«Ich will der Gemeinde etwas zurückgeben»
04.09.2025 DiegtenGemeinderatskandidatin Angela Merz über Politik und Geschlecht
Angela Merz kandidiert in Diegten für den Gemeinderat. Im ersten Wahlgang hat sie am meisten Stimmen geholt. Sie erzählt über die Beweggründe für ihre Kandidatur und über ihre ...
Gemeinderatskandidatin Angela Merz über Politik und Geschlecht
Angela Merz kandidiert in Diegten für den Gemeinderat. Im ersten Wahlgang hat sie am meisten Stimmen geholt. Sie erzählt über die Beweggründe für ihre Kandidatur und über ihre Geschlechtsumwandlung vom Mann zur Frau.
Marianne Ingold
«Vor dreieinhalb Jahren verkaufte ich mein Haus in Lausen an eine junge Familie und zog in eine Wohnung nach Diegten, wo ich sehr positiv aufgenommen wurde. Mir gefällt es hier», sagt Angela Merz. Die 67-Jährige ist im Dorf gut vernetzt und beteiligt sich aktiv am Gemeindeleben. «Diegten hat was und bringt was», lautet ihr persönlicher Slogan. Deshalb kandidiert sie für den vakanten Gemeinderatssitz: «Das Amt interessiert mich, ich bin pensioniert – also warum nicht?» In ihrem Flyer steht: «Es ist Zeit, der Gemeinde etwas zurückzugeben.»
Zehn Tage vor dem Wahltermin vom 18. Mai meldete sie ihre Kandidatur an, zusammen mit Natalie Küng: «Wir machen es aus Überzeugung, weil die vier bestehenden Gemeinderäte nicht alles alleine stemmen können», sagt Merz. Ebenfalls kurzfristig meldete sich Rolf Dettwiler als dritter Kandidat. Im ersten Wahlgang holte Merz am meisten Stimmen, für das absolute Mehr reichte es aber nicht. Beim zweiten Wahlgang vom 28. September gilt das einfache Mehr. Mit dem ehemaligen Gemeinderat Markus Schneider hat sich ein vierter Kandidat gemeldet (siehe Kasten).
Die parteilose Merz sagt: «Ich würde gerne im Gemeinderat mitarbeiten und das freie Departement mit den Ressorts Bauwesen, Soziales und Gesundheit übernehmen.» Aus einem Vorstandsamt bei der Gewerkschaft Kommunikation (heute Syndicom) hat sie Erfahrung in der Personalvertretung, und das Ressort Bau traut sie sich zu: «Als Gemeinderätin muss ich nicht selber eine Mauer oder eine Strasse bauen können. Ich muss aber wissen, was es dazu alles braucht und wie die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind.» Neues zu lernen, motiviere sie. Deshalb ist sie Ende August für drei Monate nach Australien gereist, um ihr Englisch zu verbessern. Sie besuchte zuerst eine Sprachschule und bereiste anschliessend das Land.
In der falschen Hülle
Angela Merz wuchs in Kleinhüningen auf. Nach der Schulzeit machte sie – damals noch als Hansjürg – Ausbildungen als Elektromonteur und Fernmeldespezialist, leitete später die Personal- und Fachhändlerschulung bei Swisscom und arbeitete im Third-Level-Support bei Ascom. Danach folgten eine eigene Firma und Stellen in einem Projektierungsbüro und einer grossen Elektrofirma. Merz gab auch Abendkurse und unterrichtete an der Gewerbeschule. Durch das gesamte Berufsleben ging sie als Mann. Sie war zweimal verheiratet, einmal 13 und einmal 10 Jahre lang. «Ich versuchte, meinen Körper in der männlichen Rolle zu benutzen und Vater zu werden. Das klappte aber nicht», erzählt sie. «Im Hintergrund war mein Leben lang die Frau in mir. Ich hatte einfach die falsche Hülle.»
Weshalb bei einem Teil der Menschen das angeborene körperliche Geschlecht und die empfundene Geschlechtsidentität nicht zusammenpassen, dazu gibt es verschiedene wissenschaftliche Theorien. Der Fachbegriff dafür lautet «Geschlechtsinkongruenz». Merz spürte diese wie viele Betroffene schon als kleines Kind: «Im Kindergarten spielte ich mit Puppen», erzählt sie. «Die Knautschlackstiefelchen der Kindergärtnerin fand ich wunderschön, probierte sie an und fühlte mich darin so toll!» Ihre Sitznachbarin in der Schule hiess Angela und trug schöne Kleidchen. «Ich fragte sie immer wieder: ‹Darf ich einmal dein Kleid anziehen?› Doch sie sagte immer nein», erinnert sich Merz. «Ich würde sie heute gerne einmal treffen, denn wegen ihr heisse ich jetzt Angela.»
Ihre weibliche Seite lebte Merz zu Hause und in der Transgender-Vereinigung «Girls Wanna Have Fun» aus, was beide Ehefrauen tolerierten. Nach ihrer zweiten Scheidung 2005 wollte sie sich bereits einmal operieren lassen, brach den Prozess damals aber ab, weil sie berufliche und gesellschaftliche Nachteile befürchtete. Erst Anfang 2023, kurz vor der Pensionierung, begann die Hormontherapie am Unispital Basel. In der Vorbereitungszeit wurde der Bart weggelasert und mithilfe von Logopädie begann Merz an Stimmlage und Sprachmelodie zu arbeiten. Die 4,5-stündige Operation fand im Juni 2024 statt. Der Fotograf Thomas Rauch begleitete den Transformationsprozess und publizierte ein Fotoporträt von Angela Merz. Auch andere Medien wurden aufmerksam und berichteten. Merz sagt dazu: «Ich suchte das nicht, aber es hat mir auch nichts ausgemacht.»
Jetzt ist es richtig
Auf ihre Geschlechtsangleichung habe sie mit ganz wenigen Ausnahmen nur positive Reaktionen erhalten. «In Diegten wissen es viele und ich werde überall mit ‹Angela› begrüsst.» Sie geht sehr offen mit dem Thema um: «Wenn ich selbstbewusst bleiben und nicht in die Opferrolle fallen will, muss ich bereit sein, Auskunft zu geben.» Natürlich komme es vor, dass andere Menschen zunächst irritiert seien und vielleicht mehrmals schauten. Doch damit müsse man leben und selber tolerant sein.
Frausein bedeutet für Angela Merz nicht bestimmte äussere Eigenschaften, die dem weiblichen Geschlecht zugeschrieben werden, sondern ein ganzheitliches Empfinden und ein stimmiges Gefühl: «Jetzt ist es richtig.» Sie sei immer noch derselbe Mensch mit demselben Charakter wie vorher, auch wenn sie jetzt weibliche Geschlechtsorgane besitzt, sich schminkt und bezüglich Kleidung grösseren Spielraum hat. Diesen setze aber ohnehin die Gesellschaft: «Früher trugen ja Männer Spitzen und Absatzschuhe.» Den gegenwärtigen Hype um Transgender, mit dem in der Politik Stimmung gemacht und der von den Medien gepusht werde, findet sie übertrieben. Sie beantwortet lieber sachliche Fragen in Diskussionsrunden mit Fachleuten und befürwortet Pubertätsblocker, die betroffenen jungen Menschen ohne bleibende Folgen mehr Zeit ermöglichen, sich für oder gegen eine Geschlechtsangleichung zu entscheiden.
Mutiger geworden
Im ersten Monat nach ihrer Pensionierung war Angela Merz alleine mit Interrail für Senioren in Europa unterwegs und so begeistert, dass sie sich danach gleich einen Jahrespass kaufte. Sie sei heute ein viel mutigerer Mensch als früher, sagt sie. Da habe sie sich nicht einmal alleine in eine Beiz getraut. Ihr Bruder habe gesagt, er hätte den Mumm nicht, für drei Monate allein nach Australien zu reisen.
Am 28. November kommt Merz wieder heim: «Am Morgen lande ich in Zürich, am Nachmittag bin ich in Itingen zur Vorbereitung des Weihnachtsmarktes, bei dem ich technische Verantwortliche bin. Und am Abend ist das Helferfest des Basel Tattoo.» Nach der Rückkehr wolle sie wieder sesshafter werden und sich um ihre Bienenzucht kümmern. «Und vielleicht bin ich ja dann Gemeinderätin. Ich bin zuversichtlich.»
Zweiter Comeback-Versuch
vs. Es wäre eine ungewöhnliche Laufbahn: zwei Jahrzehnte im Gemeinderat, dann die Abwahl, eine erfolglose Kandidatur – und nun doch die Rückkehr. Markus Schneider strebt in Diegten erneut ein Comeback an. Der 72-jährige ehemalige Landwirt erklärt auf Anfrage, dass er der Stimmbevölkerung «eine Alternative mit politischer Erfahrung» zu den anderen Kandidaturen bieten wolle. Das vakante Ressort Bau und Soziales würde ihn reizen. Neben Markus Schneider und Angela Merz (siehe oben) kandidieren Rolf Dettwiler (63) und Natalie Küng (52), die wie Merz bereits am ersten Wahlgang im März teilgenommen hatten. Küng, die Wirtin im Restaurant Wyyburg in Diegten ist, möchte «die Bedürfnisse und Anliegen der Diegter Bevölkerung kennenlernen und diese in der Öffentlichkeit vertreten», wie sie im Gemeindeblatt schreibt. Logistikleiter Dettwiler will «die Lebensqualität für alle Bürgerinnen und Bürger verbessern und nachhaltige Lösungen für die Herausforderungen der Gemeinde finden».