilot seiner Zeit

Man kennt ihn als langjährigen Sissacher Hausarzt. Aber heute noch schwärmt Hanspeter Egli von einem anderen Lebensabschnitt: Mit 17 hatte er – als damals jüngster Pilot – das Fliegerbrevet erworben und erfuhr die dritte Dimension, lange bevor Google Earth und Flugsimulator sie in die Wohnzimmer brachten.

Peter Sennhauser

«Komm, wir tun der Fuchsfarm die Hühner ein», habe er gerufen: In der «Bücker Jungmann» seien er und sein Bruder oder sein Vater bisweilen von Grenchen nach Oberdorf geflogen und hätten sich einen Spass daraus gemacht, die Hühner des Hofrestaurants mit dem Doppeldecker ins Hühnerhaus zu treiben. Reklamiert habe nie jemand, in Oberdorf sei man auf die «fliegenden Eglis» stolz gewesen, erzählt Hanspeter Egli.

Hartbelagpisten, erinnert er sich, gab es nur auf den grossen Flughäfen Zürich, Genf und Basel. Mit der Piper Super Cup, der Cessna 175 oder den Bücker Doppeldeckern landete man in den frühen 1960er-Jahren fast überall auf Graspisten – oder gleich irgendwo auf einer Wiese. «Deswegen hatte mir mein Vater eingeschärft: Vor der Landung immer einen tiefen Gegenanflug machen und auf der geplanten Landestrecke nach im Gras liegenden Rechen Ausschau halten!»

Egli, ein grundsätzlich bestens organisierter Mensch, kann seine fliegerischen Abenteuer samt und sonders dokumentieren. Nicht nur mit den Flugbüchern, sondern glücklicherweise auch mit zahlreichen Fotos aus einer Zeit, in der Fliegen noch ein Abenteuer war.

Der Oberdörfer Fabrikantensohn, Jahrgang 1943, machte seine ersten fliegerischen Erfahrungen als Teenager. «Mein Vater hat wahrscheinlich um 1955 angefangen zu fliegen», erzählt er. Die Schwester seiner Mutter wohnte in der Nähe des Grenchner Flugplatzes. So kam die Familie mit der Fliegerei in Berührung. «Irgendwann hat das Flieger-Virus meinen Vater erwischt.»

Mit dem Fliegen aufgewachsen
Für den jungen Hanspeter wurde das Flugzeug bald so selbstverständlich wie das Auto. «Bei schönem Wetter fuhren wir sonntags nach Grenchen auf den Flugplatz.» Mit 12, 13 Jahren half er beim Herausputzen der Flugzeuge und begleitete bald den Vater auf ersten Flügen. «Der Flugplatz Grenchen bestand aus einer kleinen Baracke, nichts von einem Turm oder dergleichen», beschreibt Egli. «Es gab jemanden, der das Telefon bediente und zum Rechten sah. In der Wiese war ein Windsack aufgehängt, und irgendwo lag das aus der Luft gut sichtbare gelbe ‹T›, das den anfliegenden Piloten zeigte, in welche Richtung gelandet wird.»

Sprechfunk gab es keinen, aber der begeisterte Jungflieger Egli begann sich mit dessen Anfängen, einer streng geregelten englischen Code-Sprache, zu beschäftigen. So übertrug ihm der Vater, den er ehrfürchtig als «echten Buschpiloten» beschreibt, zusätzliche Verantwortung, wenn man mit einem modernen Flugzeug mit Funk unterwegs war: «Ich erinnere mich an einen Flug, da war ich 15-jährig, als er gesagt hat, jetzt fliegen wir nach Wien. Aber ich fliege nur. Du machst Navigation, du machst den Funk, du schaust, dass wir nach Wien kommen.»

Die gleiche Aufgabe fasste er auf einem Flug nach Marseille. Der Anflug auf solche internationale Flughäfen war eines, die Route aber ein zweites: Und wehe, Hanspeter wusste nicht jederzeit, über welchem Kaff man war!

So lernten Hanspeter und sein Bruder Rolf früh alle Kniffe im Cockpit – wann immer der Vater, der inzwischen gar gewerbsmässig fliegen durfte, nicht mit zahlenden Passagieren unterwegs war, durften die Söhne ihn begleiten und wohl das eine oder andere Manöver fliegen. Zudem besuchten sie wie der Vater Flugstunden beim Grenchner Ausbilder. «Rolf schlug dabei deutlich dem Vater nach», sagt Egli, «während mich die Technik und das Drumherum ebenso faszinierten.»

«Jetzt gehst du allein!»
Hanspeter besuchte in dieser Zeit als einer von wenigen Baselbietern das Realgymnasium in der Stadt. Er pendelte täglich mit Waldenburgerli und SBB – und zwar zwei Mal: «Ich hatte eine Spezialerlaubnis des Rektorats und durfte mittags früher weg, damit ich um 11.50 Uhr den Zug nach Liestal erreichte.» So konnte er zu Hause in Oberdorf essen und war um 14 Uhr wieder im Gymnasium. «Natürlich schaute man dort auf mich als einen vom Lande herab», schmunzelt er heute.

Der entscheidende Moment kam am 11. August 1960, einen Tag nach seinem 17. Geburtstag. Sein Fluglehrer Werner Sonderegger öffnete nach einer Landung die Cockpit-Tür und sagte unvermittelt: «Jetzt gehst du allein.» Egli erinnert sich: «Das ist einer der einschneidendsten Momente, die ich erlebt habe. Bis jetzt war immer einer da, der die Verantwortung getragen hat. Und jetzt bist du plötzlich alleine in einem Flugzeug – das du natürlich kennst. Und dann gibst du Gas und fliegst das erste Mal alleine los. Das war – gopferdeckel! – schon ein Moment.»

Nur zwei Monate später, am 8. Oktober 1960, bestand er die Prüfungsflüge und erhielt sein Brevet – er war damit offiziell der jüngste Pilot der Schweiz. Er wurde zu einer kleinen Berühmtheit, die Zeitungen berichteten – und in der Schule änderte sich sein Status radikal: «Der Französischlehrer, der allen über die Sommerferien hinweg ein Buch als Leseauftrag gab, kaufte für mich ein französisches Büchlein über Radionavigation.» Ein anderer erwähnte Egli in seinen Lehrer-Memoiren, ohne dabei alle Details ganz richtig wiederzugeben …

Die dritte Dimension erleben
Zu Hanspeter Eglis besonderen Erlebnissen gehörten Flüge über die Alpen. «Wetterdaten und Funk-Kommunikation gab es noch nicht wie heute. Für meinen ersten Alleinflug nach Sion musste ich das Wetter auf der Route per Telefon erfragen.» Dazu rief man den Bahnhof Spiez an und fragte nach der Sicht und dem Gewölk Richtung Süden. Ebenso mit einem Anruf in Kandersteg am Bahnhof, und erst auf dessen OK wurde in Grenchen gestartet. «Wenn du von Kandersteg auf der Gemmi oben ankommst, hast du urplötzlich Boden dicht unter den Rädern. Da musst du stets wissen: Was mache ich, wenn ich umkehren muss? Und dann öffnet sich plötzlich die Freiheit des Wallis vor dir.»

Während sein Vater, der «Buschpilot», sich für die Technik nicht interessierte («das hat mit Fliegen nichts zu tun, ich will fliegen»), erlebte Egli die enorme technische Entwicklung mit: «Zuerst kam Radiotelefonie, dann ADF – der Automatic Direction Finder – und schliesslich VOR, Visual Omni Range. Die Sportflugzeuge selber dagegen haben sich in 50 Jahren wenig verändert.»

Nicht alle in der Familie teilten die Begeisterung für die Fliegerei. «Meine Mutter hat mir erst viel später gestanden, dass sie sich immer wieder grosse Sorgen gemacht habe.» 1979, zwei Jahre nach Beginn seiner Tätigkeit als Arzt in Sissach, hängte Egli die Fliegerei an den Nagel. Die beruflichen Verpflichtungen liessen es nicht mehr zu: «Mit der Arztpraxis hattest du Notfall-Dienst und andere Verpflichtungen. Da konnte man nicht einfach bei schönem Wetter fliegen gehen.»

Wenn er heute zurückblickt, ist keine Trauer über das Ende seiner Fliegerei zu spüren. «Die Traktandenliste ist erfüllt», sagt er zufrieden. «Wir haben unheimlich viel erlebt – in einer Zeit, in der man Geländestrukturen noch nicht virtuell erfahren konnte mit Google Maps und all dem Zeug, haben wir die Welt in der dritten Dimension erlebt.»

Und doch: Wenn sich heute die Gelegenheit böte, noch einmal in die Luft zu gehen, würde es ihn wohl reizen. «Wenn ich jetzt jemand finden würde, der eine Piper L4 hat, würde ich ihn möglicherweise bitten – können wir mal geschwind …?»


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